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18.12.2017

Buchtipp: Filmpaläste

Hybrid Modernism. Movie Theatres in South India


Im Süden Indiens ist das Kino allgegenwärtig. Hier boomt die Filmindustrie des Landes, die mit ihren musicalartigen Filmepen zu den produktivsten „Traumfabriken“ weltweit zählt. Der große Kinoenthusiasmus der Inder prägt auch den öffentlichen Raum der Städte auf einzigartige Weise: Ihn durchzieht ein dichtes Netz aus Lichtspielhäusern, die oft den gesellschaftlichen Mittelpunkt eines Viertels bilden oder ihm gar ihren Namen verleihen – zum Beispiel dem zentralen Majestic-Viertel in Bangalore. Ganze Straßenzüge sind übersät mit Filmplakaten, die flächendeckend Wände füllen und vor Fassaden hängen, so dass reales Stadt- und imaginäres Filmbild nahtlos ineinander übergehen. Überlebensgroße Abbildungen legendärer Filmhelden werden zur omnipräsenten Folie, vor der sich der städtische Alltag vollzieht.

Das Künstlerinnenduo Sabine Haubitz und Stefanie Zoche hat sich während dreier Recherchereisen in den Jahren 2010 bis 2014 auf die Spuren dieser reichen Kinokultur begeben und die ganz eigene architektonische Sprache und Formenvielfalt der Lichtspielhäuser dokumentiert, die zwischen den Fünfziger- und Siebzigerjahren in großer Zahl in Südindien gebaut wurden. Im Herbst 2016 erschien mit diesen Fotografien ein großformatiger Bildband unter dem Titel „Hybrid Modernism. Movie Theatres in South India“ im Leipziger Verlag Spector Books. Er gehört zu den zehn besten Architekturbüchern 2017, die im September im Rahmen der Frankfurter Buchmesse den DAM Architectural Book Award erhielten.

Während frühe, markante Kinogebäude, die dem Begriff „Filmtheater“ noch alle Ehre machten, in Europa und Amerika bereits zu großen Teilen standardisierten, anonym wirkenden Multiplexsälen weichen mussten, sind die alten Filmpaläste in Indien vielerorts noch im Originalzustand in Benutzung – wenngleich ihre Existenz auch hier zunehmend von kosteneffizienteren Großkinokomplexen bedroht wird. Die Bilder von Haubitz und Zoche, die den Charakter einer archivarischen Bestandsaufnahme tragen, führen die Vielfalt und Schönheit dieser modernistischen Bauten vor Augen, die oft selbst wie Kulissen wirken und so bonbonfarbenbunt sind wie die Filme, die in ihnen laufen. Die meisten von ihnen entstanden in den ersten Jahrzehnten nach der indischen Unabhängigkeit 1947 und verkörpern – ähnlich wie die von Le Corbusier zu Beginn der Fünfzigerjahre entworfene Stadt Chandigarh – den Wunsch und die Suche der jungen Nation nach einer neuen, modernen Identität.

Hervorstechende Merkmale dieser Kinoarchitektur sind die ungewöhnliche Mischung aus westlichen und lokalen Einflüssen, die extravaganten geometrischen Formen und Ornamente und die leuchtende Farbgebung. Elemente aus Bauhaus, Art déco, sozialistischer Architektur und der traditionellen indischen Bauweise finden hier zu einem neuen, postkolonialen Baustil zusammen, den die beiden Fotografinnen mit ihren Bildern als „hybride Moderne“ charakterisieren. Die meist frontal aufgenommenen Außenaufnahmen dieser Betonbauten bezeugen eindrücklich ihre verführerische optische Anziehungskraft. Ihnen stehen im Verlauf des Buches zahlreiche Bilder aus den ebenso charmanten Innenräumen gegenüber, die meist nur einem großen Saal umfassen und deren einstige Eleganz zwar etwas verblasst, doch noch stets sichtbar ist.

Das Buch fasziniert dabei nicht nur inhaltlich, sondern überzeugt auch durch sein klares, stimmiges Design und seine haptische Qualität. Ein Hartkartoneinband gibt beim Aufklappen den Blick auf einen fadengehefteten Buchblock frei, die Bildserie der Kinogebäude auf griffigem, matten Papier wird immer wieder durchbrochen von Abbildungen der collagenhaft in den Straßen hängenden Filmplakate. Der inhaltlichen Logik des Bildmaterials folgend, wurden sie auf Affichenpapier mit blauer Rückseite gedruckt, das klassischerweise für Außenwerbung verwendet wird und in der Publikation einen ganz eigenen Farbakzent setzt. Ergänzt werden die Fotografien von Haubitz und Zoche von zwei Essays, in denen der Architekt Rohan Shivkumar und S. V. Srinivas, Professor für Populärkultur in Bangalore, Einblicke in Tradition und Gegenwart sowie in die gesellschaftliche Rolle des indischen Kinos geben.

Text: Diana Artus

Hybrid Modernism. Movie Theatres in South India

Haubitz + Zoche
Spector Books, Leipzig, 2016
144 Seiten
Textteil in Deutsch und Englisch
ISBN 9783959050777
42 Euro


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Haubitz+Zoche, „Hybrid Modernism. Movie Theatres in South India“

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