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04.06.2018

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Social Media Architektur

Kommentar zum Kö-Bogen II in Düsseldorf


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Kommentar von Uta Winterhager



Ende März ging ein Raunen durch die Medien, als Thierry Fremaux, Leiter der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes, ein Selfie-Verbot für den Roten Teppich aussprach. Er wolle zurück zum Glamour früherer Zeiten und das ohne den Stau und die „lächerlichen und grotesken Bilder“, die die Stars dort in den vergangenen Jahren produziert hatten. Knigge 2018 dankt.
 
Wenige Wochen später luden die Entwickler des Kö-Bogen II in Düsseldorf zum Pressegespräch. Anlass war der Beginn der Hochbauarbeiten des letzten großen Bauvorhabens in Düsseldorfs neuer Mitte. Das Geschäfts- und Bürohausensemble entsteht nach Plänen von Christoph Ingenhoven und bietet künftig 66.000 Quadratmeter BGF in bester Lage.

Die Centrum Gruppe aus Düsseldorf und die Hamburger B&L Gruppe wollen „Immobilien liefern, für die es sich lohnt, in die Stadt zu gehen“. Presse und künftige Kunden ködern sie zunächst mit Bildern, in denen die schöne neue Welt Gestalt angenommen hat. Mit synthetischer Attitüde sind da zwei gläserne Volumen gerendert, die den Gustaf-Gründgens-Platz neu fassen. Wo kein Glas ist, wächst Grün an den schrägen Fassaden und auf dem Dach. Weniger wird die Masse davon nicht, vielleicht weniger angreifbar. Der Kö-Bogen II ist eine Verkörperung des Zeitgeistes. Er steht so übereifrig für das Heute, dass die Vorstellung vom Morgen schwierig ist.
 
Der Bau der Wehrhahn-Linie (2007–16) ermöglichte in Düsseldorf eine großräumliche Stadtreparatur, da mit der U-Bahn auch gleich der Autoverkehr in Tunneln und Tiefgaragen verschwand. Mitten in der Stadt wurden plötzlich perfekt angebundene, große und repräsentatives Grundstücke frei, über die die historische Verbindung zwischen Königsallee und Hofgarten wiederhergestellt werden konnte. Den Kö-Bogen I realisierte Daniel Libeskind nach umstrittenem Vergabeverfahren 2013 mit einer uncharmanten Interpretation der Schauspielhauskurven und nur unwillig aus den Schlitzen in der Fassade wachsendem Grün.

Mit dem bis 2013 diskutierten Abriss des Tausendfüßlers, einem Relikt der autogerechten Stadt, änderte sich die Sicht auf den zweiten Bauabschnitt des Kö-Bogens. Der vier Jahre alte Siegerentwurf eines stadtplanerisch-freiraumplanerischen Wettbewerbs von Molestina/Fenner (Köln) entsprach nicht mehr den damit gegebenen Bedingungen, und die Stadt beauftragte drei Büros mit neuen Entwürfen. Ingenhoven Architects gewannen vor den Kölner Titelverteidigern Molestina/Fenner und Snøhetta (Oslo).

Christoph Ingenhoven beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit der Revitalisierung dieses Stadtraumes, er gab erste und wichtige Denkanstöße, offenbar war seine Heimatstadt ihm hier etwas schuldig. Seine inzwischen realisierte Marina One in Singapur war für die Düsseldorfer sicher eine starke Referenz.

Der Ort, an dem der Kö-Bogen II entsteht, hat mit dem Dreischeibenhaus (Helmut Hentrich, Hubert Petschnigg, Fritz Eller, 1960) und dem Schauspielhaus (Bernhard Pfau, 1969) am Gustaf-Gründgens-Platz Architekturgeschichte geschrieben. Sicher wird der Neubau von seinen prominenten Nachbarn profitieren, doch die Denkmäler fordern Rücksichtnahme. Diese wird in Form einer Schneise Gestalt annehmen, die im Volksmund schon den Namen Ingenhoven-Tal trägt und von jedem der beiden Baukörper eine Ecke abschneidet, um Sicht und Wege frei zu halten. Eine überzeugende Haltung im Stadtraum sieht anders aus.
 
