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06.10.2025

Steinkoloss im Dienst des Protokolls

Deutsche Botschaft Wien von Schulz und Schulz


Im 3. Wiener Bezirk ist anstelle des Nachkriegsbaus von Rolf Gutbrod ein Neubau für die Deutsche Botschaft entstanden. Die Pläne stammen von Schulz und Schulz, die 2016 einen entsprechenden Wettbewerb gewonnen hatten. Unser Autor war vor Ort.

Von Wojciech Czaja

Die Vertretung des deutschen Kaiserreichs in Wien, errichtet 1877 im Stil der italienischen Renaissance, wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört. Der Nachfolgebau von Rolf Gutbrod (1964), eine Ikone ganz im Geiste der nüchternen, zurückhaltenden Bonner Moderne, wurde durch den Zuzug der ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE irgendwann zu klein – und so beschloss man, das Botschaftsgebäude abzureißen und 2015 einen Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren auszuloben. Aufgrund der vielen Umbauten und Veränderungen am abrissgeweihten Gutbrod-Bau und auch angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland noch ein paar gut erhaltene Gutbrod-Bauten gibt, legte das Österreichische Bundesdenkmalamt kein Veto ein.

Ende September wurde das realisierte, damals siegreiche Projekt von Schulz und Schulz (Leipzig) nach dreijähriger Bauzeit der Presse vorgestellt. Der Garten mit seinen alten Linden, Platanen und Ahornbäumen ist erhalten geblieben, und auch die grobe Komposition zwischen Bebauung und Freiraum wirkt auf den ersten Blick wie ein Zitat dessen, was einst dort stand. Die Bauvolumina treten mit Ausnahme des Residenztraktes, der sich an die Straßenkante schmiegt und den Blockrand der Reisnerstraße aufnimmt, weit hinter die Grundstücksgrenze zurück. Doch abgesehen davon scheint die Deutsche Botschaft, die sich nun farb- und schmuckloser präsentiert als je zuvor, mit ihren beiden Vorgängerbauten nicht viel gemein zu haben.

„Das Schönste für uns Architekten ist, wenn man das, was man gemacht hat, gar nicht erst erklären muss, weil es ohnehin für sich selbst spricht“, erklärte Ansgar Schulz bei der Pressekonferenz. Dabei nannte er Worte wie Offenheit, Transparenz und Dialogbereitschaft. In einer Blickrichtung zumindest ist das Konzept ohne jeden Zweifel aufgegangen. Aus den Innenräumen der repräsentativen Beletage, die in ihrer Raumabfolge von Foyer, Empfangsraum, Bibliothek, Musiksalon und festlichem Speisesaal dem strengen Protokoll eines Botschaftsbetriebs entsprechen, blickt man durch riesige, 3,60 Meter hohe Glasscheiben ins Freie – auf die Terrasse und auf den polygonal eingefassten Garten, geplant von Därr Landschaftsarchitekten (Halle/Saale).

Offenheit und Dialogbereitschaft sprechen auch aus der Kunst-am-Bau-Arbeit des Düsseldorfer Künstlers Stefan Sous unter dem Titel „DEFORM“. In einer runden Beule von rund neun Quadratmetern – so groß, dass man darin eine Walzerdrehung vollführen kann (O-Ton Künstler) – stülpt sich der Sicherheitszaun ins Grundstück hinein, mit all seinen Eisenstäben und Überwachungskameras und erlaubt den Passant*innen, ohne Grenzkontrolle deutschen Boden zu betreten. In Anbetracht des derzeit weltweit angespannten diplomatischen Parketts sorgt diese unerwartet großzügige, aber auch subversive künstlerische Geste einen Moment lang für Gänsehaut.

Von außen präsentiert sich das rund 40 Millionen Euro teure Botschaftsgebäude mit dunklen, stark reflektierenden Sicherheitsgläsern, strengen Fensterbändern und einer bundesdeutsch perfekt orchestrierten Steinfassade. Die Steintafeln aus hellgrauem Krastaler Marmor (Kärnten) messen 30 mal 60 Zentimeter, die Details sind perfekt gelöst, sämtliche Räume, Kubaturen und Fassadenaufbauten im Grundriss und Schnitt so konzipiert, dass das gesamte Gebäude ohne einen einzigen Verschnitt auskommt. Das Resultat ist zwar architektonisch überwältigend, gleichzeitig aber irgendwie auch unsinnlich und atmosphärisch unbefriedigend. Wie zur ausgleichenden Gerechtigkeit führt eine wunderschöne, superschlank dimensionierte Wendeltreppe als Zitat der brüstungslosen Treppe in Oscar Niemeyers Itamaraty-Palast in Brasília hinab in den Garten.

„Wir sind für unsere Perfektion und Konstruktionsaffinität bekannt, und wir haben diesen Detailperfektionismus, wie wir das bei all unseren Projekten tun, in den Dienst der Sache gestellt“, sagt Architekt Ansgar Schulz. „Und was die Kritik an der fehlenden Sinnlichkeit betrifft, möchte ich die Frage stellen: Wie viel Gemütlichkeit verträgt denn wirklich die politische, diplomatische Repräsentanz, wenn hier schon bald reger Parteienverkehr stattfinden wird?“ Immerhin leben in Wien 85.000 Deutsche, was das Konsulat nach der Schweiz zur weltweit zweitgrößten Pass-Anlaufstelle für Auslandsdeutsche macht.

In den kommenden Monaten wird das Haus nach Plänen von Innenarchitekt*innen des Auswärtigen Amts und des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung (BBR) eingerichtet und gestaltet. „Mit Maßmöbeln, deutschem Design und vorzugsweise deutscher Kunst“, wie der deutsche Botschafter Vito Cecere im Gespräch betont. „Ich freue mich schon auf die Rückübersiedelung hierher.“

Fotos: tschinkersten fotografie, Roland Halbe


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