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20.12.2022

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Buchtipp: Abenteuer Berliner Schloss

Erinnerungen eines Idealisten


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Der letztjährigen Eröffnung des Humboldt-Forums im wiedererrichteten Stadtschloss ging eine drei Dekaden währende Auseinandersetzung voraus. Seit der Wiedervereinigung hatte Wilhelm von Boddien dafür gestritten, dass der Palast der Republik abgebrochen und an seiner Stelle die Hohenzollernresidenz rekonstruiert wird. Dass das Vorhaben ohne den Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss kaum denkbar gewesen wäre, stellt das Vorwort zu seinen Denkwürdigkeiten heraus, die unter dem Titel Abenteuer Berliner Schloss. Erinnerungen eines Idealisten erschienen sind: „Wann geschieht es denn schon, dass sich ein repräsentatives Bauwerk so sehr mit dem Einsatz eines einzelnen Mannes verbindet?“

In der nämlichen Einführung als „unwahrscheinliche Geschichte“ angekündigt, bemüht von Boddien gleich zu Beginn seiner Erinnerungen den heldenhaften Odysseus, um sein episches Ringen um die Rekonstruktion zu schildern. Da er sich im weiteren Verlauf unter anderem auch auf ein Werk der Dramatikerin Yasmina Reza beruft und Antoine de Saint-Exupérys Kleinen Prinzen als Gewährsmann verpflichtet, mutet es umso überraschender an, dass Thomas Mann eine Randnotiz bleibt. Wer, wenn nicht Hans Castorp, der tüchtige Held aus dem Roman Der Zauberberg, wäre geeignet, dem norddeutschen Unternehmer von Boddien gegenübergestellt zu werden?

Ist die Schilderung von Castorps sieben Jahre dauerndem Aufenthalt im Alpensanatorium als Abgesang auf ein bürgerliches Zeitalter verstanden worden, das mit dem Kaiserreich zu Ende ging, steht von Boddien für eine engagierte Bürgerlichkeit, die keine 40-Stunden-Woche kennt: „Feierabend wurde zum Fremdwort.“ Als einer, der sich weder dem Schicksal ergibt noch den Entscheidungen der Obrigkeit harrt, dafür aber beste Kontakte zum Verlagshaus Springer unterhält, beschreibt von Boddien seine Bemühungen, die Öffentlichkeit für den Wiederaufbau einzunehmen und die erforderlichen Gelder zu organisieren. Mehr als unwahrscheinlich erscheint es, dass das Parlament ohne das vorherige Wirken des Vereins für den Abriss des Palasts der Republik und die näherungsweise Wiederherstellung des Schlosses gestimmt hätte.

Allen Unterschieden zum Trotz, die demnach zwischen den bürgerlichen Helden zutage treten, sind die Erzählungen durch die Thematisierung der Zeit geeint. Wo Thomas Mann seinen Protagonisten erst gemächlich und dann schneller, zumeist aber chronologisch vorangehen lässt, hat von Boddien allerdings eine kühnere Form gewählt. Wie sonst hätte er seine Bemühungen, dem längst Vergangenen zu neuer Gegenwart zu verhelfen, schildern können? So muss die Schlossattrappe erst durch einen winterlichen Orkan zerstört werden, dann findet sich die vorhergehende Suche nach Geldgeber*innen beschrieben. Womöglich ein Versuch, der stets schwierigen Beziehung zur deutschen Vergangenheit Ausdruck zu verleihen, fällt auch der immer wieder außergewöhnliche Gebrauch der Tempora auf: „Der Palast war ein riesiges, goldbraun glänzendes Gebäude, das sich bei vielen Bürgern der DDR großer Beliebtheit erfreute, weil es ein Erlebnis gewesen war, dort gegessen, gekegelt oder im Großen Saal ein Rockkonzert, einen festlichen Ball erlebt zu haben oder auch einen Parteitag der SED.“

Zeit, die Veränderung zeitigt, vergeht auch zwischen den Seiten des Buches. Rechtfertigt von Boddien die Rekonstruktion einerseits mit dem Argument, dass der „Plan des Architekten das eigentlich geniale Kunstwerk“ darstelle, „dessen bauliche Umsetzung Handwerkern aller Art anvertraut wurde“, ist ein nachfolgendes Kapitel  mit den Worten „Die große Kunst der Bildhauer“ überschrieben. (Da der Autor den anderen Gewerken überraschenderweise keine vergleichbaren Kapitel zugeeignet hat, werden die Leser*innen etwa nach einem Abschnitt über „Die große Kunst der Betonbauer“ vergeblich suchen.)

Als dem traurigen Helden eines traurigen Bildungsromans gelingt es Castorp nicht, aus den gegensätzlichen Lektionen, die seine Mitpatienten ihm erteilen, eigene Schlüsse zu ziehen. Demgegenüber zeigt sich, dass von Boddien – mitnichten einer ewigen Vorvergangenheit verhaftet – seine Tatkraft in den Dienst einer glücklich voranschreitenden Geschichte gestellt hat. Obschon die „Vertreter der Moderne, aber auch zahlreiche Architekten und Kunsthistoriker“ das Rekonstruktionsvorhaben kritisierten, konnte er doch auf den „einfachen Bürger“ setzen. Da er andererseits, wie in den Erinnerungen geschildert, auf Unterstützung aus der deutschen Wirtschaft bauen durfte, liest sich die Dokumentation des Schlosswiederaufbaus wie die Schilderung einer historischen Synthese, an deren Ende die Überwindung aller Klassengegensätze steht.

