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04.07.2019

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Exkursion als Argument

Kirche in Aachen von Weinmiller Großmann Architekten


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Wie lang der Weg zwischen einem siegreichen Wettbewerbsentwurf und der Realsieriung sein kann, musste Gesine Weinmiller bei ihrer 2018 fertiggestellten Genezareth-Kirche in Aachen erfahren. Wie es nach der ersten Kritik doch noch gelang, die Gemeinde von ihrem Konzept zu überzeugen, hat unser Autor bei seinem Besuch erfahren.

Von Klaus Englert


Die dramatische Schrumpfung kirchlicher Gemeinden betrifft alle westlichen Länder und macht auch im Aachener Westen nicht Halt. Im Rahmen der Zusammenlegung zweier Gemeindebezirke beschlossen deren Mitglieder, ihre bisherigen Häuser aufzugeben und stattdessen einen gemeinsamen Neubau an der Vaalser Straße zu realisieren. Im Frühjahr 2012 lud man zu einem begrenzten Wettbewerb, den Weinmiller Großmann Architekten (Berlin) gewannen. Doch mit der öffentlichen Präsentation des prämierten Entwurfs begannen die Probleme. Zwar saßen im Preisgericht etliche Presbyteriumsmitglieder, die den Entwurf befürworteten, aber die Gemeindebasis störte sich leidenschaftlich an Weinmillers moderner Gestaltung, die keine Fenster für den Kirchenraum vorsah. Die Reaktion der Mitglieder: „Eine Kirche ohne Fenster? Die Natur, die Schöpfung, die Welt werden ausgesperrt? Das soll genug Licht geben? Wir wollen eine helle, lichte Kirche.“

Auf Exkursion


Gesine Weinmiller sagte später, dass viele Gemeindemitglieder sich einfach zurücksehnten nach den alten Räumlichkeiten, durch deren Fenster man die Passanten sehen konnte. Es sei nicht nur schwierig gewesen, sie von einem fensterlosen Kirchenraum zu überzeugen, sondern auch von den weißen Wänden – wenn gleich Rudolf Schwarz’ weiße Fronleichnamskirche seit fast 90 Jahren das Aachener Stadtbild prägt. Gemeinsame Gespräche konnten die Gläubigen nicht überzeugen. Deswegen schlug Weinmiller eine Exkursion zu jenen Sakralbauten vor, die sie zu ihrem Aachener Entwurf inspiriert hatten: Rudolf Schwarz’ Dürener Annakirche, Hans van der Laans Benediktinerabtei im niederländischen Lemiers („großes Kino“, meint Weinmiller), Peter Zumthors Bruder-Klaus-Kapelle bei Mechernich und die Kölner Immanuelkirche von Sauerbruch Hutton. Bei allen spielt Oberlicht eine zentrale Rolle.

Die Exkursion muss bei der Gemeinde Wunder bewirkt haben. Was zunächst theoretisch wenig überzeugte, wurde nun sinnlich fassbar gemacht. Mit anderen Worten: Der Errichtung der Genezareth-Kirche mitsamt Gemeindezentrum stand nun nichts mehr im Weg.

Introvertierte Andacht


Gesine Weinmiller und ihr Partner Michael Großmann wählten für das Gelände an der Vaalser Straße einen Kirchenraum, der vor dem Verkehrslärm abschirmt und damit den Gläubigen die Möglichkeit bietet, in ihrer Andacht für sich zu sein. Nach eigenem Bekunden hat sich Weinmiller an der Lichtmystik von James Turrell orientiert, an einem diffusen Licht, dessen Quelle für den Betrachter unsichtbar bleibt. In der Genezareth-Kirche wurde dieses Prinzip nun nachvollziehbar umgesetzt. Natürliches Licht wird durch seitlich an den Längsfassaden angebrachte Lichtschächte eingefangen und tritt unterhalb der Obergaden wieder aus. Gleiches geschieht in der Apsis, so dass der Altarbereich immer von oben durch warmes Licht erleuchtet wird. Nichts kann die Gläubigen in dem kleinen Kirchenraum ablenken, auch wenn sich die Lichtinszenierung dauernd verändert. Deswegen die neutralen weißen Wände und die höchst filigranen, schmalen Hängeleuchten, die sich dem Raumgefüge anpassen.

Völlig anders wirkt das angrenzende Gemeindezentrum. Es ist ein eingeschossiger Bauköper, der Pfarrei und Diakonie sowie weitere Service-Einrichtungen der Gemeinde aufnimmt. Verbunden werden die Räume durch einen rundum verglasten Kreuzgang. Selbst bei düsterer Wetterlage wirken der Kreuzgang und die abzweigenden Räume überraschend offen und hell. Die protestantischen Gemeindemitglieder teilen derzeit die Raumangebote dieses Zentrums mit einer freikirchlichen Gruppe aus Kolumbien.

Der Genezareth Kirche, der auf dem Vorplatz ein rechteckiger Campanile vorgelagert ist, kommt die reduzierte Materialauswahl deutlich zugute. Im Außenbereich herrschen helle Ziegel vor, während Tür- und Fensterstürze in Eichenholz und der Fußboden in Naturstein ausgeführt sind.

Ein Neuanfang?