Ist der Anreiz vielleicht deshalb so groß, diese Schrägen zu inszenieren, das Dach des niedrigen Foodcourts zur Liegewiese zu machen und auf dem Sechsgeschosser mit fünf Kilometern Hainbuchenhecke gleich die größte Grünfassade Europas zu schaffen? Der Aufwand, ein Gebäude in dieser Art zu begrünen und die Pflanzen über Jahre am Leben zu halten, ist enorm, angefangen von der Auswahl der richtigen Pflanzen, ihrer Anzucht, dem eigens entwickelten Substrat, der Konstruktion einer Befahranlage bis zu ihrer dauerhaften Pflege. Aber der Zeitgeist will bedient sein, da erscheint der ökologische Fußabdruck kleiner, je grüner ein Gebäude ist, das Bauen fühlt sich gut an – und die angestrebte DGNB-Zertifizierung in Platin macht es später wohl offiziell. Natürlich mangelt es in unseren Städten an Grün, hier jedoch ist der Hofgarten, 28 Hektar groß und immerhin Deutschlands ältester Volkspark, nur ein paar Schritte entfernt. Das grüne Mäntelchen, das dem Kö-Bogen II übergezogen wird, erscheint dagegen allzu kulissenhaft.
 
Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg der Immobilie sei neben der Location die hohe Attraktivität der Immobilie für die sozialen Medien, erklären die Investoren. Hier sollen die Menschen Selfies machen und ihren Standort tausendfach mit der Welt teilen. Dass mit jedem Posting auch gleich die Logos der Händler verbreitet werden, ist Teil der Idee, freies WLAN ein effizienter Motor. Aber halt! Hatten wir nicht gerade aus Cannes gehört, dass der triviale Aspekt des Sich-Selbst-Fotografierens das Aus für Stil und Glamour bedeutet? Da sein, um im Netz zu sein – wenn das Gebäude fertig ist, wird dieser Hype hoffentlich längst vorbei sein. Die Lebensmitteldiscounter, Modeketten, ein Marken-Outlet und ein Drogeriemarkt, soweit die bislang genannten Mieter, stört das offenbar nicht. Ihre Flagshipstores sind meist nur Werbeträger für den Onlinehandel. Für die Retailer ist das Risiko am Kö-Bogen II gering. Wenn es hier nicht mehr läuft, gehen sie eben woanders hin. Das Gebäude hingegen müssen die Düsseldorfer dann noch ein paar Jahrzehnte ertragen.


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Kommentare

9

Hart | 11.11.2018 21:52 Uhr

Ingenhoven-Tal

Einen Selfie-Trend als negative Kritik für moderne Architektur anzuführen, auf die Idee muss man erst mal kommen. An den Haaren herbeigezogen. Nach der Fertigstellung wird dieser Entwurf alle überraschen. Gerade bei uns in Köln kann man sich daran ein Beispiel nehmen.

8

Hart | 11.11.2018 20:43 Uhr

Ingenhoven- Tal

Danke Frau Friesinger für Ihren treffenden Kommentar, der sich durch mehr substantielle Argumente auszeichnet, als der kommentierte Beitrag selbst. Der Entwurf von Ingenhoven bereichert diesen entstandenen Raum durch seinen mutigen Ansatz ganz erheblich und ergänzt diese seltene Anordnung eines einmaligen Architekturensembles. Das es auch hier typisch simple, provinzielle und offensichtlich neiderfüllte Polemik gibt, disqualifiziert sich von selbst und zeugt mehr vom entsprechenden Niveau der Kommentatoren, als von der angeblich minderen Qualität des Ingenhoven-Entwurfs. Diese Leute sollten ihren Blick liebe auf die Stadt lenken, die diesem Portal ihren Namen gegeben hat. Über die dort vorzufindenen „Architektur“ gibt es genug zu kritisieren.

