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15.02.2017

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Politisches Herumgewippe

Einheitsdenkmal in Berlin kommt doch


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Von Sophie Jung

„Zu teuer“ war im April 2016 das Argument gegen die Realisierung des Berliner Einheitsdenkmals. Das schien zunächst das Ende für ein Projekt, das nach öffentlichen Debatten 2007 vom Bund bewilligt worden war und ab 2011 nach einem Entwurf von Milla+Partner (Stuttgart) und der Choreografin Sasha Waltz umgesetzt werden sollte. Der Anlass für das öffentliche Kunstwerk vor dem Portal des rekonstruierten Berliner Stadtschlosses war bedeutend: Die Deutsche Einheit sollte mit ihm gewürdigt werden. Doch die „Einheitswippe“ – wie der Entwurf schon schnell im Volksmund verspottet wurde – sollte wegen 15 Millionen Euro Kosten (anstelle von ursprünglich 10 Millionen) wieder abgesägt werden, so der Haushaltsentschluss des Bundes im April 2016. Erleichterung, denn so richtig Rückhalt hatte das recht gesellschaftsschnulzige Denkmalkonzept von Milla+Partner und Waltz – eine begehbaren Schale, die sich je nach Anzahl und Verteilung der auf ihr stehenden Personen in die eine oder andere Richtung neigen kann – nicht. Doch die Alternative, die sich plötzlich im November letzten Jahres aufdrängte, ist noch schlimmer: Die Rekonstruktion der Kaiser-Wilhelm-Kolonnaden, deren Sockel noch immer am Spreeufer steht. Kosten: 18,5 Millionen Euro.

Schon stadtästhetisch ist das Kolonnaden-Projekt empörend, als ob nicht bereits genug Kaiserreich und Rekonstruktion an diesem repräsentativen Ort Berlins stattfinden würden. Doch viel überraschender ist, dass für den Wiederaufbau plötzlich die Mittel da waren, während die günstigere Wippe offiziell als nicht mehr finanzierbar galt. Hinter den Kulissen haben sich wohl einflussreiche Kräfte für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal stark gemacht: Neil MacGregor als Gründungsintendendant des Humboldt-Forums, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sollen die Fürsprecher gewesen sein, maßgeblich unterstützt von den Verantwortlichen für Kultur und Medien Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU) im Haushaltsausschuss des Bundes. Im November wurden vom Ausschuss die 18,5 Millionen Euro für die Rekonstruktion der Kolonnaden bewilligt (neben den 63 Millionen für den Wiederaufbau der Bauakademie). Mit dem plötzlichen Geldfluss schien auch die Entscheidung schon endgültig getroffen worden zu sein.

Dieser reichlich überrumpelnde, wenn nicht undemokratische Beschluss des Bundeshaushalts, rief jedoch zahlreiche Kritiker auf den Plan. Vor allem wurden die in den letzten Debatten weggeschlummerten Befürworter des Einheitsdenkmal wieder wach: DDR-Oppositionelle und Politiker wie Wolfgang Thierse (SPD) und Kulturschaffende wie die Schauspielerin Hanna Schygulla wandten sich gegen die verantwortlichen Ausschussmitglieder Kahrs und Kruse. In einem offenen Brief schrieben sie: „Die plötzliche, weitgehend undiskutierte Umwidmung” ignoriere „in unzulässiger Weise die Tragweite und Bedeutung vorangegangener Festlegungen des Deutschen Bundestages.“ Unterstützung fanden sie im Kulturausschuss, der Ende Januar in einem Fachgespräch mit Kulturexperten mehrheitlich beschloss, an der Wippe festzuhalten. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte sich in seiner Rede vor der Bundespräsidentenwahl für ein solches Denkmal stark gemacht. Gestern wurde nun entschieden: Die Wippe kommt doch! Und so kitschig die künstlerische Umsetzung der Deutschen Einheit von Milla+Partner und Waltz sein mag, sie ist politisch und ästhetisch die bessere Alternative.


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Kommentare

16

claus | 22.02.2017 00:11 Uhr

ironische Bananenkolonnaden

Criftler hat mit seinem Wunsch nach etwas mehr Ironie vollkommen Recht. So schön ich, im Prinzip, die Idee eines begeh- und benutzbaren Denkmals auch finde, so glaube ich doch, dass das Endprodukt an Normen und Unfallverhütung schlussendlich scheitern, bzw. die Benutzung derart eingeschränkt wird, dass sich der schöne Gedanke zu einer albernen Bürokratenfarce pervertiert. Ich war ja ein großer Fan der Einheitsbanane, aber das wäre für Deutschland dann wohl doch zu viel Ironie gewesen.

