Die Architektenkammer Berlin hat seit letzter Woche einen neuen Vorstand. Eike Roswag-Klinge (ZRS Architekten Ingenieure) wurde zum Präsidenten gewählt. Wiebke Ahues (LXSY Architektur) und Marina Kuck (PD - Berater der öffentlichen Hand) fungieren als Vizepräsidentinnen. Die bisherige Präsidentin Theresa Keilhacker war nicht mehr zur Wahl angetreten. Roswag-Klinge und Kuck kamen über die Wahlliste Architects for Future in die 41-köpfige Vertreterversammlung. Die Vertreterversammlung und der Vorstand vertreten ehrenamtlich die berufspolitischen Interessen der fast 10.500 Mitglieder der Architektenkammer Berlin.
Herr Roswag-Klinge, Frau Kuck, Sie wollen die Architektenkammer Berlin als Doppelspitze führen. Welche Idee steckt dahinter?
Unsere Grundidee ist es, Verantwortlichkeiten und Arbeitslast auf vielen Schultern zu verteilen, auch wenn das die aktuellen Regeln formal so nicht vorsehen. Wir arbeiten als Vorstand kooperativ und interdisziplinär zusammen, wodurch sich unsere verschiedenen Expertisen ideal ergänzen können.
Mehr als 50 Prozent der Kammermitglieder in Berlin sind zudem mittlerweile angestellt. Durch eine Doppelspitze aus einem Freischaffenden und einer Angestellten hoffen wir, die Belange aller Mitglieder adäquat repräsentieren zu können. Hinzu kommt, dass wir unterschiedlichen Generationen angehören und gegenseitig vom Austausch profitieren – Erfahrung und fundierte Wissenschaftlichkeit auf der einen Seite, Experimentierfreude und Angestelltenalltag auf der anderen Seite.
Ihre Vorgängerin Theresa Keilhacker hat programmatisch auf Themen wie Umbaukultur und Bauwende gesetzt, die momentan gesamtgesellschaftlich diskutiert werden. Die Architektenkammer Berlin hat damit auch außerhalb des Berufsstands für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Wo sehen Sie die Position der Kammer zwischen Berufsinteressen und Gesellschaft?
Wir sind als Wahlliste Architects for Future angetreten, um den erfolgreichen Reformkurs der letzten Vertreter*innenversammlung und auch von Theresa Keilhacker persönlich fortzusetzen. Die Notwendigkeit der sozialverträglichen Bauwende ist vier Jahre später gravierender denn je zuvor. Wir Architekt*innen sind Treuhänder unserer Bauherr*innen und der Gesellschaft. Die konzeptionelle und praktische Umsetzung der komplexen Transformationsaufgaben unserer Städte und des Bauwesens erfordert spezifische Kompetenzen und Fähigkeiten, die wir entwickeln und in der Breite in den Büros umsetzen müssen.
Wenn wir es schaffen, auf fundiertem wissenschaftlichen Fundament in Zeiten von Fake News und Postfaktischem robuste Konzepte zwischen Architektur, Landschaftsarchitektur, Städtebau und Innenarchitektur mit der Gesellschaft zu verhandeln und mit ihr umzusetzen, wird das Vertrauen in den Berufsstand wachsen. Es geht uns also nicht nur darum, Interessen des Berufsstandes zu vertreten, sondern auch der Gesellschaft und dem Gemeinwesen zu dienen und auch mal öffentlich nicht-positiv besetzte Wahrheiten auszusprechen.
Anfang Mai wurde die Zusammensetzung der Vertreterversammlung der Berliner Kammer bekanntgegeben, die alle vier Jahre gewählt wird. Architects for Future ist mit 12 Vertreter*innen stärkste Gruppierung, vor dem BDA mit zehn Vertreter*innen, der über viele Jahre die stärkste Gruppierung stellte. Was bedeutet dieses Ergebnis?
Wir freuen uns sehr über das große Vertrauen, das uns als Architects for Future entgegengebracht wurde und den damit verbundenen Wunsch, die Bauwende gemeinsam voranzutreiben. Diese Themen sind tief in der neuen Vertreter*innenversammlung verankert und alle Mitglieder haben sich zur Bauwende bekannt. Schlussendlich hat dies auch zu unserer Wahl in den Vorstand geführt. Wir sehen dies für den gesamten Vorstand als Auftrag und werden als Gruppe unseren Beitrag leisten. Dabei ist es uns sehr wichtig, mit allen Gruppen gut zusammenzuarbeiten.
