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20.07.2022

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Buchtipp: Kollektive Prozesse

Counterpractices in European Architecture


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Wer den Begriff „Fluide“ nicht auf Anhieb mit Bürostrukturen und architektonischer Planung zusammenbringt, sollte dieses Buch aufschlagen. Entgegen klassisch hierarchischer Arbeitsweisen und klarer Definitionen stellt Collective Processes. Counterpractices in European Architecture horizontal organisierte Architekturkollektive vor, die alternative Konzepte zum bestehenden Arbeitsmarkt aufzeigen und das Hervorheben einzelner „Star-Architekt*innen“ ablehnen. Autorin Natalie Donat-Cattin lässt diesen Diskurs durch transkribierte Interviews junger Planer*innen aus Europa erlebbar werden. Wie in einem tatsächlichen Gespräch mischen sich darin kritische Reflexionen der Architekt*innen mit politischen Kontextualisierungen, persönlichen Motivationen sowie Anekdoten aus der eigenen Biografie, dazwischen wurden Visualisierungen eingestreut.

Donat-Cattin hat dazu über den Zeitraum von 18 Monaten mit Repräsentant*innen zweier Generationen von Kollektiven gesprochen. Zu Wort kommen natürlich „Pioniere“ der späten 1990er bis Anfang 2000er Jahre, darunter raumlaborberlin und baukuh (Mailand, Genua). Doch auch jüngere Gründungen ab 2009 sind vertreten. Hier finden sich unter anderem Beiträge von orizzontale (Rom), Assemble (London) oder Lacol (Barcelona). Viele der Planer*innen beschränken sich in ihrer Arbeit nicht allein auf Architektur: Sie arbeiten an den Schnittstellen zu Urbanistik, Design oder Kunst. Sehr präsent ist die Beschäftigung mit den Auswirkungen von Lockdown und Social Distancing – dass die Interviews zu Beginn der Coronapandemie geführt wurden, ist deutlich wahrnehmbar.

Klare Definitionen sucht man in diesem Buch vergeblich. Vielmehr lehrt die Lektüre, dass diese im Entstehungsprozess neuer Strukturen sogar hinderlich sein können. Mit der Bezeichnung „fluides Etwas“ macht Donat-Cattin deutlich, dass sich die vorgestellten Akteur*innen nicht eindeutig unter dem Begriff des Kollektivs vereinen lassen, dieser aber als Diskussionsgrundlage dient. Einige bevorzugen die Bezeichnung als Netzwerke, Gruppen, Familie, kollaborative Arbeitsstrukturen oder kommen ganz ohne Zuschreibung aus. Im Vordergrund stehen der Diskurs und die verschiedenen Arbeitsweisen. Und die Herausforderungen im Bestreben, den Status Quo unsichtbarer Arbeit sowie Hierarchien traditioneller Planungspraxis aufzubrechen. Durch gemeinsame Werte, kollektive Entscheidungsprozesse, individuelle Emanzipation, Transparenz, flexible Arbeitsorte und freundschaftliche, vertrauensbasierte Strukturen kreieren die vorgestellten Gruppen neue Arbeitsumfelder.

Gegliedert ist das Buch anhand zentraler Interviewfragen, darunter: Wie ist das Kollektiv strukturiert? Wie hat es sich seit der Gründung verändert? Was ist das Ziel dieser Architektur? Die große Fluidität innerhalb einiger Kollektive wird dabei ebenso selbstkritisch angesprochen wie der universitäre Kontext, aus dem die meisten entstammen. Die Adressierung von Genderungleichheit eröffnet das Gespräch, denn noch immer sind es vor allem Männer, die als Repräsentanten und Gründungsmitglieder der Kollektive in der Öffentlichkeit stehen (und im Buch zu Wort kommen).

Obwohl sich die Antworten der Gruppen in manchen Punkten überschneiden, macht Collective Processes deutlich, wie verschieden horizontal arbeitende Akteur*innen trotz ähnlicher Zielvorstellungen strukturiert sind. Das Resultat ist ein bunter Strauß an Einblicken in alternative Organisationsformen, die durch den Interviewcharakter des Buches gleichberechtigt zu Wort kommen. Es wäre spannend, diese Perspektiven noch durch außereuropäische Stimmen erweitert zu sehen.

Text: Ariann Schwarz

Collective Processes. Counterpractices in European Architecture
Natalie Donat-Cattin

Englisch
248 Seiten
Birkhäuser, Basel 2022
ISBN: 978-3-0356-2470-0
39,95 Euro


 
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