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09.04.2019

Wir müssen über Identität reden

Jean Nouvel über das Nationalmuseum von Katar


Am 28. März eröffnete das neue Nationalmuseum von Katar, entworfen von Jean Nouvel. Der BauNetz-Beitrag dazu wurde vielstimmig kommentiert. Jetzt erklärt der Architekt seine Herangehensweise. Unser Autor sprach mit ihm über geheimnisvolle Rosen, filmreife Räume und die Stärkung des Lokalen.

Interview: Norman Kietzmann


Monsieur Nouvel, Sie haben in Doha das erste Nationalmuseum des 21. Jahrhunderts entworfen. Was muss ein solcher Bau heute können?

Die Geschichte von Katar verlief nicht linear, sondern in großen Sprüngen. Davon müssen wir erzählen, und das macht es spannend. Ich wollte kein Gebäude, das auf die Vergangenheit ausgerichtet ist, sondern eines, das diesen starken Kontrast zeigt: Die Epoche des Nomadentums und der Wüste auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die neuen Aktivitäten: Energie, Gas, Öl und das Streben in die Zukunft. Als Architekt muss man auf diese Widersprüche antworten.

Der Ort des neuen Museums an der Corniche, der Strandpromenade von Doha, beschreibt diese Verbindung zwischen Tradition und Gegenwart. Dort steht auch ein königlicher Palast aus dem Jahr 1906, der seit den 70er Jahren als Nationalmuseum von Katar genutzt wurde. Wie sind alt und neu miteinander verbunden?

Das Grundstück entspricht der besonderen Beziehung von Sand und Wasser, die stellvertretend für Katar ist: Denn das Land ist eine Wüsten-Halbinsel, die vom Meer umgeben ist. Wenn man mit dem Boot über die Bucht der Corniche kommt, sieht man den Palast mit seinen quadratischen Mauern. Das neue Museum senkt sich zur Wasserseite ab, um den Blick auf den Altbau frei zu halten. Gleichzeitig umklammert das Museum den Palast, als würde es ihn beschützen.

Als Symbol für die Wüste haben Sie die Sandrose gewählt. Die mineralischen Gebilde entstehen in extremer Trockenheit, wenn Wasser aufgrund von großer Hitze aus tiefer gelegenen Schichten nach oben steigt und dort verdunstet. Die im Wasser enthaltenen Salze kristallisieren und verbinden sich mit dem Sand zu eindrucksvollen Strukturen.

Die Sandrose hat etwas Mythisches. Etwas, das man nicht sofort begreift. Sie steht für das Archaische und die Ewigkeit der Wüste. Doch wenn sie übermäßig stark vergrößert wird wie im Falle dieses Museums, dann wird die Sandrose auch zum Symbol für den Modernisierungsprozess, der dieses Land erfasst. Aus architektonischer Sicht ist die Sandrose eine außergewöhnliche Typologie, bei der sich unzählige Scheiben gegenseitig überschneiden und eine hohe Komplexität erzeugen. Indem diese unklare, unpräzise Form in den Maßstab eines Gebäudes übertragen wird, entsteht etwas Erstaunliches, Aufschlussreiches und Sympathisches.

Wie sind Sie auf die Idee der Sandrose gekommen?

Ein Architekt muss immer etwas finden (lacht). Ich lasse die Ideen fließen bis zu dem Moment, an dem mich eine davon packt. Ich bin ein absoluter Nachtmensch. Und häufig passiert dieser Moment erst am Morgen, wenn der neue Tag schon wieder längst begonnen hat. Es ist auch oft eine Überraschung für mich selbst. Denn ganz egal, was für eine Idee mir kommt: Ich versuche mir immer sofort vorzustellen, wie sie sich in der Realität anfühlt: wie die Höhe, die Größe, die Proportionen wirken. Das sind schließlich die wichtigsten Fragen für einen Architekten.

Die sich gegenseitig überschneidenden Scheiben sorgen für starke Vor- und Rücksprünge im 52.000 Quadratmeter großen Baukörper. Die Folge sind unzählige Schatten, die mit dem Sonnenstand wandern und dem Gebäude eine veränderliche Komponente geben.

In einem Land wie diesem ist es gut, wenn die Sonnenstrahlen nicht die Fenster berühren. Die Idee der Sandrose haben wir so weit getrieben, dass die großen Scheiben als wirklicher Sonnenschutz dienen. Ein wenig wie eine Brise Soleil auf einer Mauer oder an einem Fenster, nur dass hier die räumlichen Dimensionen sehr viel ausgeprägter sind. Das Spiel mit dem Sonnenlicht ist interessant, weil sich das Gebäude nach allen Richtungen orientiert. Je nach Uhrzeit entstehen Schatten, während andere wieder verschwinden. Alles ist in Bewegung.

