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01.01.2000

Die gebaute Landschaft

Bücher im BauNetz


Für alle, die das Architekturgeschehen der neunziger Jahre in den Niederlanden nicht intensiv verfolgt haben, hat der Prestel-Verlag ein Kompendium herausgegeben. Fast könnte man meinen, eine Publikation des NAi in den Händen zu halten, denn das Design in Gelb-Pink-Blau und mit übergroßen Schriften gibt sich zeitgeistig und hat mit den vom Prestel-Verlag gewohnten seriösen Wälzern zur Architektur der Welt nur noch wenig gemeinsam.

Auf den ersten Blick kommt der 300-seitige Band als ein Stelldichein der niederländischen Architekturszene daher: Insgesamt 132 Projekte von 64 Architekturbüros werden mit knappen Texten und üppigen Fotos und Renderings präsentiert. Die Projekte sind mit Schlagworten versehen, die in loser Folge einen assoziativen Einblick in Entwurfsansätze und Ergebnisse bieten: Von "mürrisch" (Koen van Velsens Film- und Fernsehakademie in Amsterdam) und "seidenweich" (Erick van Eggerats Wohngebäude in Tilburg) bis "Leere" (OMAs Plan für das Zentrum von Almere) und "Autarkie" (Joep van Lieshouts Kolonie in Rotterdam). Ein imposanter Querschnitt, zusammengestellt von Architekturkritiker Hans Ibelings, der nicht nur Stararchitekten und Alteingesessene, sondern ganz selbstverständlich auch kleine Büros, Europan-Gewinner und Diplomarbeiten präsentiert - ganz entsprechend der in den Niederlanden viel gepriesenen flachen Hierarchien.

Bei genauerem Hinschauen jedoch bietet der Band viel mehr als bunte Bilder. Hans Ibelings steckt mit seinen in den Bildteil eingestreuten Abhandlungen präzise das kulturelle Feld ab, in dem die Projekte entstanden sind: Er schlüsselt die weitverzweigte Subventionsinfrastruktur auf, von der in deutschen Landen nur geträumt werden kann, und erklärt ein wenig augenzwinkernd das allgemein in der niederländischen Gesellschaft verankerte so gennante "Poldermodell", das mit seinem Mythos der Einstimmigkeit auch die architektonische Kultur prägt. Auch den hierzulande weniger bekannten öffentlichen Konfrontationen angesichts von Bauschäden (etwa an Ben van Berkels Erasmus-Brücke) oder mangelnder Akzeptanz seitens der Bevölkerung ist ein Kapitel gewidmet. Der Hang zur "extremen Logik" im Entwurf mittels Verzerrungen und Übertreibungen wird ebenso aufgegriffen wie die in den neunziger Jahren vollzogene Hinwendung zu "hedonistischen Landschaften", in denen Konsum, Unterhaltung und Komfort an die Stelle "weltverbesserischer" Konzepte getreten sind. Im hinteren Teil des Buches, streng in Schwarz-Weiß gehalten, geht es dann ans Eingemachte: 13 Essays der wichtigsten Kritiker und Kritikerinnen, entstanden im Laufe der Neunziger und abgedruckt unter anderem in den Zeitschriften Archis und de Architect, dokumentieren die niederländische Debatte bis heute. Eine Debatte - und das wird im chronologischen Nachvollziehen klar -, die erstaunlich wenig von Architektur selbst, dafür aber viel von Städtebau, Landschaftsgestaltung und Planung im Zusammenhang mit politischen Strukturen und der Globalisierung handelt.

Die Kritik wird mit einer Schärfe vorgetragen, die in einem seltsamen und vielleicht gerade deshalb für die Niederlande typischen Kontrast zu den selbstsicheren und mediengewandten Präsentationen der Projekte steht. So ist da nachzulesen, dass Hans van Dijk bereits 1991 niederländischen Architekten vorwarf, vor allem "verführerische Bilder" zu produzieren. Der gesellschaftliche Erfolg führe sie in einen lähmenden "Verschleiß und Autismus". Janny Rodermond, Chefredakteurin der Zeitschrift de Architect, warnt vor der Gefahr, Architektur zum Modetrend verkommen zu lassen und als "Gleitmittel" für eine einseitig auf wirtschaftliche Ziele konzentrierte staatliche Raumordnungspolitik zu verstehen. Und Roemer van Toorn, der den Slogan des "Frischen Konservatismus" prägte, greift vehement die "Musealisierung des Supernormalen" an: "Autobahnen, Brain Parks, Supermärkte, Flugplätze, Terrains Vagues, Körper, Krieg, Geschlechter ... werden auf erfrischende Weise in eine horizontale Landschaft aufgenommen; die Hauptkräfte der ‚Economics of Signs and Spaces‘ können jedoch ihren alten Kampf in aller Ruhe weiterführen." Während international die niederländische Architektur also gefeiert und kopiert wird, gibt es national sehr wohl ein Bewusstsein für die Tücken und Gefahren des Erfolges.

Auffallend in den Niederlanden - und hierzulande kaum vorstellbar - ist trotz aller Kritik der abenteuerliche Optimismus, mit dem sowohl Architekturschaffende als auch -kritiker ans Werk gehen. Für Grabenkämpfe bleibt keine Zeit. Ähnlich wie Koolhaas sich als Surfer auf den Wellen begreift, versteht sich der Architekturkritiker auf dem Meer der Meinungen als Steuermann, der nur eine beschränkte Vorstellung davon hat, wohin es gehen soll. Der vorliegende Band bewegt sich par excellence in diesem Spannungsfeld: Der Leser kann hin- und herspringen, kann ausführlich in Bildern schwelgen und durch farbige Landschaften streifen - und dann in wirkungsvollen Dosierungen die Kritik daran zu sich nehmen.
(Doris Kleilein)

Hans Ibelings (Herausgeber)
Klappenbroschur, 304 Seiten mit 510 farbigen Abbildungen
Prestel, München, London, New York 2000
ISBN: 3-7913-2391-1


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