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01.07.2005

Alle Zeichen auf Abriss

Gutachten der Berliner Messe zu Deutschlandhalle und ICC - mit Kommentar


Am 28. Juni 2005 stellte die Messe Berlin ein Gutachten des Büros von Gerkan Marg und Partner gmp (Hamburg) zu Zustand, Umnutzungskonzept und Sanierungskosten des Internationalen Kongresszentrums ICC in Berlin-Charlottenburg vor. Gleichzeitig präsentierte sie einen Entwurf von gmp für ein DCC - Deutschlandhalle Convention Center - genanntes neues Kongresszentrum in unmittelbarer Nachbarschaft des ICC auf dem Gelände der jetzigen Deutschlandhalle.

Der geplante Neubau ist eine funktionale, annähernd quadratische Box, die von einem unterhalb der Gebäudeoberkante auskragenden Eingangsdach und einer gleich großen Bodenplatte „gerahmt“ wird. Geschätzte Kosten des Projekts: 62,8 Millionen Euro.

Das Gutachten zum ICC fasst die Messe Berlin mit folgenden Worten zusammen: „Das Architektenbüro betont dringenden Handlungsbedarf. Die Räumlichkeiten des ICC Berlin befinden sich laut Aussage von gmp auch 26 Jahre nach der Eröffnung in einem sehr guten Zustand. Das Hauptproblem seien die eingebauten technischen Anlagen, die für den weiteren Tagungsbetrieb hohe Investitionen in Modernisierung erfordern.
Die Berechnungen ergaben, dass dem Land Berlin und damit dem Steuerzahler in den nächsten Jahren Ausgaben von gut 200 Millionen Euro erspart werden könnten. Dazu müsste das ICC Berlin mittelfristig statt als reines Kongresszentrum gewerblich vielseitiger nutzbar gestaltet werden. Es ginge darum, die Hauptnutzfläche des riesigen Gebäudes (152.400 Quadratmeter Bruttogeschossfläche) von derzeit 10,6 Prozent deutlich zu erhöhen, auf Werte um etwa 40 Prozent bis 50 Prozent, um eine eigenständige, wirtschaftliche Überlebensfähigkeit mit messenahen Nutzungsinhalten zu gewährleisten. Dazu gehören Elemente wie Entertainment, Erlebnisgastronomie, Wellness und Lifestyle.“

Die Berichterstattung in den Berliner Tageszeitungen schwankt zwischen empört und ernüchtert:

Während der Tagesspiegel am 29. Juni 2005 noch „Alles läuft auf einen Neubau hinaus“ titelt und daneben einen achitekturhistorischen Rückblick zur Deutschlandhalle liefert, wird am 30. Juni auf die Bedenken der Stiftung Denkmalschutz Berlin hingewiesen, die der Messe Berlin unter anderem „Einfallslosigkeit in Bezug auf eine Senkung der Betriebskosten des ICC“ vorwirft. Die Grünen „warnen vor der Kostenkalkulation von gmp“ in Erinnerung an die Aussagen von Gerkans zur Kostenexplosion des Tempodroms („Bei öffentlichen Bauten ist es die Regel, dass die Politik zunächst unrealistisch niedrige Kosten nennt“).
Die Berliner Morgenpost zitiert die CDU-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf, die neben denkmalschützerischen Bedenken vor allem sportliche in Feld wirft: Bei einem Abriss der Halle „stünden Hunderte von Eissportlern ohne Trainings- und Spielstätte da.“


Kommentar der BauNetz-Redaktion:

Die Berliner Politik will seit Jahren unbedingt die denkmalgeschützte Deutschlandhalle loswerden, weil sie den beiden für die gescheiterte Olympiabewerbung entstandenen Hallen Velodrom und Max-Schmeling-Halle jegliche Konkurrenz vom Leibe halten will. Der erste Abrissversuch scheiterte 1997; damals wurde die Deutschlandhalle renoviert und als Stätte für Eissportarten hergerichtet.

Jetzt versucht sie es wieder. Diesmal muss die angebliche oder tatsächliche Untauglichkeit des ICC dafür herhalten: Um die laufenden ICC-Betriebskosten loszuwerden, will man einfach ein kleineres, neues Kongresszentrum bauen und das ICC abgeben - an wen auch immer. Für diese neue Kongresszentrum findet sich - welche Überraschung - nirgendwo Platz - außer ausgerechnet auf dem Grundstück der Deutschlandhalle. Also weg damit!

Wie das Gerangel diesmal ausgeht, lässt sich noch nicht prognostizieren. Auf jeden Fall ist es ein Stellvertretergefecht, denn es erscheint ernsthaft kaum vorstellbar, dass jemand tatsächlich das Posemuckel-DCC aus gmps Studie als Ersatz für das ICC bauen wollte. Wahrscheinlich würde man also prophylaktisch die Deutschlandhalle abreißen, um dann - auch das ist gute Berliner Tradition - dort erstmal rein gar nichts zu bauen.

Zum ICC: Als 2002 dort der UIA-Kongress abgehalten wurde, glaubten viele japanische Besucher, das ICC sei ein extra für diesen Architektenkongress errichteter Neubau. Ob die Geschichte stimmt oder nur gut erfunden ist, tut nichts zur Sache. Das Siebziger-Jahre-Raumschiff ICC gehört zu Berlin wie Reichstag und Brandenburger Tor. Es aufgeben und abreißen zu wollen, wäre ein baukultureller Frevel.
Richtig ist, dass es nach (raum-)ökonomischen Gesichtspunkten unpraktisch geplant ist. Aber ist nicht gerade die Flughafenathmosphäre mit den enormen, ja großartigen Verkehrsflächen das prägende Element dieser Architektur?
Dass die Kongresstechnik veraltet ist, kann nicht dem ICC angelastet werden; das wäre in jedem anderen Gebäude nach einem Vierteljahrhundert Nutzung nicht anders.
Bei einem Umbau des ICC, ob durch die Messe (also das Land) oder einen privaten Betreiber, wird man darauf zu achten haben, dass die typischen Merkmale vor allem des Innenausbaus erhalten bleiben. Das geht bis hin zu den quietschbunten Siebziger-Jahre-Teppichböden oder -Leuchten. Eine Entkernung würde das ICC irreparabel beschädigen, dem Haus jeglichen Witz nehmen. Und das würde man dann schon wenige Jahre später bitter bereuen.

Benedikt Hotze


Zu den Baunetz Architekt*innen:

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