Wohnen ist und bleibt eine der großen Herausforderungen in Berlin. Deshalb stellen wir Ihnen die gleiche Frage wie vor vier Jahren ihrer Vorgängerin Theresa Keilhacker: Welche Maßnahmen sind Ihres Erachtens im Wohnungsbau zu ergreifen, um die Lage zu entspannen?
Als Architects for Future sehen wir den aktuellen Wohnungsneubau eher kritisch. Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop beschreibt den unsichtbaren Wohnraum im Bestand, der seiner Schätzung nach Platz für 20 Millionen Menschen bieten könnte. Es gibt tolle Genossenschaften und städtische Agenturen, die erfolgreich aufzeigen, wie man diesen erschließen kann.
In Deutschland sind 1,7 Millionen Wohnungen leerstehend, die nur leider nicht alle am Alexanderplatz liegen. Städte wie Wittenberge oder Cottbus könnten über städtebauliche Programme attraktiver gemacht werden. Hier entsteht ein Trend, der gestärkt werden sollte. In leerstehenden Büros ruht ein Potenzial von 1,9 Millionen Wohnungen. Hier müsste steuerlich umgesteuert werden, um eine Gemeinwesenökonomie zu fördern. In den dann verbleibenden wenigen Metropolen mit sehr hohem Druck könnte über Aufstockungen Entlastung entstehen. Hier gäbe es bundesweit ein Potenzial von 2,4 Millionen Wohnungen.
Der Neubau auf der grünen Wiese ist der klimaschädlichste Lösungspfad und nicht mehr vertretbar. In urbanen Räumen wie Berlin gibt es genügend Flächen für eine Binnenentwicklung. Das engagierte und kreative Spiel auf allen genannten Lösungspfaden kann einen angemessenen Weg aufzeigen. Auf jeden Fall muss jede nur erdenkliche finanzielle und materielle Ressource in die Transformation des Gebäudebestandes fließen. Hier liegt die nachhaltige Lösung, auch die der Wohnungsfrage.
Ihre Wahl fällt zusammen mit dem Antritt der neuen Bundesregierung. Die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) hat Mitte Mai ihre erste Rede im Bundestag gehalten und unter anderem von „Tempo, Technologie und Toleranz“, von seriellem Bauen, 3D-Druck und Holzbau für Hochhäuser gesprochen. Sind das gute Signale?
Wir sehen die Verknüpfung von Naturschutz mit der Geschwindigkeit von Genehmigungsfragen als eher ungeeignete politische Aussage. Eine jede Fledermaus und ein jeder Spatz kann innerhalb der Planungszeiträume von Bauprojekten ein neues Habitat finden. Planungen scheitern nicht am Naturschutz, sondern viel mehr an komplexen, sich mitunter widersprechenden Genehmigungsverfahren und der fehlenden digitalen Bauakte sowie Baugenehmigung. Standardisierte digitale Prozesse und intelligent eingesetzte KI könnten hier sehr viel Zeit einsparen.
Natürlich freut uns das Bekenntnis zu nachwachsenden Rohstoffen, aber die Technologien eines Bauens in planetaren Grenzen – und um nichts weniger kann es gehen – müssen noch entwickelt werden. Der Transformationsbedarf der Bauwirtschaft weg vom fossilen Pfad und hin zur Kreislaufbauwirtschaft benötigt einen sehr hohen Forschungsaufwand.
Der Bausektor, der für 50 Prozent des Klimawandels und der Ressourcenverknappung verantwortlich ist, benötigt ein Vielfaches an Forschungsmitteln im Vergleich zur letzten Legislaturperiode. Wir schlagen Reallabore vor, in denen Forschung praktisch umgesetzt und der Wandel mit der Gesellschaft verhandelt wird. Diese könnten der mögliche Beschleuniger sein, den die Bauwirtschaft für die verbleibenden Jahre bis 2045 und der Erreichung der Klimagasreduktion und Ressourceneffizienz benötigt.
Die Fragen stellte Gregor Harbusch.
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Jan | 12.06.2025 15:23 Uhrohje
mehr als Allgemeinplätze, bekannte Theorien und abstrakte Ansätze kann ich mit bestem Willen nicht aus diesem Interview rauslesen.
Mich interessiert eher, wie die Wohnqualitäten im privaten und die Aufenthaltsqualitäten im öffentlichen Raum verbessert werden können.
Zudem wie unsere Branche zukunftssicher gemacht und die Gehälter angehoben werden können.
Das sind die Fragen um die sich meine Vertreter in der Kammer kümmern sollten.