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24.03.2021

Hanseatisch Richtung Mekka

Muslimisches Gebetshaus auf Hamburger Friedhof von Medine Altiok


Es ist ein sanfter Streifzug durch die Architektur des Islam: Backstein in einem sandfarbenen Ton wie die frühislamischen Wüstenschlösser, ein ausgearbeitetes Ziegelmauerwerk wie die karachnidischen Moscheen in Usbekistan, Fassadenornamente und eingerückte Fenster mit getreppten Bögen wie sie auch die Seldschuken in der heutigen Osttürkei einsetzten, und Maschrabiyyas – Gitterfenster. Unterschiedlichste Motive aus der islamischen Baukunst arbeitete Medine Altiok (Zürich) in dieses muslimische Gebets- und Waschhaus ein. Trotzdem ist die Architektur geradezu minimal.

Gelegen im Süden Hamburgs auf dem Friedhof Finkenriek, wo die Stadt gerade 100 neue Grabstellen nach islamischen Begräbnisritus schuf und weitere 440 in Aussicht stellt, verweist Altioks schlichter Backsteinbau mit seinen Rautenmustern auch auf eine hanseatische Bautradition. Mit diesem zurückgenommenen Projekt wollte die Architektin, die selber einen muslimische Hintergrund hat, zwischen den Kulturen vermitteln, wie sie kürzlich in einem Interview mit der NZZ erklärte. Dafür wurde das Gebets- und Waschhaus in Hamburg-Wilhelmsburg mittlerweile für den Mies van der Rohe Award 2022 nominiert.

Medine Altiok reduzierte die 220 Quadratmeter Nutzfläche für das muslimische Friedhofsgebäude auf den einfachsten Grundriss in Form eines Rechtecks. Auf das massive Ziegelmauerwerk platzierte sie bei einer Traufhöhe von 3,70 Metern ein verzogenes Zeltdach mit Blechverkleidung, unter dessen seitlich abgerückter Spitze im Innenraum eine Kuppel liegt. Wie auch die Grabfelder ist das Wasch- und Gebetshaus nach Mekka ausgerichtet. Es verfügt über einen Waschraum für die rituelle Waschung, den überkuppelten Gebetsraum, zwei Warteräume und Sanitärräume. Unter dem weit auskragenden Dach im Innenhof formuliert Altiok den Bereich für den Totenstein. Dort kann nach islamischen Ritus das Verabschiedungsgebet für die Toten ausgesprochen werden. Zwei Eingänge führen in das Gebäude, getrennt für Frauen und Männer.  
 
Das schlichte Gebäude, das Medine Altiok zusammen mit Imamen als Vertretern von lokalen muslimischen Gemeinden plante, berührt eine politische Leerstelle. Denn muslimische Grabfelder und entsprechende Gebets- und Waschhäuser für die Bestattungen gibt es nur selten in Deutschland, wie unlängst der Deutschlandfunk vermeldete. Auch Altioks Projekt auf dem Friedhof Finkenriek geht vielmehr auf einen Zufall zurück: Bis vor Kurzem noch gab es in Wilhelmsburg nur vierzig muslimische Gräber. Auf deren Terrain plant die Stadt aber eine Autobahnverbindung zwischen A1 und A7, die umstrittene Hafenquerspange. Die vierzig Gräber mussten umgebettet werden und die muslimischen Gemeinden erhielten im Gegenzug von der Stadt die neuen, sehr viel größeren Grabfelder auf dem Friedhof Finkenriek. Vermittelt hat die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, die für den Bau jener Autobahnverbindung zuständig ist.

Die DEGES ist ungewöhnlicherweise auch die Bauherrin des Wasch- und Gebetshauses mit seinen Gesamtkosten von 2,2 Millionen Euro. „Mit der Autobahn sind wir zwar nicht einverstanden, aber ohne sie hätte es das Waschhaus wohl nie gegeben!“, wird der Wilhelmsburger Bayram Inan anlässlich der Eröffnung des Gebäudes in einem Lokalblatt zitiert. Bereits seit 20 Jahren soll er sich für den Bau eines muslimischen Waschhauses eingesetzt haben. „Wir sind glücklich, dass es nun endlich soweit ist.“ (sj)

Fotos: Jens Franke


Video:


Friedhof Finkenriek Filmausschnitt from Jens Franke on Vimeo.


Ausschnitt aus der Filmdokumentation zu den sich verändernden Ritualen für Tod und Abschied auf dem Friedhof Finkenriek. Der Künstler Jens Franke hat sie zusammen mit den Architekten Leonard Wertgen und Marius Helten erarbeitet.

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Zeltdach auf Backsteinquader: Medine Altiok wählte eine schlichte Grundfigur für das muslimische Wasch- und Gebetshaus auf einem Friedhof in Hamburg-Wilhelmsburg.

Zeltdach auf Backsteinquader: Medine Altiok wählte eine schlichte Grundfigur für das muslimische Wasch- und Gebetshaus auf einem Friedhof in Hamburg-Wilhelmsburg.

Die Farbigkeit in den Innenräumen – Grün, Gold, Grau, Beige – greift Motive osttürkischer Sakralarchitektur auf.

Die Farbigkeit in den Innenräumen – Grün, Gold, Grau, Beige – greift Motive osttürkischer Sakralarchitektur auf.

Draußen im eingehegten Hof werden die Verstorbenen für ein Gebet auf einen Totenstein gebettet .

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Das Mauerwerk zeichnet hanseatische oder auch seldschukische Rautenmuster nach, die Fenster sind nach Vorbild der Maschrabiyyas „vergittert“.

Das Mauerwerk zeichnet hanseatische oder auch seldschukische Rautenmuster nach, die Fenster sind nach Vorbild der Maschrabiyyas „vergittert“.

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