7

Stefan Frischauf | 06.06.2018 14:30 Uhr

Gustav-Gründgens-Platz, Camillo Sitte

also mit den Fallwinden vom DreiScheibenhaus und der monotonen Pflasterung und einer eher durchwachsenen Randbebauung war der Gustav-Gründgens-Platz nie eine "städtische Bühne" mit Aufenthaltsqualität.
In den Pausen oder vor den Aufführungen stand man denn auch lieber unmittelbar vor dem Schauspielhaus. Den Platz hat man immer so schnell wie möglich hinter sich gelassen. Pfaus Rundungen im Rücken wars dann wieder heimeliger.
Nach Libeskinds Schnellschuss macht Ingenhoven hier wenigstens Städtebau. Reminiszenzen an die hängenden Gärten der Semiramis und etwas neueren Datums diller scofidio renfros "lincoln center inside out" in NYC schaffen denn ja auch für Selfie-Freaks wie für andere Menschen ganz nette Räume, mal ganz bescheiden gesagt.
Insofern - schaun wir mal. Ich freu mich drauf, wenn das Schauspielhaus wieder auf ist.
https://www.designboom.com/architecture/diller-scofidio-renfro-lincoln-center-inside-out-10-01-2013/

6

C. Sitte | 06.06.2018 09:31 Uhr

German Platzangst

Als ich vor Jahren einem belgischen Kollegen und international tätigem Künstler im Rahmen eines Stadtrundgangs das Ensemble Schauspielhaus, Dreischeibenhaus und Gustav-Gründgens-Platz (damals noch mit Tausendfüßler und ohne Kö-Bogen) zeigte, war er von der Leere des Raumes begeistert und charakterisierte diesen Platz spontan als den einzigen wirklich städtischen Platz in Düsseldorf.

Auch der Theaterregisseur Peter Brook scheibt in seinem Essay "der leere Raum": "Wo nichts ist, ist alles möglich" und zeigt damit eine Qualität auf, die, vom Theater auf den öffentlichen Raum übertragen, auch der Gustav-Gründgens-Platz aufwies.

So war dieser Platz im allerbesten Sinne eine städtische Bühne, die, direkt neben der Einkaufsmeile des Wirtschaftswunders (Schadowstraße) eine ganz andere, offene, Qualität hatte und eine Oase der Ruhe im Konsum- und Verkehrstrubel drum herum darstellte.

Mit der Bebauung des Kö-Bogens wurde dieses einmalige Ensemble des modernen Nachkriegsdeutschlands nun nachhaltig verändert. Diese Bühne wird - wenn denn diese begehbare Dachlandschaft überhaupt so wie dargestellt realisiert wird - nur noch von Kauf- und Konsumwilligen bevölkert, die dann in den hängenden Gärten der Semiramis im Zelt übernachten können, um als Erste das neueste iPhone im Apple-Store nebenan zu ergattern.

Der öffentliche Raum ist (zumindest außerhalb der üblichen Geschäftsöffnungszeiten) tot, es lebe die schöne, neue (virtuell gerenderte) Welt!

5

Ilka Friesinger | 05.06.2018 10:46 Uhr

@ Uwe J. Haack

Lieber Uwe J. Haack,

Rotterdam mag ich auch sehr gerne und den Herrn van der Rohe ebenfalls.
Auch wenn dieser sicherlich Anlass zu der ein oder anderen #metoo Debatte gegeben hätte (da Sie gerne lesen schauen Sie doch bei Bedarf einmal in die Biographie seiner Tochter Gerogia van der Rohe "La Donna e mobile" ).

Die Erwähnung von #metoo hat in diesem Zusammenhang gar nichts mit Architektur und Urbanismus zu tun, sondern mit Cannes. Den Bezug von Cannes zu Selfies und Architektur hat die Autorin des Artikels hergestellt, nicht ich. Aber schön, dass man direkt pauschal als "derart Bewegte" abgestempelt wird. Vielen Dank, dass Sie damit durch Ihren Kommentar die Notwendigkeit der Debatte noch einmal verdeutlicht haben.

"Leider fehlt mir als Landschaftsplaner der Bezug zu anderen als Shoppingqualitäten urbaner Räume. "
Was soll dieser seltsame Satz bedeuten??? Da Sie Landschaftsplaner sind können Sie in urbanen Räumen als einzige Qualität Shopping erkennen? Dann sollte man sich doch freuen wenn jemand ein Landschaftliches Element dem Shopping hinzufügt...

Zum Thema "aktueller Kapitalismus": der interessante Aspekt ist doch, dass das Zusammenspiel aus Social Media und Gewinnoptimierungsgedanken der Investoren zu einer Architektur führt, die der attraktiven Gestaltung des öffentlichen Raums mehr Gewicht gibt als der Einsparung von Kosten und der Maximierung von Nutzfläche.
Aus meiner Sicht ein interessanter Aspekt der durchaus Potentiale haben könnte.
Um das zu verstehen, muss man allerdings erst einmal die reflexhaften Anti Social Media, Shopping und Kapitalismus Scheuklappen absetzen.

