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04.02.2010

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Masterpiece der Braunschweiger Schule

Gerkan für Zivilcourage der Architekten


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Der Aufruf klang nach Alarm. Massivem Alarm. Von „gefährdetem Erbe“ war da die Rede, und von der „Gefahr“, dass die Gebäude ihren Denkmalwert verlieren könnten. Schließlich der Appell, dabei mitzuhelfen, „die Kulturdenkmäler der ‚Braunschweiger Schule‘ auf dem Gelände der TU Braunschweig vor der Zerstörung zu retten“ (siehe auch BauNetz-Meldung vom 3. Februar 2010).

Hut ab: Hier gründet sich eine „Arbeitsgemeinschaft Netzwerk Braunschweiger Schule“, vorangetrieben von jungen wissenschaftlichen Mitarbeitern, die die legendären Lehrer Kraemer, Oesterlen und Henn nie selbst erlebt haben können. Was offenbar sonst niemand tut, gelingt der Initiative: Sie stößt eine öffentliche Diskussion über den Umgang mit diesen Bauten der Nachkriegsmoderne an, die einerseits als exemplarische Schulungsobjekte einer ausgeklügelt gestalteten Spätmoderne gelesen werden können und andererseits natürlich nach 50 Jahren Nutzung (und Abnutzung) sanierungsbedürftig sind und heutigen energetischen Anforderungen nicht mehr genügen.

Alarm also in Braunschweig. Doch was genau dort zur Disposition steht, was zum Beispiel genau bei der angeprangerten „laufenden Sanierung des Okerhochhauses“ schiefgegangen ist, wird für Außenstehende zunächst nicht deutlich. Wir machen uns also ein Bild vor Ort.

Anlass für unseren Besuch ist eine öffentliche Veranstaltung am gestrigen 3. Februar in Braunschweig, zu der die Initiative den Architekten Meinhard von Gerkan als Redner gewonnen hatte – Gerkan, der selbst in Braunschweig studiert und dann 29 Jahre auf dem Lehrstuhl des „Braunschweiger-Schule“-Protagonisten Friedrich Wilhelm Kraemer gelehrt hatte. Was viele erst zum Ende des Abends erfahren: Gerkan feiert an eben jenem Tag seinen 75. Geburtstag nach.

Doch zunächst einmal geht es in die Details. Auf einem improvisierten Vorab-Presserundgang bei Stockdunkelheit und Eiseskälte zeigen die jungen Assistenten die „womöglich“ gefährdeten Bauten, wie es inzwischen einschränkend heißt. Beim Okerhochhaus von Oesterlen sieht man nicht allzu viel hinter Gerüsten und Planen. Im verrammelten Audimax ist eine Baustelle eingerichtet worden; was hier und im benachbarten Rektorat passieren soll, wissen sie nicht so genau. Alles wirkt irgendwie geheimnisvoll, und dann ist da auch noch die Rede von zurückgehaltenen Plänen und Informationen. Gibt es hier womöglich die ganz große Verschwörung der vereinigten Bau-Ignoranten aufzudecken?

Szenenwechsel, eine halbe Stunde später. Der größte Hörsaal des Altgebäudes ist hell, warm und bis auf den letzten Platz besetzt. Familientreffen der Braunschweiger Architektenszene; vom Studenten bis zum emeritierten Professor sind alle dabei.

Und gleich die erste Überraschung: Die drei beauftragten Planer der drei Baustellen Okerhochhaus, Audimax und Rektorat sind keineswegs irgendwelche namenlosen Unmenschen, sondern alle drei sind ehemalige Schüler oder Assistenten von Meinhard von Gerkan, alle drei BDA-Architekten. „Wissen Sie eigentlich, auf was Sie sich da eingelassen haben“, hatte eine Vertraute Gerkan vorab noch zu warnen versucht. Er machte das Klügste, was er machen konnte: Er schlug im Vorfeld vor, dass die Drei zunächst in Kurzvorträgen ihre eigenen Pläne vorstellen können.

Am eindrucksvollsten gelingt das Rainer Ottinger von O. M. Architekten: „Wir alle drei sind TU-Gewächse. Ich bin der Audimax-Mann. Ich bin Vollblut-Entwerfer. Ich werde den Teufel tun, diese Gebäude zu versauen!“ Aber auch: „Ich habe zwar einen Riesenrespekt vor der Substanz der Kernbauzeit. Ich nehme mir aber auch das Recht, einen neuen Layer aufzutragen!“ Man bekommt jedenfalls den Eindruck, das Audimax, das hauptsächlich technisch „ertüchtigt“ werden soll, sei bei ihm in guten Händen.

Schon etwas weniger Vertrauen erweckt der Architekt Heiko Vahjen von Vahjen+Partner, der weitgehend seinen jungen Projektleiter über die fast abgeschlossene Sanierung des Okerhochhauses sprechen lässt. Dieser betont in einem irgendwie technokratischen Vortrag immer wieder, alle Maßnahmen seien mit allen Beteiligten abgestimmt worden, auch mit dem Denkmalschutz. Von Gerkan  kontert darauf: „Mir sind nur wenige Fälle bekannt, bei denen etwas Gutes herauskommt, wenn alle zustimmen.“ Gerkan fordert „Zivilcourage der Verantwortung gegenüber dem, was die Vorfahren geschaffen haben“.
Die Fassadenkonstruktionen des Okerhochhauses sind komplett ersetzt worden durch raumhohe Aluminiumsysteme mit vorgeblendeten Steintafeln, die die alte Optik nur noch nach außen hin simulieren. Erklärtermaßen hatte die Energieeinsparverordnung hier einen höheren Stellenwert als der Denkmalschutz. Die junge Assistentin Marika Schmidt schnappt sich couragiert das Mikrofon und prangert an, dass die Regeln des „Fügens“ hier nicht mehr ablesbar seien, das Gebäude als architektonisches Anschauungsmaterial für die Lehre nun nicht mehr tauge. Heiko Vahjen blafft zurück, sie solle doch endlich den Elfenbeinturm der Uni verlassen und sich in die Praxis begeben. Das ist der emotionalste Moment des Abends.

