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15.06.2020

Rückbesinnung in Ortbeton

Erweiterung der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart von Lederer Ragnarsdóttir Oei


Ein lang erwarteter Neubau harrt derzeit in Stuttgart seiner Eröffnung: Lederer Ragnarsdóttir Oei vermelden die Fertigstellung ihres Erweiterungsbaus für die Württembergische Landesbibliothek. Den zugehörigen Wettbewerb – der unter anderem den Umzug großer Teile des Magazinbestands in Freihandbereiche ermöglichen soll – gewannen LRO nach einer Überarbeitung im Frühjahr 2011. Die Erweiterung ist nach dem benachbarten Umbau des Wilhelmspalais bereits das zweite Projekt der Stuttgarter auf der „Kulturmeile“ Konrad-Adenauer-Straße. Auf den Fotos sind die Regale übrigens noch leer, doch laut diverser Posts in den sozialen Medien sind die Bücher längst auf dem Weg.

Der Standort der Bibliothek an der Konrad-Adenauer-Straße ist durch die städtebaulichen Paradigmen der 1960er Jahre geprägt: autofreundliche Verkehrsführung und freistehende Großkörper im lockeren Spannungsfeld statt eines repräsentativ gerahmten Boulevards. LRO positionieren ihren Baukörper, der nur durch einen Steg im ersten Obergeschoss an den zurückgesetzten Bestandsbau von Horst Linde angebunden ist, direkt an der Verkehrsader, um den Straßenraum zumindest etwas zu fassen. Der Bürgersteig, bislang an der Kreuzung Ulrichstraße zu Ende, wird nun bis zum Staatsarchiv fortgeführt. Durch den konstruktiv notwendigen Abbruch und Wiederaufbau der Tiefgarage entstand außerdem ein Platz mit breiten Treppen, der den Kubus des bestehenden Lesesaals in Bezug zum Mittelrisalit des Neuen Schlosses setzt.

Statt der 2010 vorgeschlagenen Sandsteinfassade zeigt sich der Anbau nun in hellem Sichtbeton – überhaupt hat sich viel getan seit dem ersten Wettbewerbsentwurf: Die stoische Schießschartenfassade ist einem spielerischen etagenweisen Wechsel der Fensterformate gewichen, das zunächst noch wie aufgesetzt wirkende Sheddach entwickelte sich zum prägenden Charakteristikum des Neubaus. Beide Elemente greifen die kupferne Materialisierung des alten Lesesaals auf. Mit der Fertigstellung der Erweiterung, die schon im Mai mit einem Betonpreis ausgezeichnet wurde, soll nun auch die Sanierung des Bestands folgen.

Im Inneren verzichten LRO wurde auf die Aufhellung des Ortbetons. Glatte weiße Einbauten treffen dort auf dunklere Oberflächen, deren sägeraue Schalungsmuster angesichts der Größe und Komplexität der Räume den handwerklichen Aufwand ihrer Herstellung auf atemberaubende Weise spürbar machen. Die augenfälligste gestalterische Entscheidung kann man im Übrigen ganz eindeutig als Verneigung vor einem anderen berühmten Nachbarn lesen: Der maigrüne Teppichboden, der selbstbewusst die Erweiterung der Landesbibliothek prägt, lässt an den leuchtend grünen Noppenbelag von James Stirlings Neuer Staatsgalerie ein paar Hausnummern weiter denken. (kms)

Fotos: Brigida González



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