@andi
Sicher liegen Sie mit der Diagnose der geistigen Armut unserer Zeit richtig, der Stand der ästhetischen und historischen Bildung ist im freien Fall, was man eben auch an dem Wunsch nach Rekonstruktionen ablesen kann. Man ist zu denkfaul geworden um Qualitäten zu schaffen. Hier müssen sich sowohl Architekten (sehr richtig!) als auch Bauherren und besonders Politiker einiges vorwerfen lassen.
Sicher liegen Sie aber in einem anderen Punkt maximal falsch; und zwar darin, dass man Bauten (Kunstwerke) losgelöst von ihrem historisch-gesellschaftlichen Kontext bewerten kann. Zu sagen, nur weil wir jetzt die NS-Zeit ein bisschen blöd finden, ist das Haus der Kunst kein schlechter Bau, ist eine extrem oberflächliche Architekturbetrachtung. Entschuldigung, aber da waren wir schon weiter. Ich kann auch ehrlich gesagt nicht erkennen, wo die ästhetische Klasse des genannten Bauwerks liegen soll. Vielleicht können Sie das näher ausführen?

15

andi | 19.02.2017 09:57 Uhr

@jwb

Im Wideraufbau wurde doch damals schon das gleiche dikutiert wie jetzt zum Thema Rekontruktion. Auch damals wird die Architektur auf vergangene Zeiten projeziert. Egal ob schön oder nicht schön. Siehe Diskussion in München zum Haus der Kunst. Das Haus unideoligisch betrachtet ist klasse. Unsere Gesellschaft verurteilt aber die Zeit in der es gebaut wurde, verurteilt die die es gebaut haben und würden es am liebsten verotten lassen. Aber kann eine Demokratie nicht vernünftiger sein und darüber stehen?

Die Architektur ist ein Spiegel der Gesellschaft und wenn man sieht was momentan in unsere Landschaften gepflanzt wird, ob in Industrie-, oder Neubaugebieten, ob für Museen oder sonst was, dann kann man schon geistige Armut erkennen. Und man muss es auch den Architekten vorwerfen. Es wird nämlich genauso ideoligisch in eine Architekturrichtung vermittelt wie in der Politik auch. Auch hier müsste die Demokratie eigentlich auch andere Haltungen zulassen. Es wird aber nur verumglimpft und diffamiert. Eine neutrale, demokratische Berichterstattung sieht anders aus.

Und zum Thema mehr Geld, man kann vielen Architekten noch so viel Geld geben, Sie geben es aus und es steht danach leider allzuoft, ein nicht nachhaltiges, identitätsloses Etwas im Raum.

14

jwb | 17.02.2017 10:30 Uhr

Wiederarufbau vs Rekonstruktion

@andi

Für mich wirfst du zu viele unterschiedliche Dinge in einen Topf.
Wiederaufbau und Rekonstruktion sind für mich zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Um es aber kurz zu machen, meiner Meinung nach sollte Architektur immer ein Spiegel der Gesellschaft sein; (unreflektierte) Rekonstruktion solcher Gebäude zeugt von geistiger Armut, eine Gesellschaft in der wir uns hoffentlich nicht befinden.

Und das hat nichts mit dem ästhetischen Empfinden im Vorbeigehen zu tun, das du beschreibst. Mehr Geld (wie beim Schloss) hat bei der Gestaltung meist einen Vorteil. WDVS Gesimse stehen hier ja hoffentlich nicht zur Diskussion.

13

Andi | 16.02.2017 13:42 Uhr

@Disneyland

Würden Sie eine in den 50er Jahren wiederaufgebaute Berliner Stadt als Disneyland bezeichnen? Würden Sie es überhaupt merken?
Welche deutschen Städte finden Sie denn schön? Köln? Heilbronn? oder doch lieber Münster, Lübeck und Dresden? Aber stimmt, Ihnen geht es nicht um Schönheit sondern um den trivialen Gedanken des Zwecks in der Architektur. Form follows function, wie man es so lernt...
Aus meiner Sicht fällt die Entscheidung jedenfalls leicht.

12

Berliner | 16.02.2017 11:33 Uhr

Zutrauen!

Es ist erstaulich wie viel wir unseren Mitmenschen zutrauen. Dem Planer wird Inkompetnz unterstellt, da er nicht das Baurecht im Blick hat. Dem Ingenieur wird mangelnde Kompetenz bei der Konstruktion einer Mechanik bescheinigt. Dem Handwerker wird unterstellt, er könne die komplexe Mechanik nicht hertstellen, so dass sie benutzt werden kann über Jahrzehnte hinweg. Und zu guter Letzt wird dem Besucher nicht zugetraut, er könne, ohne sich zu verirren, die Wippe betreten und wieder verlassen. Traut euch und euren Mitmenschen mal was zu!

11

Criftler | 16.02.2017 09:21 Uhr

Schade

Schade, ein bisschen mehr Ironie hätte dem Denkmal und der Diskussion gut getan.

Ich finde eine Blumenwiese z.B. ganz toll. Besser als diese Helmut-Kohl-Gedächtniss Wippe!

10

archi | 16.02.2017 08:45 Uhr

wozu...

...braucht man das Teil überhaupt?