Gerhard Tjarks von Tjarks Wiethüchter Architekten schließlich ist mit dem Rektoratsgebäude befasst. Das Forum mit Bibliothek, Rektorat und eben Audimax gilt als „das architektonische Masterpiece“ der Braunschweiger Schule. Und Tjarks positioniert sich als dessen trauriger Verteidiger, der leider, leider einem unwilligen Bauherrn ausgeliefert ist.
Das Kernproblem des Rektoratsgebäudes ist seit seiner Erbauung die einzige Trepppe, die offen mitten im Haus liegt. Das war schon damals aus Brandschutzgründen unzulässig, was aber einfach 45 Jahre lang ignoriert wurde. Jetzt sollen zwei weitere Treppen unauffällig an den Enden des Riegels eingebaut werden. Doch damit nicht genug: Auch die Fensterprofile der Fassaden sollen ausgetauscht werden; zudem will der Nutzer im Inneren die durchdetaillierten hölzernen Flurwände weghaben. Von Gerkan mit einem Anflug von Skepsis: „Tjarks hat glaubwürdig seine Wertschätzung für das Gebäude bekundet. Hoffen wir, dass er mit der größten Sorgfalt zu Werke gehen wird.“

Meinhard von Gerkan kommt schließlich zu dem Schluss, dass diese filigranen, raffinierten und hochsubtilen Bauten, die mit Materialien (Ressourcen!) sparsam umgehen, sich gar nicht vertragen können mit den Anforderungen des Energiesparens. Der Umgang damit erfordere also einen abgewogenen Entscheidungsprozess, statt voreilig den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen: „Die Moderne ist in Verruf, weil sie so viel Schlechtes hervorgebracht hat. Da dürfen die wenigen guten Exemplare nicht zwanghaft in einem Rausch der Veränderung geopfert werden!“

Die Initiative der jungen Assistenten kann mit dem Abend zufrieden sein. Es soll in Zukunft regelmäßig öffentliche Erörterungen anstehender Planungen geben. Auf dass die Gefahr von der Braunschweiger Schule abgewendet werden möge. Wenn denn je eine Gefahr bestand.

(Benedikt Hotze)


Kommentare

3

Geht Doch | 05.02.2010 09:57 Uhr

Es geht auch anders:

Das Flebbe-Haus - eine in Braunschweig bekannte Kraemer-Ikone, wurde 2007 durch das Büro Karsten K. Krebs denkmalgerecht saniert und bekam dafür einen Preis für Denkmalpflege 2008. Die Hierachie war klar: Priorität hatte das Original, dann kam der Wärmeschutz

2

Mensadebatte Weimar | 04.02.2010 21:22 Uhr

Auch an anderen Universitäten

bilden sich Initiativen unter den Mitarbeitern zum Umgang mit den Bauten der Spätmoderne. In Weimar haben wir zusätzlich noch das Problem, es mit Bauten eines untergegangenen Staates zu tun zu haben, so dass der Fokus erst einmal auf dem Erhalt des Gebäudes bleibt. Dann sollte aber auch irgendwann die Reparatur anstehen, um das Gebäude in den nächsten Nutzerzyklus zu entlassen. Es muss ja nicht alles direkt ein Ausstellungsstück werden. Das Spektrum, dass sich in Braunschweig auftut, scheint uns typisch und dadurch hochinteressant. Wir bleiben dran.

1

Olaf Gisbertz | 04.02.2010 20:45 Uhr

Lieber Herr Hotze,

vielen Dank für Ihren Text über Ihre kurze Stippvisite in Braunschweig. Gut, dass nicht jeder der Anwesenden den Eindruck gewonnen hat, dass die Veranstaltung mit zu viel "Alarm", um nicht zu sagen, "Lärm um Nichts", eine Problematik angesprochen hat, die auch andernorts schon zu halbherzigen Entscheidungen geführt hat.

Es war doch bezeichnend, dass Herr Tjarks als einer der ausführenden Architekten unsere Initiative außerordentlich begrüßt hat, weil nun endlich eine Kommunikationsplattform für den fachlichen Austausch geschaffen worden sei, die es vorher so nicht gab. Man wird also die Absichtserklärungen der Architekten, wenn es nun um das Forum geht, auf ihre Umsetzung hin an den Objekten immer wieder überprüfen müssen.

Vielleicht kommen wir dann weg von dieser "Es-wird-schon-alles-gut-gehen"-Mentalität hin zu Bauergebnissen, die sich sehen lassen können. Das Okerhochhaus, das konnten die Verantwortlichen nicht leugnen, ist seiner architektonischen Qualitäten beraubt worden. Und das, weil auf allen Seiten Courage fehlte, sich über energetische Verordnungen hinwegzusetzen, die für "Baudenkmale dieser Kategorie ohnehin keine Relevanz" haben (Zitat Fisch).

Ich hoffe daher, dass Sie auch in den kommenden Monaten sich über den Bauvorgang hier in Braunschweig vor Ort informieren. Nach wie vor besteht Gefahr!

 
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Meinhard von Gerkan an seinem 75. Geburtstag in Braunschweig

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Volles Haus am 3. Februar

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Das Forum als Masterpiece der Braunschweiger Schule

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Das Okerhochhaus hat eine Fassade aus Bausystemen bekommen

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