Die Versöhnlichkeit, die mithin aus den Seiten des Buches spricht, macht die Veröffentlichung zum idealen Weihnachtsgeschenk. Umso erfreulicher, dass von Boddiens Erinnerungen nun (nachdem der Architekt Philipp Oswalt „diskriminierende Falschaussagen“ in der Erstauflage beanstandet und das Berliner Landgericht eine strafbewehrte Unterlassung verfügt hatte) in einer zweiten, korrigierten Auflage vorliegen.

Selbstverständlich kann das wiedererrichtete Schloss, das bestenfalls aus der Ferne und mit etwas Fantasie an den Vorvorgängerbau erinnert, keinen Aufschluss über die preußische Königszeit geben. Zugleich bedingen die politischen Debatten dieser Tage, allen voran die Klimafrage, dass das Humboldt-Forum auch als Neubau des 21. Jahrhunderts anachronistisch erscheinen muss. Wer künftig allerdings etwas über die Sorgen und Sehnsüchte erfahren möchte, die das bürgerliche Deutschland in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung bewegten, findet in Wilhelm von Boddiens Erinnerungen ein bemerkenswertes Zeitzeugnis.

Text: Achim Reese


Abenteuer Berliner Schloss. Erinnerungen eines Idealisten
Wilhelm von Boddien
Gestaltung: Peter Nils Dorén Grafikdesign
224 Seiten
Wasmuth & Zohlen, Berlin 2022
ISBN
978-3803023704
24,80 Euro



Zum Thema:

Interesse an anderen Perspektiven auf das Berliner Schloss? Der Künstler Eiko Grimberg hat vor zwei Jahren das Buch Rückschaufehler publiziert. Letztes Jahr erschien Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss von Christian Walther, das sich der wechselvollen Nutzungsgeschichte des Hauses widmete.


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Kommentare

6

Gerd K. | 03.01.2023 14:40 Uhr

Imaginationen wiedervereinter Bürgerlichkeit (?)

Eine hervorragende Rezension!

PS: Die bürgerliche Revolution von 1848 hätte sich nach ihren Erfahrungen mit Wilhelm IV sicher gewundert, dass diese Schlossimagination Ausdruck der "bürgerlichen" Sehnsüchte eines wiedervereinten Deutschlands wurde... - Die Geschichte nimmt manchmal absude Wendungen...

5

RMS | 21.12.2022 18:01 Uhr

Fake-Schloss geht in die Literatur ein

Die Geschäftsidee des Herrn Boddien - jetzt auch noch als Buch vermarktet!

4

Eddymonster | 21.12.2022 10:40 Uhr

tatkraft

Unabhängig davon, was man von den Vorzügen des Projekts halten mag, ist es zweifellos beeindruckend, wie der Traum einer Person durch bloße Willenskraft Wirklichkeit wurde. Das deutsche Volk ergreift normalerweise nicht diese Art von Initiative.

3

Baudichtungslaie | 21.12.2022 09:51 Uhr

Nackt zu sein bedarf es wenig!

Sich als Kaiser zu erhöhn, würde von Boddien wohl nicht wagen,
gleichwohl könnt er dann sein Schloss
als neue Kleider tragen;
spann
er doch - wie die Weber einst im Märchen - eine Illusion,
der Bürgerlichen(?) Nostalgie,
verkleidet als Vision,
die doch vor aller Augen
sich eröffnet als Chimäre:
Preußens Pomp als Abziehbild,
umspannend

große Leere.
Mögen Viele sich versuchen,
mit Inhalt es zu füllen,
der sich weit erheben möge
über seine falschen Hüllen!

2

Fritz | 20.12.2022 18:54 Uhr

Kaiser

...vielleicht wird Wilhelm von Boddien ja noch der neue deutsche Kaiser und zieht schließlich in SEIN Schloß ein.....

1

Hinrich Schoppe | 20.12.2022 16:32 Uhr

Architektur...

... was ist das?

Schon nahezu erstaunlich, dass es die Besprechung dieses Buches auf die illustre "Baunetz"-Seite geschafft hat, da der Inhalt nur periphär mit Architektur zu tun hat.
Oder gerade doch, denn was ist Architektur heutzutage? Oder was war sie jemals?
Mit den Elfenbeinturmträumen aus Studientagen - so man diese überhaupt noch erlebt hat - und den Höhenflügen (und zeitweiligen Abstürzen) gewisser Stararchitekten, die sich gefühlt alles erlauben können hat das Tagesgeschäft sowieso nur marginal zu tun.
Also vielleicht ist es doch gerade richtig und wichtig zu lesen, dass Einzelne doch immer noch Berge versetzen bzw. rekonstruieren können aus schierer Überzeugung. Auch wenn einem selber der Topos eher befremdlich erscheinen mag....

 
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In den Erinnerungen findet sich der Hinweis, dass der Bau auf der Spreeinsel im Mai 1945 zwar beschädigt, aber besser erhalten gewesen sei als etwa das Charlottenburger Schloss.

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Auf 9.000 Quadratmetern bemalter Folie vermittelte die 1993 errichtete Schlossattrappe einen Eindruck der einstigen Hauptresidenz der Hohenzollern.

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