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30.01.2013

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Weg damit?

Oliver Elser über Arne Schmitts Fotos deutscher Nachkriegsmoderne


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Dafür oder dagegen? Diese Frage hat man schon länger nicht mehr gehört, vielleicht ist sie inzwischen sogar ein Tabu unter den Architekten, Kunsthistorikern und Künstlern, die sich mit dem beschäftigen, was wir die Nachkriegsmoderne nennen und damit meist jene Zeit zwischen 1945 und etwa 1975 meinen.

Dagegen? Wer würde heute noch sagen, er sei gegen die Nachkriegsmoderne? Wo sie doch allerorten unbeliebt ist und abgerissen oder zur Unkenntlichkeit umgebaut wird. Da muss man doch dafür kämpfen, die letzten authentischen Reste dieser Epoche zu erhalten. Oder etwa nicht?

Nach einem Besuch der Ausstellung „Wenn Gesinnung Form wird“, die derzeit im Sprengel-Museum Hannover gezeigt wird, ist allerdings nicht sicher, ob auch Arne Schmitt für einen Erhalt der Nachkriegsmoderne eintritt. Der 1984 geborene Fotograf präsentiert Deutschlands Nachkriegsmoderne in seinen schwarz-weißen Bildern als verdammt trostlose Orte – noch stärker wird dieser Eindruck in seinem gleichnamigen Buch, in dem er 282 Fotos vorlegt. Belegen die darin versammelten Bilder nicht sämtliche Vorurteile, die draußen in der Welt über die Architektur und den Städtebau jener Epoche längst gefällt wurden – sind sie nicht sogar Kronzeugen für einen Totalabriss und Neuanfang?

Schmitt arrangiert seine Bilder, die er als „Essaysammlung“ bezeichnet, im Buch nach Kapiteln. Diesen hat er strenge Titel gegeben, die direkt den Diskussionen über den Wiederaufbau in jenen, von den Kriegsfolgen besonders stark betroffenen Städten entstammen könnten: „Die Alte Mitte“, „Das Fachwerk brannte zuerst“, „Verdrängung und Wiederkehr“. Andere Kapiteltitel sind Slogans jener Zeit („Wohlstand für alle“), die wie ein bitterer Kommentar über den versammelten Aufnahmen stehen. Viele Bilder aus Städten wie Hamburg, Koblenz, Gießen, Wolfsburg oder Frankfurt am Main könnten auch direkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa entstanden sein: Lebensfeindliche Architektur, heruntergekommen, durch die ein paar versprengte Menschen ziehen. Manchmal scheint der Fotograf wie ein Ethnologe die merkwürdigen Hinterlassenschaften der Architekturgeneration 1945-75 aufgelesen zu haben. Vor allem die Stadtmöbel jener Zeit wie Springbrunnen, seltsame Rondelle und Pavillons wirken mittlerweile so fremd wie die Relikte einer untergegangenen Kultur.

Schmitts Aufnahmen haben einen beiläufigen, dokumentarischen Gestus. Ziemlich das Gegenteil der grandiosen Hommagen an den architektonischen Alltag, mit denen die Düsseldorfer Fotografenschule von Bernd und Hilla Becher, vor allem aber deren Schüler wie Struth, Ruff, Hütte und Gursky bereits zu einem Zeitpunkt auftraten, als der Architekturdiskurs noch längst nicht das tätschelnde Händchen über die Nachkriegsbauten meinte legen zu müssen.

Doch steckt die Wahrheit nicht eher in Schmitts Aufnahmen als in jenen der Becherschule? Der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach veröffentlichte jüngst eine wütende Abrechnung mit allem, was nach 1910 gebaut wurde unter dem Titel: „Und wir nennen diesen Schrott auch noch schön.“ Könnte dieser Titel nicht auch über Arne Schmitts Fotosammlung stehen? Stattdessen aber trägt der Katalog den seltsam sperrigen Titel „Wenn Gesinnung Form wird“. Das Wort „Gesinnung“ klingt im Deutschen seltsam altmodisch und in heutigen Ohren nach dem Sprachgebrauch im Nationalsozialismus. Schmitt gibt im Pressetext zur Ausstellung einen Hinweis, wie das zu verstehen ist: Die Nachkriegsarchitektur ist (zu großen Teilen) das Werk einer bereits in der Nazizeit erfolgreichen technokratischen Planer-Elite, die nach 1945 weitgehend ungehindert (und unreflektiert) die unter Albert Speer entwickelten Prinzipien einer aufgelockerten und autogerechten Stadt umsetzen konnte. „Die Hitlers und Himmlers mögen wir loswerden, aber die Speers werden lange mit uns sein“ zitiert Schmitt eine britische Zeitung.

Ist diese deutsche Nachkriegsarchitektur also doppelt gebrandmarkt: Von der mangelnden Akzeptanz in heutiger Zeit sowie dadurch, dass es (zumeist) keine besonders leidenschaftlichen Demokraten waren, die sie gebaut haben?