4

uwe j haack, berlin | 05.06.2018 06:07 Uhr

Wenn es hier nicht mehr läuft, gehen sie eben woanders hin.

less is more, Frau Friesinger!
Oder ist MiesvdRohe auch nur noch eine museale Ikone ?

Im Artikel wurde zumindest der Zusammenhang zwischen sog. 'SocialMedia' und der aktuellen Kapitalismus.Variante versucht herzustellen. Den Bogen von Urbaner Architektur -im speziellen Kontext zu nachhaltiger Stadtententwicklung- zu #metoo zu schlagen ... nun denn, einen Anlass für derart Bewegte wird es immer geben.
Lesen Sie doch bitte mal 'Die potente Frau' von Svenja Flaßpöhler zu diesem Thema und vielleicht im Bogenschlag auch zur Architektur.

Leider fehlt mir als Landschaftsplaner der Bezug zu anderen als Shoppingqualitäten urbaner Räume. Hier hätte sich gerade durch die gut beschriebene Neuausrichtung des innerstädtischen Raumes in dem Bereich Hofgarten eine wirklich visionäre und zugleich verspielte 'Ausbreitung' des alten Volksparkes in die neuen Stadträume angeboten.

Mein 'Singapure' ist Rotterdam!

3

Pekingmensch | 05.06.2018 03:47 Uhr

Kö-Bogen

Naja, schlimmer als Libeskinds unsaeglicher Kö-Bogen I kann es ja kaum werden. Libeskind hat mit seiner Architektur eine exzellente staedtebauliche Planung vergeigt, indem er die Verbindung zum Wasser und zum Hofgarten (zumal in der Erdgeschoss-Zone) zugunsten von Fassadenspielereien ignoriert hat. ----------------------------------------------------------- Ob Ingenhovens Gruenfassaden im deutschen Klima funktionieren, wird sich erweisen muessen. Bei begehbaren (geneigten) Gruendaechern bin ich eher skeptisch was Sicherheitsbedenken, Vandalismus und mangelnde Pflege und Wartung betrifft. Aber warten wir es ab. Vielleicht funktioniert es ja.

2

Designer | 04.06.2018 16:54 Uhr

Kö-Törrööö

Danke für den wunderbaren Kommentar. Eine schöne Einordnung und sehr gut geschrieben.

Eins befürchte ich nur: Der Selfie-Trend wird bei Fertigstellung noch lange nicht vorbei sein.

1

Ilka Friesinger | 04.06.2018 16:12 Uhr

Mehr Singapur wagen!

Ich schreibe aus Berlin und beneide die Düsseldorfer um den Mut ihrer Stadtentwicklung. Wir brauchen nicht weniger sondern mehr Architekten die ihren Horizont in Städten wie Singapur erweitern (siehe Ole Scheeren in Frankfurt) !
Das grüne Tal ist aus meiner Sicht eine zeitgemäße Weiterentwicklung der modernen Ikonen gegenüber und den Hofgarten in die Innenstadt fortzusetzen spricht doch wohl eher für als gegen die begrünten Fassaden. Mit dem alten Spruch des Pflegeaufwands kann man auch die Glasfassaden gleich weglassen, denn wer soll die alle putzen ?
Da Social Media Schelte grade hoch im Kurs zu stehen scheint, zu guter Letzt noch ein kurzer Satz zu Ihrem Cannes Beispiel. Mit dem tollen Glamour der 60er Jahre ohne social media kann dann auch gleich wieder der Sexismus zum Kavaliersdelikt erklärt werden. Dass in Harvey Weinstein Zeiten grade Cannes die 60 er als Vorbild nimmt ist doch wohl eher ein Treppenwitz. Und dass die gerechtfertigte Verurteilung von Personen wie H. Weinstein sowie #metoo im Social Media Zeitalter passieren wohl auch kein Zufall.
In diesem Sinne lasst die Millenials doch ihre Selfies machen, wenn man damit Investoren von reiner qm Optimierung zu mehr öffentlichen Räumen und Grünpflege überzeugen kann, umso besser!

 
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