Nach dem Krieg wurden im Erzbistum Köln 194 Kirchenneubauten errichtet. Und heute? In den letzten fünf Jahren soll die Genezareth-Kirche der einzige evangelische Neubau im Rheinland gewesen sein. Das mag traurig klingen, aber für einen guten Neuanfang wäre mit der Aachener Kirche gesorgt, machte man aus ihr – wie es der aktuellen Nutzung entspricht – auf Dauer eine interkonfessionelle Begegnungsstätte. Der Gemeindepfarrer scheint dafür ein offenes Ohr zu haben.


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Kommentare

9

Max | 08.07.2019 17:50 Uhr

Qualität der Kommentare

Leute, jetzt reisst euch mal zusammen.

Ihr müsst auch davon ausgehen, dass hier der ein oder andere Bauherr mal reinliest. Ihr sägt mit euren Kommentaren immer weiter am Image der Architektenschaft, ist euch das bewusst?

8

Rolfo | 08.07.2019 14:45 Uhr

Mini-Malismus

Was soll das sein?
John Pawson für Arme?

7

Christian Richter | 05.07.2019 16:37 Uhr

@Klappstuhldachs

Nun, das ist sicher genau die Frage, wie der Beruf betrachtet wird. Mein Wunsch, die Architektin hätte auch ergebnisoffener mit den Wünschen ihres Bauherrn umgehen können, ist ja nicht zuletzt mit der Enttäuschung verbunden, die die Abbildungen des zwar adrett gestalteten, aber merkwürdig leer wirkenden Innenraums hervorgerufen haben. Mein Eindruck - aus großer Ferne zu den beteiligten Personen sicherlich - ist also, es hätte etwas viel Besseres entstehen können. Weil Frau Weinmiller das kann. Aber auch, weil ich die Idee, der Bauherr wisse überhaupt nichts über seine Wünsche, für sehr abgehoben halte. Das hat mit dem Stöckchen nichts zu tun. Sondern mit Kommunikation und gegenseitigem Verständnis.

6

Klappstuhldachs | 05.07.2019 14:28 Uhr

@Christian Richter

Ist es nicht gerade beachtenswert, dass die Exkursion es bewirkt hat die Gemeinde zu überzeugen und das pädagogische Wirken der Architektin entlohnt wurde?

Man hätte die Gemeindemitglieder auch innerhalb ihres Erfahrungshorizontes schmoren lassen können und dann hätten sie wieder eine Kirche bekommen, "durch deren Fenster man die Passanten sehen konnte."

Am Ende läuft es auf die Frage hinaus, wie der Beruf definiert wird. Möchten Sie Räume und Situationen schaffen und aktiv beeinflussen und in den Nutzern Wünsche hervorrufen, von denen diese vorher selber noch nichts wussten? Oder einfach über jedes Stöckchen springen und Ihre Tätigkeit auf die eines reinen Dienstleisters reduziert haben? Womit wir auch wieder den Bogen zum EuGH-Urteil schlagen können.

5

Christian Richter | 05.07.2019 11:13 Uhr

Wäre es nicht ...

Wäre es nicht auch möglich gewesen, dass sich umgekehrt die Architektin von der Gemeinde überzeugen lässt, und einen schönen Kirchenraum mit Fenstern schafft. Das Verfahren, die Gemeinde mit der Exkursion zu überzeugen erscheint mir sehr schulmeisterlich. Ich hatte mir die Bilder angesehen, bevor ich den Text las. Mein erster Gedanke war: leider wieder so ein (schöner) Innenraum ohne Fenster. Das Bild eines in sich gekehrten Andachtsraumes wirkt im Hinblick auf die Funktion sehr vergangenheitsbezogen. Was soll denn Kirche heute sein, wie soll ein Gottesdienst heute sein? Das Gebäude ist mir zu sehr von der Architektur her gedacht, und das Ergebnis war offensichtlich von vornherein festgelegt.

4

gast | 05.07.2019 09:37 Uhr

super

Sehr gelungener Entwurf!

3

miesvanderrohe2000 | 04.07.2019 22:34 Uhr

Lichtdurchflutet auch ohne Fenster

Ein einzigartiger, mutiger Entwurf!

2

gentleman | 04.07.2019 19:38 Uhr

@gentlegiantgiant

Dem Grundriss nach zu urteilen verbergen sich hinter den Türen im linken Seitenschiff die Schiebewände, mit der die Vorhalle abgetrennt wird. An der Stirnwand des rechten Seitenschiffes erkenne ich auf dem Foto eher ein stilisiertes Kreuz und reduzierte Kerzenhalter.

1

gentlegiant | 04.07.2019 16:16 Uhr

3-schiffiger Raum

Irgendwie ist dieser 3-schiffige Raum doch nicht wirklich überzeugend. Die spannende Schnittfigur wirkt zumindest auf den Fotos im Ergebnis sehr profan. An den Enden der Seitenschiffe verbergen sich Wandschränke oder Garderobenhaken (?), bzw. direkt unter dem Lichtband die Lautsprecher. Genau da, wo man vielleicht einen Seitenaltar erwarten würde? Es wirkt wie historisch informiert aber nicht ganz verstanden, den Verweis auf St. Anna finde ich ein bisschen peinlich: nur, weil ich da auch nicht aus dem Fenster schauen kann?

 
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