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08.09.2021

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Buchtipp: Allmachtsfantasien

Le Corbusiers Aircraft auf Deutsch erschienen


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Dankenswerterweise kann man sich den naheliegendsten aller Kommentare verkneifen. Im Nachwort zur ersten deutschsprachigen Ausgabe von Le Corbusiers Aircraft, die anlässlich der Fertigstellung des Berliner Flughafens veröffentlicht wurde, weist schon Verleger Gerwin Zohlen auf die Verspätung hin, die Buch und BER gemein haben. Während die Mängel am Abfertigungsgebäude allerdings in neun Jahren behoben werden konnten, mussten über achtzig Jahre bis zum Erscheinen der deutschen Veröffentlichung vergehen.

1935 wandte sich der Londoner Verlag The Studio in der Absicht, ein Buch über Flugzeuge zu publizieren, an Le Corbusier. Das überrascht angesichts dessen früherem Aufsatz „Augen, die nicht sehen“ kaum. Bereits in den Zwanzigerjahren hatte Le Corbusier erklärt, dass gerade das Flugzeug jene „Fantasie und kühle Vernunft“ verkörpere, die auch die Gestaltung der „Wohnmaschine“ bestimmen möge.

In Aircraft knüpft er an die Idee an, sich des technischen Fortschritts, der das Leben in den vorhergehenden Jahrzehnten auf den Kopf gestellt hatte, zu bedienen, um gerade mit dessen Hilfe die Rückkehr zu einer menschengerechten Umwelt zu ermöglichen. Er erklärt zum Beispiel, dass die Vorzüge der traditionellen algerischen Siedlungen im Tal von M’Zab erst im Überflug erkennbar würden. Zugleich offenbare der Blick aus dem Flugzeug aber auch die menschenfeindliche Unordnung, die die Stadt des 19. Jahrhunderts bestimme: „Das Flugzeug klagt an.“

Das Lob der Vogelperspektive ist ein bedeutender Unterschied zu den früheren Publikationen des Architekten, der in seinem Essay „Baukunst“ noch betonte hatte, dass der Mensch die Welt auf Augenhöhe wahrnehme. In Vers une architecture zeigte er straßenräumliche Perspektiven seiner Entwürfe. In Aircraft hingegen werden die städtischen Umgestaltungsprojekte, die an die Abbildungen von allerhand Fluggeräten und einen poetischen Aufsatz zur Luftfahrt anschließen, allein anhand von Lageplänen, Vogelschau und luftiger Skizzen präsentiert.

Le Corbusiers Vorschläge zur Verbesserung der städtischen Lebensverhältnisse bleiben somit ebenso abstrakt wie die Kritik an der bestehenden Stadt. Als bedürften seine Ideen nicht mehr der Rechtfertigung, sondern nur der starken Hand, eines Planers, der mit ihrer Umsetzung betraut wird. Und in der Tat nutzt Le Corbusier die Publikation, um mächtigen Männern zu schmeicheln. Dazu zitiert er etwa aus Mussolinis Rede zur Eröffnung der „zauberhaften“ Mailänder Luftfahrtausstellung und merkt an, dass der als Referenz bemühte Luftwaffenexperte dem Generalstab des Philippe Pétain angehöre – jenes Pétain, dem er selbst sich ab 1940 in Vichy andienen sollte.

Nicht minder fragwürdig als das Personal mutet auch das Bekenntnis zur großflächigen Zerstörung alter Städte an, an deren Stelle eine neue Ordnung erwachsen soll. Hatte Le Corbusiers Biograph Nicholas Fox Weber noch angemerkt, dass der Architekt deshalb sogar einen neuen Krieg herbeisehnte, sollte es in den nachfolgenden Jahren tatsächlich das Flugzeug sein, das der modernen Stadt den Weg ebnete. Dies freilich weniger, indem die Perspektive von oben zu einem neuen intellektuellen Bewusstsein von der Unzulänglichkeit tradierter Strukturen beigetragen hätte – als dass eben diese Städte mit seiner Hilfe zur Tabula rasa gebombt wurden.

Mag er auch das „Wohlergehen seiner Spezies“ betonen, zeigt sich Le Corbusier in der publizistischen Auftragsarbeit Aircraft mehr denn je als egomanischer Baukünstler, dem die städtische Bevölkerung gleichgültig ist. Nachdem er in seinen frühen Schriften ein Interesse an der menschlichen Wahrnehmung bekundet hatte, konnte er den Forderungen nach einer humaneren Moderne, wie sie insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurden, durch den Verweis auf seinen ab 1942 entwickelten Modulor begegnen. Indem er aber zwischenzeitlich, in der Hoffnung auf große Aufträge, die Nähe des faschistischen Lagers suchte, stellt er sich allein als rücksichtsloser Macher vor: „Ein Mann! Die Erde braucht einen Hirten.“

Text: Achim Reese

Aircraft
Le Corbusier
144 Seiten
Wasmuth & Zohlen, Berlin 2020
ISBN: 978-3-8030-3411-3
38 Euro


Kommentare

3

Schlawuki | 10.09.2021 13:45 Uhr

Coffee

Naja.
Speziell der letzte Absatz eröffnet doch eine neue Sichtweise auf den Herren.
Bei Mies war es ja irgendwo ähnlich gewesen.
Das wird aber gerne unter den historischen Stararchitekten-Teppich gekehrt.
Und das Buch ist mit Sicherheit sehr eindrucksvoll auf dem coffeetable……

2

Lloyd Christmas | 09.09.2021 10:23 Uhr

Neue Perspektive

Sehr gute Rezension und Einordnung! Macht richtig Lust auf das Buch. Dank an Achim Reese

1

Michael Holzimger | 08.09.2021 21:22 Uhr

Wie spannend!

Dann wohl ein Muss - für mich.

Diese Perspektive im Werk von L.C. ist mir schlichtweg neu. Eine neue Einschätzung der Person dräut schon länger.... im Hintergrund bisweilen.

Danke für den Tipp ;-)

Michael Holzinger

 
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