Lassen Sie uns über die Innenräume reden. Auch in ihnen setzen Sie die Typologie der Sandrose weiter fort. Warum sollten ganz bewusst keine White Cubes entstehen?

Nur ein Bild von außen zu erzeugen, wäre ja idiotisch. Indem sich die Typologie der Sandrose mit all ihren Überschneidungen auch in den Ausstellungsräumen fortsetzt, entsteht eine ganz neue Art von Szenografie. In den meisten Museen fällt man von einem Saal in den nächsten. Hier weiß man nicht genau, wo der eine Raum aufhört und der andere beginnt. Die Fußböden sind häufig schräg, die Wände geneigt, die Decken sehr hoch, die Rhythmen variieren ständig.

Die Innenwände werden zumeist vollflächig mit Filmen bespielt, sodass die Architektur auch die Rolle der Ausstellungsarchitektur erfüllt. War dieser Aspekt von Anfang an Teil der Planung?

Ja, denn es war uns wichtig, dass die Architektur dem Inhalt dient und mit ihm übereinstimmt. Deswegen nehmen die Filme die exakte Form der Scheiben an, die einen Durchmesser von 15, 20 oder 30 Metern haben. Da die Bewohner Katers lange Zeit als Nomaden in der Wüste gelebt haben, gibt es weniger Artefakte, Kunstobjekte, Möbel oder andere Dinge im Vergleich zu sesshaften Kulturen. Darum war es wichtig, die vorhandene Sammlung anzureichern. Genau das haben wir mit den Filmen gemacht, für die wir verschiedene Künstler und Regisseure gefragt haben, einzelne Themenbereiche filmisch zu interpretieren.

Die Größe der Projektionen erlaubt es, regelrecht in die Filme einzutauchen.

Ja, man ist wirklich mittendrin. Das ist zehnmal besser, als sich unzählige Beschreibungen durchzulesen. Der Film The Coming of Oil von Doug Aitken läuft auf vier großen Bildschirmen gleichzeitig. Er ist ein wirkliches Meisterwerk. Ich denke, dass diese filmische Annäherung eine ganze neue Erfahrung generiert. Man kann mit Emotionen arbeiten und die vorhandenen Elemente der Sammlung mit neuen Arbeiten sprechen lassen. Auf diese Weise kann man einen Diskurs von einer Epoche zur anderen erzeugen.

Im November 2017 haben Sie mit dem Louvre Abu Dhabi ein weiteres Museum in der Region eröffnet. Warum sind Sie bei beiden Gebäuden völlig unterschiedliche Wege gegangen, wo sie doch in einer ähnlichen Klimazone und einem verwandten Kulturkreis liegen?

Weil es sich nicht um dieselbe Art von Museum handelt. Der Louvre Abu Dhabi ist auf die Kunst aus unterschiedlichen Epochen und Regionen ausgerichtet. Es gibt also einen Parallelismus, weil die Stärken von mitunter recht widersprüchlichen Zivilisationen im selben Moment gezeigt werden. Das Nationalmuseum von Katar spricht von der Kultur eines Landes, woraus sich eine ganz andere Typologie von Museum ableitet.

Viele westliche Architekten sind zurzeit in Doha aktiv. Rem Koolhaas + OMA haben die Nationalbibliothek entworfen, Ben van Berkel + UNStudio bauen das neue U-Bahn-Netz und Herzog + De Meuron planen das neue Orientalische Museum.

Katar ist ein Labor für zeitgenössisches Bauen geworden. Viele Architekten sind hierher gekommen. Und dieser Prozess ist noch lange nicht beendet. Das ist gut. Wir leben in einer Zeit, in der sehr viel Architektur ohne Architekten entsteht. All die großen Ingenieurbüros haben die technischen Mittel dazu, in wenigen Tagen die Parameter am Computer zu setzen und sie endlos zu wiederholen. Das ist die Welt von heute. Wir sehen überall dieselben Gebäude, die Städte werden immer ähnlicher und austauschbarer. Doch dagegen kämpfe ich. Wir müssen über die Identität der Kultur reden und damit auch über die Identität der Architektur. Genau darum geht es beim neuen Nationalmuseum. Es folgt keinem bestimmten Stil. Es folgt einem konkreten Sinn.

Das Interview erschien am 03. April 2019 in DEAR, jetzt baunetz i|d.

Fotos: Iwan Baan, Danica O. Kus


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Jean Nouvel

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