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26.10.2016

Kunst am Bau II: Das verdammte Image

Ein Versuch über ihren schlechten Ruf


Sie thronen auf Giebeln, schweben über Treppen oder wachen vor Portalen – über 10.000 Kunstwerke in Deutschland zählen zur Kunst am Bau. Für die einen ist diese Form der Kunst selbstverständliches Beiwerk, für die anderen gefälliges Ornament und die nächsten würdigen sie als kritische Anmerkung zur Gegenwart. Bei der Kunst am Bau scheiden sich nicht nur die Geister, sie hat auch unter einem schlechten Image zu leiden und überhaupt weiß man gar nicht, aus welchen Ursprüngen bis heute eine förmliche Landschaft von 10.000 Kunstwerken in Deutschland entstehen konnte. BauNetz hat vor zwei Wochen eine neue Reihe zur Kunst am Bau gestartet und geht seitdem darin in regelmäßigen Abständen mit Essays, Interviews, historischen Abrissen und Fallbeispielen dieser vernachlässigten und doch so vielfach präsenten Kunstform nach. Der zweiter Beitrag ist ein Versuch über ein besonders unbehagliches Thema für diese Kunstart: ihr schlechter Ruf

Von Sophie Jung


Blickt man auf die Kunstgeschichte, dann ist sie eigentlich eine Geschichte der Kunst am Bau. Die Karyatiden auf der Akropolis oder die Könige an der Fassade der Kathedrale von Chartres sind von Künstlern geschaffene Werke, die von einer Obrigkeit in Auftrag gegeben worden sind und eine öffentliche Funktion haben. Selbst als sich im Spätmittelalter die Künstlerpersona aus der Anonymität herausschälte, und plötzlich durch den gothischen Skulpturenschmuck am Kölner Dom auch der Name Peter Parler auftauchte, da handelte dieser Künstler öffentlich. Werke wie Raffaels „Schule von Athen” in Rom (1511), oder Charles Le Bruns Apollogalerie im Schloss Versailles (1665) sind zweifelsohne Kunstwerke. Sie sind an einen Auftrag gebunden, trotzdem zeigen sie den persönlichen Zugang zu einem Sujet, jenseits von Klaraussage oder Dekor. Es ist historische Kunst am Bau, und niemand stellt sie in Frage.

Ganz anders heute: „Kunst am Bau, Lust oder Last?” hieß schon das erste der insgesamt 15 Werkstattgespräche, die das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in den letzten Jahren veranstaltete. Als zentrales Organ für diese öffentlich beauftragten Kunstwerke übt sich das Ministerium in Selbstkritik. Es verteidigt Kunst am Bau als Ausdruck des „kulturellen Selbstverständnisses und Spiegel der Schöpfungsgabe eines Landes“ und muss sich doch den Vorwürfen der „Konsenskunst“ und „dekorativen Dreingabe“ stellen.

Dabei fußt die Empfehlung des Deutschen Bundestags von 1950, bei allen Bundesbauten einen festen prozentualen Anteil der Bausumme für Kunst am Bau einzusetzen, auf einem hohen demokratischen Ansinnen. Man wollte nicht nur einen Weg finden, im zerrütteten Nachkriegsdeutschland Künstler zu unterstützen, Kunst sollte zur Bildung eines kritischen, freien Bürgers beitragen. So ein Berichterstatter des Ausschusses  am 25. Januar 1950: „Kunst gehört ins Volk, Kunst gehört dorthin, wo Menschen zusammenkommen. Es ist außerordentlich wichtig, wenn an Straßenecken und Brücken, wo tagtäglich Tausende von Menschen vorübergehen, Kunstwerke hohen Ranges aufgestellt sind und sie zum Erlebnis besonders der heranwachsenden Generation gemacht werden.“

Nur fünf Jahre nachdem die Nationalsozialisten die Kunst in Deutschland dem Diktat eines germanischen Realismus untergeordnet hatten, entscheidet man sich also dafür, das Hinterfragende oder Ungreifbare der Kunst wieder in die Öffentlichkeit zu holen und wie Adorno es formulierte „das Unversöhnliche zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen“. Bis heute besteht diese Auflage von 1950, und mit etwa 10.000 geschätzten Werken hat sich in Deutschland eine ganze plurale Kunstlandschaft entwickelt. Warum also ist diese Form der Kunst trotzdem so wenig angesehen?

Kunst am Bau beruht auf einer staatlichen Entscheidung, die auch mit den Mitteln des Staates, institutionalisiert und in Form von Auflagen, umgesetzt wird. Das gibt dem Projekt Kunst am Bau, eine gewisse Nüchternheit. „0,5 - 1,5 Prozent der Bausumme“ oder  „Richtline K 7 der RBBau“ – allein diese zwei Schlagworte bringen sprachlich den bürokratischen Hintergrund dieser Kunstgattung zum Ausdruck. Hinzu kommen die Ausschreibungs-, Wettbewerbs- und Jurierungsverfahren, die einem Auftrag für Kunst am Bau vorangehen. Sind Transparenz, klare Regeln und kontrollierende Instanzen existentiell für eine funktionierende Demokratie, so rauben genau diese der Kunst ihren mythischen Schein.