9

Toni Tek | 15.02.2017 19:12 Uhr

Kitsch

Die Schaukel ist Kitsch und wird weder dem Ort noch dem zu gedenkenden Inhalt gerecht. Sollte sie nun wirklich gebaut werden - was ich immer noch nicht so richtig glauben will - so ist folgendes Szenario nicht unwahrscheinlich: 4 Monate nach Fertigstellung funktioniert die Mechanik nicht mehr richtig, ein Gutachter wird kommen und dem Teil mangelnde Sicherheit bescheinigen. Alsdann wird stillgelegt - auf unbestimmte Zeit. Ein Bauzaun und eine sehr dauerhaft aussehende Informationstafel wird erklären, warum. 2036 wird das völlig marode Denkmal dann abgerissen. Inzwischen zieht wieder jemand die hässlichen und städtebaulich völlig kontraproduktiven Kolonnaden aus der Tasche, wird aber zum Glück nicht ernstgenommen. Man ruft einen Wettbewerb aus. Undsoweiter.

Dabei ist grundsätzlich ein Einheitsdenkmal ja gar nicht so eine verkehrte Idee. Aber das ganze ist nun total verkorkst. Das wird nix mehr an dieser Stelle. Schade.

8

Kraffi | 15.02.2017 18:20 Uhr

@ Paris:

Centre Pompidou, Eingangsgebäude des Louvre (Glaspyramide), Institut du Monde Arab, etc.
Niemand, aber auch wirklich niemad in Paris käme auf die Idee irgendetwas von König Ludwig den x-ten oder von Napolen wiederaufzubauen. Das gilt auch für Bordeaux, Lyon, Marseille und andere französiche und - ja - europäische Städte.
Diese Rekonstruktions-, bzw. Wiederaufbau-Debatte ist eine rein deutsche. Und vielleicht hat das viel mehr mit einem immer noch vorhandenem Verlustschmerz als mit Ästhetik zu tun.
Das wäre zumindest 'mal eine Diskussion wert.

7

Tine Wittler | 15.02.2017 17:41 Uhr

Entstehung eines Gesamtkunstwerk

...das deutsche Baurecht allein wird schon dafür sorgen, das die Bananenschaukel hochnot peinlich wird: Rampen, Brüstungen soweit das Auge reicht. Bleibt zu hoffen, das sich die Besucher nicht darauf verirren... - wobei: die deutsche Geschichte ist reich an Wirrungen und Irrungen... An Zäunen, Mauern und geistigen Schieflagen hat es nie gefehlt... Die Schaukel in Verbindung mit der Schlossrekonstruktion ist ein einzigartiges Gesamtkunstwerk, für das bereits vor Fertigstellung der Denkmalschutz beantragt werden sollte!

6

jwb | 15.02.2017 17:19 Uhr

Disneyland

@andi,

der Logik folgend müsste der Vergleich doch dann eher lauten: chinesische Fake-Stadt Pariser Art oder Brasilia.

Da fällt doch die Wahl einfach oder macht sich Baunetz irgendwo stark für den Abriss historischer Gebäude? Das wäre mir neu.

5

Andrea Palladio | 15.02.2017 17:00 Uhr

Gut gebrüllt

Möglicherweise ist dies die politisch bessere Lösung, ob sie ästhetisch mehr überzeugt, halte ich zumindest für diskussionswürdig.

4

balina | 15.02.2017 16:32 Uhr

Kolonnadenjahre

@auch ein architekt
Ihr Versuch, die Rekonstruktion der Kolonnaden und das Neue Eingangsgebäude für die Museuminsel in einen Hut zu werfen erscheint mir ästhetisch und zeitgeschichtlich sehr weit hergeholt

3

Lutz Kaufmann | 15.02.2017 15:46 Uhr

Mittelmaß

" ... sie ist politisch und ästhetisch die bessere Alternative.":
Immer mehr werden wir zu einer Gesellschaft des Mittelmaßes! Die "beste" Alternative ist anzustreben - nicht die "bessere"!

2

Andi | 15.02.2017 15:42 Uhr

Kopfschütteln

"Schon stadtästhetisch ist das Kolonnaden-Projekt empörend, als ob nicht schon genug Kaiserreich und Rekonstruktion an diesem repräsentativen Ort Berlins stattfinden würden."

Baunetz haut wieder Nägel rein. Sehr anmassend und unpassend. Die Redakteure würden wohl alle ein Leben in Brasilia vor einem Leben in Paris vorziehen.

1

auch ein | 15.02.2017 15:40 Uhr

architekt

liebes baunetz:

"Schon stadtästhetisch ist das Kolonnaden-Projekt empörend, als ob nicht schon genug Kaiserreich und Rekonstruktion an diesem repräsentativen Ort Berlins stattfinden würden."

die chipperfield gänge auf der museumsinsel habt ihr über den grünen klee gelobt......und nun?

 
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Sie soll also doch gebaut werden

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die Einheitswippe von Milla+Partner und Sasha Waltz

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Zur Rekonstruktion vorgeschlagen: das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal vor dem Schloss im Zustand um 1900

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