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27.07.2022

Buchtipp: Epische Architektur

Carlo Mollino. Architect and Storyteller


Verschiedene Buchveröffentlichungen und Ausstellungen waren es, die dem italienischen Architekten Carlo Mollino (1905–73) in den vergangenen Jahren zu bescheidener Popularität verholfen haben. Dass es trotzdem schwerfällt, sein Schaffen auf einen Nenner zu bringen, mag nicht zuletzt daran liegen, dass der Turiner ein Tausendsassa gewesen ist: Statt allein als Architekt zu wirken, war Mollino auch als Fotograf, Schriftsteller, Designer und Skilehrer tätig. Obschon Napoleone Ferrari und Michelangelo Sabatino mit ihrem Buch Carlo Mollino. Architect and Storyteller das Ziel verfolgen, endlich auch seine Bauten und Entwürfe bekannt zu machen, weisen sie gleich zu Anfang auf die Unmöglichkeit hin, die verschiedenen Betätigungsfelder voneinander zu separieren. Untrennbar mit den Geschichten verknüpft, die Mollino in Text und Bild erzählt, lässt sich das Werk des Architekten überhaupt nur mit deren Hilfe erfassen.

Einen frühen Ausblick auf sein architektonisches Projekt gewährte Mollino 1933 in Form seines Manifests „Vita di Oberon“, das er in Form einer Kurzgeschichte verfasste. Der Nachruf auf den fiktiven Architekten Ettore Lavazza, genannt Oberon, eröffnet mit einer Beschreibung der „Australischen Wand“ – einer zylindrischen Röhre, an deren Innenwand der Motorradfahrer Ciro Beck vor den Augen der Jahrmarktbesucher*innen die Schwerkraft zu überwinden scheint.  Nur wenige Jahre nach einer (mutmaßlichen) Hospitation im Büro Erich Mendelsohns präsentiert Mollino somit eine ganz andere Vorstellung architektonischer Dynamik als sie das Werk des Berliner Architekten bestimmt. Zugleich kontrastiert der halsbrecherische Stunt aufs Schärfste mit den Überlegungen zu einer wohlgeordnet-langweiligen Zukunft, wie sie zu gleicher Zeit an Bord des Mittelmeerdampfers Patris diskutiert und anschließend als „Charta von Athen“ dekretiert wurden.

Indessen zeigte sich Mollinos Wagemut weniger in atemberaubenden Motorradnummern, denn in dem fortgesetzten Versuch, in seiner modernen Architektur auch dem Verdrängten zu seinem Recht zu verhelfen. Seine Gebäudeentwürfe sind durch eine surrealistische Prägung charakterisiert, wie sie im Schaffen der Zeitgenoss*innen kaum zu finden ist. Rational kaum fassbare Zusammenstellungen des vermeintlich Disparaten, wie sie bereits die Installation „Tè numero 2“ von 1935 bestimmten, zeichnen auch die in den Sechzigerjahren vorgenommene Umgestaltung des sogenannten Taleuc Rascard aus. Im Auftrag des Ehepaars Garelli ließ Mollino den historischen Heuschober auf der einen Seite des Aostatals ab- und auf der gegenüberliegenden in veränderter Form wiederaufbauen. Von einem neu errichteten Sockel durch eine breite Fuge getrennt, ruht der Holzbau auf zehn sonderbaren Pilzen aus Stein. Noch befremdlicher lässt den translozierten Bau eine filigrane Gangway aus Beton erscheinen, die der Architekt vor dem Haupteingang platzierte.

Eine nicht minder spektakuläre Stiege, die im Innern des 1940 fertiggestellten Turiner Reitclubs emporstieg, war wenige Jahre zuvor zerstört worden. Der irrwitzige Bau der Società Ippica Torinese mit der diamantenen Rustizierung seiner Fassade, der gekurvten Bar aus Marmor und einem barocken Lüster kann nur noch auf Bildern bestaunt werden. Somit sind es gerade die Schilderungen und Fotomontagen des Architekten, die heute von seinem Oeuvre künden. Fünfzig Jahre nach Mollinos Tod aber ist es an anderen, die Geschichte seines Schaffens fortzuschreiben: Ferrari und Sabatino haben mit ihrer Publikation ein lesenswertes Kapitel beigesteuert.

Text: Achim Reese


Carlo Mollino. Architect and Storyteller
Napoleone Ferrari und Michelangelo Sabatino
Gestaltung: Elektrosmog
Englisch
456 Seiten
Park Books, Zürich 2021
ISBN 978-3038601333
85 Euro


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Teatro Regio 1965-73, Turin. Die Bühne in ihrer ursprünglichen Konfiguration von 1973.

Teatro Regio 1965-73, Turin. Die Bühne in ihrer ursprünglichen Konfiguration von 1973.

Garelli’s Taleuc Rascard, 2016

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Selbstportrait Carlo Mollino in seinem Atelier, Casa Miller in Turin.

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Das RAI-Auditorium, fotografiert in seiner ursprünglichen Konfiguration von 1952.

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