Zweifelsohne arbeiten auch Museen, Galerien, Sammlungen und die Künstler in ihren Ateliers mit Budgetrestriktionen und Auflagen. Doch wissen diese sie besser zu verdecken, denn die gesamte, die Kunst umgebende Struktur – das Grafikdesign, die Kommunikationsstrategien und nicht zuletzt die Architektur – stellte die Kunst selbst in den Mittelpunkt. Die Gebäude von Museen dienen vor allem dem Zweck, Kunst auszustellen, so sind Raum, Licht und Weg organisiert. Der Kunst jedoch nur eine vergleichsweise marginale Rolle in einem Gebäude zu geben, wird dem Projekt Kunst am Bau immer wieder zum Verhängnis. Ausdruck findet er in seiner bürokratischen 0,5 bis 1,5 Prozent-Formel. Die Kunst ist ein Zusatz, eine „dekorative Dreingabe“, könnte man missbilligend sagen. Isa Genzken etwa spielt mit dieser Kritik, wenn sie eine überdimensionierte Rose vor den Eingang der Leipziger Buchmesse stellt und Kunst am Bau zum Kitsch zuspitzt.

Doch darf die Kunst wirklich eine solche Totatalität für sich beanspruchen? Kann sie nur seriös sein, wenn sie in eigens für sie geschaffenen Räumen gezeigt wird? Nein. Viele Künstler arbeiten mit den örtlichen Gegebenheiten. Biennalen an ungewöhnlichen Spielorten, oder die ganze Szene der site-specific art zeigen, dass sich die Kunst auch Räume aneignen kann. Rebecca Horn hat dies ebenfalls in der Wandelhalle des Bundesrats getan: Mit ihren „Drei Grazien“ ­– drei goldene, sich bewegende Lanzen an einer Kuppelmündung, die unendlich in einer zirkulären Spiegelanordnung reflektieren – hat sie eine feine Verbindung zwischen der Architektur des Baus und dem Betrachter geschaffen. Das ist eine seriöse Arbeit, und Kunst am Bau.

Es scheint etwas anderes zu sein, das den Ruf dieser Kunstgattung so kläglich stört. Nicht die vermeintliche Limitierung durch Bürokratie und räumliche Gegebenheiten. Die Kunst kann sie sich zu eigen machen. Die Frage ist vielmehr, ob die Künstlerfigur mit dieser Rolle vereinbar ist. Irgendwann in der Frühmoderne gibt es einen Bruch in der Kunstgeschichte. Von da an werden Raffeal, Michelangelo oder Jacques Louis David von Personen wie Édouard Manet, Gustav Klimt oder Ernst Ludwig Kirchner abgelöst. Diese handelten unabhängig vom Staat und der öffentlichen Förderung. Die Ausstellung „Salon des Refusés” von 1863 bringt das dahintersteckende Künstlerbild zum Ausdruck. Der Titel ist klare Ansage: die beteiligten Künstler, darunter Manet, Monet und Courbet, waren die Abgewiesenen unter Napoleon III. Sie waren die Außenseiter und die Unangepassten, die sich um ihrer Kunst willen selbst organisierten. Ein ganzes Bild der Künstlerpersona hängt an der Idee des unangepassten, eigenwilligen und selbstbestimmten Außenseiters. Daran geknüpft: Bohème und die Idee eines Genies, das nicht den tradierten Normen folgt, sondern eigene Maßstäbe setzt.

Schaut man sich die Inszenierung von Martin Kippenberger, Christian Jankowski oder Marina Abramović an, so zeigt sich, wie sich dieses Image einer Künstlerpersona bis heute noch gut hält. Galerien und Museen, selbst Gruppenschauen spielen da mit, wenn sie vor allem die singuläre künstlerische Position und damit das Individuum des Kunstschaffenden in den Vordergrund rücken. Die entstehende Kunst bleibt (meistens) gesellschaftlich relevant, greift noch immer die Gegenwart auf und macht sie sinnlich zugänglich. Doch im Dienste des Staates, sozusagen als Transporteur eines staatlichen Ansinnens, zu handeln, ist schwer mit dieser Künstlerfigur vereinbar. Das Image des unangepassten Außenseiters ist natürlich nur Schein, manchen wie Neo Rauch oder Isa Genzken ist es auch egal, nur für die Kunst am Bau bleibt es ein Verhängnis.

Sophie Jung ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Journalistin und schreibt seit Anfang 2015 auch für die Baunetz-Redaktion.

 


Zum Thema:

Alle Teile der Serie

I: Zwischen Staatsauftrag, Marketing und Feigenblatt
II: Das verdammte Image
III: Eine luxuriöse Verbindung
IV: Blühender Beton im Abriss
V: Maß und Übermaß
VI: Manchmal ist schon alles weg
VII: Warten auf Godot
VIII: Und dann kommt Tinos Sängerin


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„Rose” von Isa Genzken an der neuen Leipziger Messe, Foto: Leipziger Messe, Waltraud Grubitzsch, © VG Bild-Kunst

„Rose” von Isa Genzken an der neuen Leipziger Messe, Foto: Leipziger Messe, Waltraud Grubitzsch, © VG Bild-Kunst

Kunst am Bau gibt es auch in der Privatwirtschaft: Farnice Varinis „hexagones dividés par des disques” in der Zentrale von Clariant, Frankfurt, Foto: © Clariant

Kunst am Bau gibt es auch in der Privatwirtschaft: Farnice Varinis „hexagones dividés par des disques” in der Zentrale von Clariant, Frankfurt, Foto: © Clariant


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