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09.06.2020

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Braunaus Sehnsucht nach Normalität

Marte.Marte planen Hitlers Geburtshaus um


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„Die demokratische Kultur eines Landes erkennt man am Umgang mit seiner Geschichte, und Österreich hat lange gebraucht, um sich seiner eigenen Geschichte zu stellen,“ resümierte der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) im November letzten Jahres, als er mitteilte, dass 2023 die Polizei in das Geburtshaus Adolf Hitlers in Braunau am Inn einziehen wird. Damit werde nach jahrelangen Diskussionen, wie mit dem Gebäude künftig umzugehen sei, ein neues Kapitel in dessen Geschichte aufgeschlagen. Das historisch belastete Ensemble soll für rund fümf Millionen Euro zu einer Dienststelle umgebaut werden. Aus dem letzte Woche entschiedenen, eingeladenen Wettbewerb ging das Vorarlberger Büro Marte.Marte (Feldkirch) als Sieger hervor.

Das Haus in der Altstadt, das ursprünglich eine Gaststätte war und zuletzt von einer Behinderteneinrichtung und der Lebenshilfe Österreich genutzt wurde, war über die Jahre immer wieder zu einer Pilgerstätte für Neonazis geworden. Da sich die letzte Eigentümerin geweigert hatte, nötige baupolizeiliche Modernisierungen vorzunehmen, wurde das Gebäude schließlich 2017 enteignet und ist nun in Staatsbesitz. Zwischenzeitlich stand sogar der Abriss zur Diskussion. Für den damaligen österreichischen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wäre dies die „sauberste Lösung“ gewesen.

Pilgernde Ewiggestrige sollen künftig durch den Einzug der Polizei abgeschreckt werden, so Nehammer, der am 2. Juni in einer Pressekonferenz die Umbaupläne für das Gebäude veröffentlichte. Der Begriff „Hitler-Geburtshaus“ – wie er etwa auf Googlemaps zu finden ist – sollte im Wettbewerb, an dem insgesamt zwölf Büros aus Österreich, Deutschland und der Schweiz teilnahmen, weitgehend vermieden werden. Ebenso sollte bewusst weder ein Mahnmal noch eine Gedenkstätte an die Vorgeschichte des Hauses erinnern. Das bestehende Mahnmal vor dem Haus, ein Stein aus dem KZ Mauthausen, soll künftig in einem Museum aufbewahrt werden.

Die zwei Bürgerhäuser aus dem siebzehnten Jahrhundert, die im Laufe der Zeit zusammengelegt und mehrfach überformt wurden, möchten Marte.Marte weitgehend in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen. Der für Braunau typische Arkadengang auf der Rückseite des Hauses bleibt erhalten. Im Anschluss daran entstehen zwei Neubauten mit Büros, Wachzimmer, Waffenlagern, Zivilschutzraum, Schulungsräumen und Tiefgarage für die Einsatzfahrzeuge. Sie nehmen die ursprüngliche Doppelgiebel-Dachform auf. „Wir haben uns bei unserem Entwurf nicht so sehr darauf fokussiert, die Umbauten aus dem Jahr 1938 rückgängig zu machen, als vielmehr darauf, das an historischen Details reiche Gebäude aus dem 17. Jahrhundert rückzubauen,“ so Stefan Marte.

Der Entwurf von Marte.Marte hält sich an die funktionalen Vorgaben der Auslobung. Auf Kritik in den Medien stieß allerdings die Visualisierung, die ein Mädchen beim Drachensteigen auf einer Blumenwiesen vor der Wache in spe zeigt. Auch beanstanden einige der Anwohner*innen, die hier zuweilen Gedenkveranstaltungen veranstalteten, dass ihnen nun von der Regierung der Ort der Erinnerung genommen würde.

Auch wird die Umwidmung mitunter deutlich kritisiert. Beispielsweise taucht die Frage auf, wie sinnvoll es ist, wenn die Einsatzfahrzeuge der Polizei jedes Mal durch das Gewirr der engen Einbahnstraßen der Braunauer Altstadt fahren müssen, zumal die die bestehende Wache am Bahnhof deutlich verkehrsgünstiger liegt. Eine Kommission hatte zuvor dazu geraten, eine lebensbejahende Organisation im Gebäude unterzubringen – „denn die Polizei könne eine Demokratie zwar schützen und verteidigen, sie könne aber auch in einem Polizeistaat wirken“, wie Gerhard Matzig heute in der Süddeutschen Zeitung schreibt. Ob so zu tun, als sei hier nie etwas passiert, der richtige Weg im Umgang mit diesem geschichtsträchtigen Ort sei, fragt sich auch Wojciech Czaja in der Wiener Tageszeitung Der Standard. „Ob architektonisch stimmig oder nicht. Das Haus ist immer noch Hitlers Geburtshaus. Jeder Versuch, diese Tatsache zu ignorieren, muss eine Architektur hervorbringen, die ignorant ist“, schließt Matzig. (tl)