Was für eine Haltung, was für eine Gesinnung also ist es, die den jungen Fotografen seinerseits veranlasst hat, eine Reise zu einigen der schauerlichsten Orte West-Deutschlands zu unternehmen? Ist er nicht allzu gnadenlos, wenn er hier das Bild einreißt, das in anderen Publikationen in Farbe und aufwändiger Fototechnik als neuer Kanon gefestigt wird, statt Aufbruch, Großzügigkeit, Eleganz also nur Verfall und Vernachlässigung dokumentiert?

Man sollte nicht dazu übergehen, Schmitts Projekt als einen weiteren, notwendigen Schritt zur Entdeckung einer „ungeliebten Epoche“ rhetorisch in die Arme zu schließen. Ja, das Buch ist ein Dokument totaler Trostlosigkeit. Nein, diese Orte sind nicht cool oder, grusel-grusel, so schlecht, dass sie irgendwie schon wieder gut sind. Es ist oft einfach grausam, was in der Nachkriegszeit vielerorts den Städten und deren Bewohnern angetan wurde. Oft, aber natürlich nicht immer. Und es stimmt, dass man es mit dem rückblickend zugeschriebenen Aufbruchspathos nicht zu sehr übertreiben sollte, weil viele Pläne vor Kriegsende längst fertig und also noch für eine ganz andere Gesellschaftsordnung gedacht waren.

Aber es kommt ja noch viel schlimmer. Wenn wir nicht trotzdem dafür kämpfen, das eine oder andere architektonische Scheusal umzubauen, und sei es nur, weil der Abriss ökologisch eine Sauerei wäre, dann kriegen wir mit großer Sicherheit stattdessen eine glattgestriegelte Null-Architektur, die eines garantiert nicht hat: Charakter, über den es sich in 40, 50 Jahren noch zu streiten lohnt.

Aber vielleicht sollten wir die Hoffnung doch nicht ganz aufgeben, dass heute auch anders gebaut werden kann, manchmal sogar mit Charakter oder wenigstens mit jener robusten Unauffälligkeit, die den notwendigen Grauwert jeder Stadt bildet. Hinfort also, ganz unsentimental und ohne Tabu mit vielem (aber nicht allem), was in Schmitt Buch versammelt ist. Was irgendwann weg sein wird, ist wenigstens im Bild festgehalten. Kommende Generationen werden über unsentimentale Fotobestände wie jenen von Arne Schmitt mehr über den Alltag unserer Epoche lernen als aus unzähligen Denkmalgutachten. (Oliver Elser, Frankfurt)

Arne Schmitt: Wenn Gesinnung Form wird
Spector Books, Leipzig 2012
Hardcover, Leinen
Gestaltung:
Timo Grimberg
Inka Schube (Hrsg.) mit einem Text von Kathrin Peters
32 Euro

Die Ausstellung „Arne Schmitt: Wenn Gesinnung Form wird / Verflechtungen“ ist noch bis zum 3. März 2013 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.


Zum Thema:

www.spectorbooks.com


Kommentare

2

Andrea Palladio | 18.02.2013 19:13 Uhr

@Joe Smith

Stimme voll zu. Billige Effekthascherei auf Kosten eines durchaus fähigen Architekten der Nachkriegsmoderne.

1

Joe Smith | 31.01.2013 14:33 Uhr

Starker Tobak

Das ist mir doch zu starker Tobak. Natürlich wissen wir dank Werner Durth seit über 25 Jahren, dass es personelle Kontinuitäten zwischen Speers Wiederaufbaustäben und der „technokratischen Planer-Elite“, die in westdeutschen Städten die autogerechte Stadt durchsetzte.

Aber dass der Großteil der Architektur zwischen 1945 bis 75 von Speer-Schülern stammen soll, glauben hoffentlich weder Arne Schmitt noch Oliver Elser. Denn nach dieser Logik müsste die „aufgelockerte und autogerechte Stadt“ ja ein deutsches Sonderphänomen sein. Doch sie wurde überall in Europa gebaut. Da müsste Speers unsichtbare Hand also vom Boulevard Péripérique bis zum Alexanderplatz gereicht haben...

Und wenn man sich die Bilder dazu ansieht: Die beiden Düsseldorfer Verkehrsbauten von Friedrich Tamms stammen tatsächlich von einem Mitglied der Speer-Zirkel. Und dass der Tausendfüssler in wenigen Wochen abgerissen wird, scheint vordergründig der „Kann-Weg“-These recht zu geben. Nur haben sich aber nahezu alle Architektur-Institutionen in Düsseldorf gegen den Abriss ausgesprochen: Alles Speer-Fans?

Und dann das Braunschweiger Hochschulforum von Friedrich Wilhelm Kraemer: Auch dies „lebensfeindliche Architektur, heruntergekommen, durch die ein paar versprengte Menschen ziehen“? Wohl kaum. Kraemer mag Mitläufer gewesen sein, aber kein Speer-Adept. In Braunschweig wird seit Jahren in Tagungen und Büchern um den denkmalgerechten Erhalt dieser Schmuckstücke der Nachkriegsmoderne gerungen.

Fazit: Um eines knalligen Effekts willen viel Wind gemacht, aber dabei die historischen Fakten arg ramponiert zurück gelassen.

 
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