RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Cairo_Desert_Cities_und_Housing_Cairo_5490132.html

12.09.2018

Buchtipp: Urbanismus extrem

Cairo Desert Cities und Housing Cairo


Zwei Dinge fallen dem Besucher Kairos auf, wenn er sich nicht nur für Pyramiden und Moscheen interessiert, sondern mit neugierigem Blick in den Arealen jenseits des historischen Stadtzentrums unterwegs ist. Erstens, weitläufige informelle Wohnviertel, die durchaus gut funktionieren und denen man erst auf den zweiten Blick ansieht, dass sie ganz ohne staatliche Planung entstanden sind. Und zweitens, riesige Neustädte in der Wüste, die scheinbar unfertig und menschenleer vor den Toren der eigentlichen Stadt liegen.

Damit wird Kairo in geradezu extremer Zuspitzung von zwei urbanistischen Trends geprägt, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite gibt es einen unerschütterlichen Planungsglauben der ägyptischen Eliten, die auch heute noch künstliche Sädte aus dem Nichts stampfen – aktuell etwa die Planung für eine neue administrative Hauptstadt. Auf der anderen Seite leben knapp zwei Drittel der Kairoer in informellen Vierteln, deren Existenz von offizieller Seite über Jahrzehnte gleichsam geleugnet wurde.

Zwei schön gestaltete Publikationen, die Marc Angélil und Charlotte Malterre-Barthes von der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Something Fantastic (Berlin/Zürich) und dem Kairoer Büro Cluster herausgegeben haben, ermöglichen nun, sich den beiden komplexen Phänomenen mit frischem Blick zu nähern. „Housing Cairo“ und „Cairo Desert Cities“ entstanden in Zusammenarbeit mit Studierenden des Masterstudiengangs Urban Design und präsentieren sowohl Analysen als auch planerische Vorschläge.

Mit ihren beiden englischsprachigen Bänden schließen die Herausgeber an die Arbeiten des in Kairo ansässigen, amerikanischen Ökonomen und Stadtplaners David Sims an, dessen Standardwerk „Understanding Ciaro. The Logic of a City Out of Control“ bereits im Titel klar anzeigt, dass es darum gehen muss, das undifferenzierte und exotisierende Bild des chaotischen Molochs aufzubrechen und die Logiken der mit circa 20 Millionen Einwohnern größten Stadt Afrikas zu verstehen. Was Sims vor allem textlich darlegt, veranschaulichen „Housing Cairo“ und „Cairo Desert Cities“ an Hand von reichlich Bildmaterial. Eindrucksvolle Fotos geben ungeschönte Einblicke in die Alltagsrealität der arabischen Metropole, instruktives Planmaterial macht die räumlichen Zusammenhänge im Großen deutlich, und analytische Zeichnung einzelner Fallbeispiele vermitteln, wie Architektur und Stadt im Kleinen funktionieren.

Und gerade die Frage des Funktionierens ist zentral – auch für Architekten und Planer, die sich mit anderen, schnell wachsenden Agglomerationen im globalen Süden beschäftigen und die beideBücher als instruktive Fallbeispiele lesen werden. Denn die informellen Wohnviertel funktionieren in ihrer städtischen Dichte durchaus gut. Die Situation bei den „Stadtneugründungen“ hingegen ist schwieriger. Manche sind mittlerweile fester Bestandteil der Stadtstruktur, manche sind trostlose Aneinanderreihung simpler Wohnsilos für arme Bevölkerungsschichten – und einige funktionieren als mehr oder weniger teure Wohnviertel mit historisierenden Fassaden oder perfekten Gated Communities leidlich gut.

Spannend sind in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die Interviews in „Cairo Desert Cities“ mit Architekturstudenten und jungen Architekten der ägyptischen Mittelschicht, die in den neuen Vierteln leben oder deren Familien dort Wohnungen als Option auf die Zukunft gekauft haben. Der Glaube an ökonomisches Wachstum und perfekte Imaginationen wohlgeordneter Städte scheint hier ungebrochen, während die informellen Viertel als vermeintlich schmutzige und chaotische Areale gemieden werden – wo doch eigentlich hier die wirklich spannenden Dinge passieren.

Text: Gregor Harbusch

Cairo Desert Cities
Hrsg. von Marc Angélil und Charlotte Malterre-Barthes in Zusammenarbeit mit Something Fantastic und Cluster
Ruby Press, Berlin 2018
418 Seiten
ISBN 978-3-944074-23-8
38 Euro


Housing Cairo
Hrsg. von Marc Angélil und Charlotte Malterre-Barthes in Zusammenarbeit mit Something Fantastic und Cluster
Ruby Press, Berlin 2016
306 Seiten
ISBN 978-3-944074-17-7
38 Euro


Kommentare:
Meldung kommentieren

Cairo Desert Cities ist der aktuelle, zweite Band von Marc Angélil und Charlotte Malterre-Barthes zur Stadtentwicklung in Kairo.

Cairo Desert Cities ist der aktuelle, zweite Band von Marc Angélil und Charlotte Malterre-Barthes zur Stadtentwicklung in Kairo.

Der erste Band erschien 2016 und diskutiert die informellen Wohnviertel Kairos, in denen knapp zwei Drittel der Bevölkerung leben.

Der erste Band erschien 2016 und diskutiert die informellen Wohnviertel Kairos, in denen knapp zwei Drittel der Bevölkerung leben.

Die großmaßstäbliche Planung neuer Stadtteile hat eine lange Tradition, wie das Beispiel Helwan zeigt, das in den 1880er Jahren 28 Kilometer südlich des damaligen Stadtzentrums durch den Österreicher Wilhelm Reil geplant wurde.

Die großmaßstäbliche Planung neuer Stadtteile hat eine lange Tradition, wie das Beispiel Helwan zeigt, das in den 1880er Jahren 28 Kilometer südlich des damaligen Stadtzentrums durch den Österreicher Wilhelm Reil geplant wurde.

Die informellen Wohnviertel erkennt man oft an dem faszinierenden und strengen Raster aus Betonrahmen und -decken, die mit Ziegeln ausgefacht werden.

Die informellen Wohnviertel erkennt man oft an dem faszinierenden und strengen Raster aus Betonrahmen und -decken, die mit Ziegeln ausgefacht werden.

Bildergalerie ansehen: 37 Bilder

Alle Meldungen

<

12.09.2018

Raffinerie mit Aushängeschild

Bürogebäude nahe Wien von ATP

12.09.2018

Bilder und Positionen der jungen Generation

Doppelausstellung in der Architekturgalerie München im Bunker

>
BauNetz Wissen
Strandgut in der Decke
BauNetz Themenpaket
Der Frühling gehört Norditalien
baunetz interior|design
Best-of Teppiche 2024
Baunetz Architekt*innen
blrm
vgwort