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Kommentare

6

Andreas Maislinger | 06.09.2022 09:30 Uhr

Haus der Verantwortung in Braunau am Inn

Seit der Initiative "Braunau setzt ein Zeichen" vom Februar 2000 gibt es die Idee Haus der Verantwortung.
Die angekündigte Übersiedlung der Braunauer Polizei ins Hitler-Geburtshaus ruft weltweit nur Kopfschütteln und Entsetzen hervor. www.hrb.at

5

remko | 10.06.2020 22:10 Uhr

...

pikant ist übrigens die Tatsache, dass die PR von Marte Marte just an dem Tag die Erfolgsmeldung auf Instagram veröffentlichte, als fast alle anderen Architektur Büros sich dem Blackout Tuesday anschlossen. Das hat zuminest bei mir für etwas Befremdung gesorgt.

4

peter | 10.06.2020 21:26 Uhr

@3 xvm

schade, dass ihr kommentar so kurz und wenig ausformuliert gefasst ist, mich hätte ja schon interessiert, inwiefern meine meinung(en) totalitär ist/sind.

3

xvm | 10.06.2020 14:53 Uhr

@2 peter

Gut, dass ihre absoluten, totalitären Meinungen lediglich ihre Meinungen sind...

2

peter | 09.06.2020 20:45 Uhr

schade

@ lollo: braune gedanken sind so tief im menschen verankert, die werden sich leider niemals wegdrängen lassen. auch wenn man dort ein urban-gardening-projekt oder eine dönerbude errichtet, können die "fans" immer noch kommen und den ort besuchen. der im übrigen für die verbrechen der nazis genauso wenig kann wie ein neugeborener säugling.

die dunkle seite ist teil des menschen, und es ist das verdienst von aufklärung, humanismus und kultur, ihr immer wieder entgegenzuwirken. das ist für uns alle ein lebenslanger prozess, sich zu menschlichkeit, toleranz und liebe durchzuringen, statt sich von egoismus, hass und macht verführen zu lassen. die kraft hin zum guten muss in jedem von uns täglich neu wachsen, da hilft kein umbau zur polizeistation.

daher geht kabe/springers projekt in eine gute richtung (WWWkabePUNKTatSLASHbraunau). vielleicht hätte man noch einen apfelbaum mit saftigen, leckeren roten äpfeln darauf pflanzen können.

abreißen wäre feige und würde nazimethoden anwenden, gleiches mit gleichem vergelten, endlösung der geburtshausfrage und so. eine polizeidienststelle hineinsetzen finde ich minimal besser als abriss, aber auch nicht wesentlich. denn auch so ist das sehr schwierig - gerade in einem land, wo gern auch mal blaue parteien an der macht sind und die polizei per se kein garant für freiheit und demokratie ist. auch die umbauten aus den 30er/40er jahren zurückzubauen ist doch feige und ungut nervös. alle versuche, da irgend etwas wieder rückzubauen, gehen am thema vorbei. wir können nichts rückbauen, nur feststellen, dass es so ist, wie es ist, und hoffnung säen.

man kann so einen ort, wenn man ihn denn nicht ganz normal nutzt (eigentlich war das doch mit der sozialstation bisher gar nicht schlecht gelöst) ja fast nur zum kunstobjekt machen, zum ort der gedanken über die menschliche psyche, über materielles und immaterielles. ein offener kunstwettbewerb wäre für diesen ort nicht schlecht, mit dem ziel, zu einem ergebnis zu kommen, das auseinandersetzung mit den rechten problemen von gestern und heute fördert, das eine mutige ergebnisoffenheit mitbringt, statt eine heile welt vorzutäuschen, die es an diesem ort (wie auch anderswo) nie geben wird. denn auch das vortäuschen einer heilen welt wäre nichts als eine nazimethode.

fazit: schlechte note für die wettbewerbsauslober und -teilnehmer. einzige lösung: das ganze verfahren lieber schnell stoppen und nochmal drüber nachdenken.

1

lollo | 09.06.2020 18:05 Uhr

Sehnsucht nach Normalität

"Normalität" - egal was daraus/darin wird, ein Polizeiposten, ein Säuglingsheim oder eine psychiatrische Praxis: Immer wird der kalte Hauch der Geschichte drüberschweben, lässt sicht nicht wegdenken.
Abreissen und etwas Neues an die Stelle zu setzen ist das Einzige was hilft. Anders sind braune Gedanken und Rituale nicht wegzudrängen, das zeigen genügend Beispiele auch hier bei uns in Deutschland.

 
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