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02.02.2022

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Buchtipp: Funkelnde Fundstücke

Colonialism and Modern Architecture in Germany


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Jüngst ist die amerikanische Architekturhistorikerin Itohan Osayimwese mit dem Schelling-Preis für Architekturtheorie ausgezeichnet worden. Die Jury begründete die Auszeichnung hauptsächlich mit Osayimweses Buch „Colonialism and Modern Architecture in Germany“. Das ist zwar schon etwas älter, von 2017, stellt allerdings eine Frage, die durch jüngste Restitutionsdebatten – unter anderem rings ums Berliner Humboldt-Forum – mühelos an den aktuellen Diskurs anschließt: Inwieweit haben sich die Entwicklungen der frühmodernen Architektur und die Entdeckungen der „exotischen Architektur“ in den Kolonien des Deutschen Reichs gegenseitig beeinflusst?

In fünf Kapiteln spannt Osayimwese ihren Untersuchungszeitraum zwischen den 1850er- und den 1930er-Jahren auf. Zuerst untersucht sie die architektonische Darstellung der deutschen Kolonien auf verschiedenen Handelsausstellungen um die Jahrhundertwende, so 1896 in Berlin, 1904 in St. Louis oder 1914 auf der Werkbundausstellung in Köln. Im zweiten Kapitel mit dem schönen Titel „The Irresistible Call of Adventure“ schaut sie auf den Einfluss ethnologischer Berichte aus den Kolonien – Bücher, Fotos, Zeichnungen –, insbesondere der darin enthaltenen Darstellung „ursprünglicher Architekturen“, und wie diese in Architekturzeitschriften und -texten aufgegriffen werden, unter anderem auch bei Gottfried Semper, Bruno Taut oder Mies van der Rohe.

Das dritte Kapitel stellt einige (wenige) Entwürfe von Architekten aus Deutschland für Gebäude in den Kolonien vor und widmet sich ausführlich dem Architekturwettbewerb der Deutschen Kolonialgesellschaft. Die hatte 1914 für verschiedene Gebäudetypen einen pauschalen Wettbewerb ausgeschrieben, mit dem wiederholbare Typen festgelegt werden sollten, die ungeachtet klimatischer und kultureller Unterschiede in allen deutschen Kolonien hätten gebaut werden sollen – unter den Teilnehmern findet sich zum Beispiel auch Dominikus Böhm. Im vierten Kapitel durchsucht Osayimwese die Kölner Werkbundausstellung von 1914 nach kolonialen Darstellungen und findet zum Beispiel den bislang wenig beachteten „Colonial-Pavillon“ von Paul Pott. Schließlich, im fünften Kapitel, widmet sich die Autorin den Anfängen der Vorfertigung, deren Einfluss auf die moderne Architektur sowie deren Vertrieb in die deutschen Kolonien, insbesondere durch das sorbische Unternehmen Christoph & Unmack in Niesky, das zeitweise zu Europas größtem Hersteller von Holzfertighäusern aufstieg und sowohl Fertighäuser in die Kolonien exportierte als auch einzelne Elemente der kolonialen Entwürfe in seine Fertighauspalette für das Deutsche Reich aufnahm. Osayimwese geht hier insbesondere auf die Veranda ein, die als „kolonial-tropische Zutat“ den standardisierten Häusern wohl einen exotischen Hauch verleihen sollte.

Osayimweses Buch ist eine wahre Schatztruhe, wo es um die romantisierenden Darstellungen der „ursprünglichen Architekturen“ und Lebensweisen in den deutschen Kolonien geht. Zudem schreibt Osayimwese mit leichtem, unkompliziertem Ton, sodass man streckenweise durch die Seiten fliegt. Und doch bleibt am Ende ein schaler Geschmack: Denn über all den Geschichten und den funkelnden Fundstücken verliert die Autorin ihre großen Fragen aus den Augen. Die Zusammenhängen von frühmoderner und kolonialer Architektur kommen über die Veranden bei Christoph & Unmack oder der Beteiligung bekannter Architekten an verschiedenen Messen und Wettbewerben nicht hinaus. Aber obwohl die Fundstücke letztlich die großen Fragen aus Titel und Einleitung des Buchs nicht beantworten können, sind sie doch alleine den Kauf dieses Buchs allemal wert.

Text: Florian Heilmeyer

Colonialism and Modern Architecture in Germany

Itohan Osayimwese
352 Seiten, Englisch

University of Pittsburgh Press, Pittsburgh 2017
ISBN 978-0-822945086
54,95 US-Dollar


Kommentare

1

Hinrich Schoppe | 02.02.2022 16:48 Uhr

Pittoresk...

waren - und sind teilweise immer noch .- die Vorstellungen über sogenannte "exotische" Länder.
Interessant, dass ausgerechnet über die vergleichsweise spärliche deutsche Kolonialzeit so etwas erarbeitet wurde, oder vielleicht gerade nicht, da halbwegs überschaubar. Man stelle sich die Bibliothek vor, die sich bei dem britischen Empire ergäbe...
Ein Highlight sind die Fertighäuser aus Niesky, die nun garnicht so exotisch anmuten, sondern eher pragmatisch sachlich: Große Dachüberstände, Sonnenschutz, viel Luft... Und das lange vor den 20er Jahren.
Interessant wäre auch ein Vergleich mit ähnlichen deutschen Tümeleien, seien sie gotisch oder nordisch oder aus welcher Zeit- und Ortsschicht auch immer entlehnt. Da erscheint es mir, als wenn hier einfach nur noch ein Thema mehr - das Exotische - durchs Dorf getrieben worden ist, natürlich dabei komplett naiv vorbehaltlos und unbefangen.
Etwas seltsam mutet für mich die Übernahme der Niesky-Werbung von 1930 für den kolonialen Buchtitel an, schleißlich wehte hier mittlerweile ein ganz anderer Geist des Konrad Wachsmann, des Fordismus usw.
Obwohl: Tolles Plakat! Das ist so gut, dass man es zweckentfremden kann...

 
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Haus des Gouverneurs, Daressalam, Deutsch-Ostafrika, Bau vor 1895. Bau aus Fertigteilen von Christoph & Unmack (Niesky).

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Postkarte von der Berliner Handelsausstellung 1896: „Kairo in Berlin“

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Itohan Osayimwese: Colonialism and Modern Architecture in Germany (2017)

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Haus eines Mannes, Palau-Inseln. Zeichnung von Elisabeth Krämer-Bannow, die nach 1900 die deutschen Kolonien im Pazifik bereiste

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