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16.08.2018

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Garnisonkirche in Potsdam

Offener Brief gegen falsches Geschichtsbild


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Die Debatte um die Rekonstruktion historischer Bauten verlagert sich zunehmend. Stand in Berlin, Potsdam oder Frankfurt zunächst die eher moralische Frage nach dem „Ob“ im Vordergrund, geht es nun verstärkt um den historischen Gehalt einzelner Projekte. Nicht mehr das Prinzip Rekonstruktion in seiner ahistorischen Dimension steht dann in der Kritik, sondern die mit den Gebäuden verbundene hegemoniale Geschichtsschreibung. Damit einher geht – wie zuletzt in Frankfurt mit dem Diskussionsbeitrag von Stephan Trüby – ein genauer Blick auf die Motivation und Weltanschauung der Rekonstruktionsbefürworter, bei denen immer wieder auch eine Nähe zum rechten Rand zu beobachten ist. Wobei, und das ist wichtig klarzustellen, niemand behauptet, dass Rekonstruktion an sich rechts sei.

Jüngstes Beispiel für den eingangs beschriebenen Wandel im Diskurs ist ein Klassiker des Rekonstruktionsstrebens: Die Garnisonkirche in Potsdam. Lange hatte man den Wiederaufbau ganz grundsätzlich für die städtebauliche Geschichtsklitterung kritisiert. Seit 2013 liegt nun aber eine Baugenehmigung für den Wiederaufbau des Turms vor, und nun geht es darum, wie genau sich das barocke Bauwerk von Philipp Gerlach in die deutsche Geschichte einordnen lässt. Ein neunköpfiger wissenschaftlicher Beirat unter Vorsitz des Historikers Paul Nolte wurde mit der Aufgabe betraut, zu erarbeiten, was genau mit der Kirche thematisiert werden soll. Das von der Stiftung Garnisonkirche Potsdam gewählte Motto dazu lautet „Geschichte erinnern. Verantwortung lernen. Versöhnung leben.“

Fest steht, dass dabei dem „Tag von Potsdam“ eine zentrale Rolle zukommt, jenem Ereignis der symbolischen Machtübertragung, mit dem Hitler als gerade erst gewählter Reichskanzler seine Position festigen konnte. Der Kasseler Architekturtheoretiker und -historiker Philipp Oswalt weist nun allerdings in einem offenen Brief (siehe unten) an den Beirat darauf hin, dass die Stiftung in der Außendarstellung noch immer viele kritische Aspekte der Vergangenheit der Kirche unterschlage. Auch überbetone man im Gegenzug völlig zu Unrecht eine historisch letztlich kaum nachzuweisende Rolle der Kirche im Widerstand gegen Hitler. Oswalt stützt sich hierbei unter anderem auf die wissenschaftliche Arbeit von Matthias Grünzig und Linda von Keyserlingk.

Die Kirche werde „primär als Opfer von Nationalsozialismus, Bombenkrieg und DDR-Diktatur“ stilisiert, obwohl sich der Ort im Gegenteil gerade durch die „unselige Einheit von Kirche, Staat und Militär“ auszeichne, so der Brief. In diesem Sinne verkörpere sie eben nicht die positiven Dimensionen des preußischen und deutschen Erbes, sondern vor allem seine dunkelsten Seiten. Oswalt verweist unter anderem auf die Rolle der Kirche im Kontext der Kolonialkriege und als Ort der Zusammenkunft für antidemokratische, antisemitische, nationalistische und rechtsradikale Kräfte nach dem Ersten Weltkrieg.

Dazu passt für ihn auch, dass ihr Wiederaufbau in rechten Kreisen bis heute sehr positiv gesehen wird. Die ersten Impulse für die Rekonstruktion stammten vom „rechtsradikalen, ehemaligen Bundeswehroffizier Max Klaar und seinem Verein Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“, wie Oswalt ausführt. Und wenn auch nun primär die evangelische Kirche den Wiederaufbau trage, sei zumindest fragwürdig, was gemeint sei, wenn die Stiftung in ihren Flyern davon spreche, die Garnisonkirche stehe „für christlich verantwortetes Handeln für die Gemeinschaft, für die Verbindung von christlichem Glauben und ‚preußischen Tugenden‘“.

Der Konflikt, den Oswalt hier thematisiert, liegt ungefähr so: Im wiederaufbauseligen Potsdam will man unbedingt seine Garnisonkirche zurückhaben, selbst wenn es für sie als Sakralbau keine praktische Notwendigkeit gibt. Und sowohl die evangelische Kirche als auch der Bund tragen das Projekt mit vielen Millionen Euro –  nicht zuletzt wohl auch in der Hoffnung, sich eines Tages im Glanz dieses „national bedeutenden Kulturdenkmals“ zu sonnen. Weil man sich aber der negativen symbolischen Bedeutung des Gebäudes allzu bewusst ist, betreibt man hier nun eine aktive Umdeutung der Geschichte. Ein Bemühen, dass man in Deutschland sonst übrigens gerne belächelt, wenn es – wie beispielsweise seit einigen Jahren in Polen – mit allzu offensichtlichen Verrenkungen einhergeht.

Wichtig anzumerken ist, dass Oswalt in seinem Appell nicht oder zumindest nicht mehr – wie beispielsweise noch im Konflikt um das Berliner Schloss – als absoluter Gegner der Rekonstruktion auftritt. Was er fordert, ist lediglich, die historische Ambivalenz des Gebäudes deutlicher zu kommunizieren und ihr auch auf architektonischer Ebene Ausdruck zu verleihen. (sb)


Download:

Offener Brief von Philipp Oswalt

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Kommentare

1

Volkmar Nickol | 16.08.2018 18:00 Uhr

Ort der Erinnerung?

Um es mal auf den Punkt zu bringen:
Brauchen wir die "Hitler-Kirche" um uns an was eigentlich zu erinnern?

Die Erinnerung an Hitler, seine Verbrechen, an eine schöne Kirche, an ein Vorkriegspotsdam, das es nicht mehr gibt, lässt sich auch anders bewerkstelligen.

Ich finde, man muss auch mit Zerstörung und Vergänglichkeit leben können.

 
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Garnisonkirche um 1827, Gemälde von von Carl Hasenpflug, 1827

Garnisonkirche um 1827, Gemälde von von Carl Hasenpflug, 1827

Garnisonkirche um 1900, Album von Potsdam und Umgegend. Globus Verlag Berlin, 1904

Garnisonkirche um 1900, Album von Potsdam und Umgegend. Globus Verlag Berlin, 1904

Innenraum der Kirche in Richtung Osten, um 1840, Aquarellierte Lithographie von A. Kenneberg

Innenraum der Kirche in Richtung Osten, um 1840, Aquarellierte Lithographie von A. Kenneberg

Hitler bei seiner Rede in der Garnisonkirche am sogenannten „Tag von Potsdam“. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-16093 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

Hitler bei seiner Rede in der Garnisonkirche am sogenannten „Tag von Potsdam“. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-16093 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0


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