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03.07.2012

Standardstädte. Ernst May in der Sowjetunion

Bücher im BauNetz


Wer mit „Standardstädte“ einen opulenten Bildband assoziiert, liegt falsch. (Was nicht heißt, dass das Buch nicht auch anschauliche Fotos und Pläne beinhaltet.) Wer hingegen an dem Architekten und Stadtplaner Ernst May interessiert ist, der wird nicht enttäuscht. Und wer insbesondere zu Mays Jahren in der Sowjetunion mehr erfahren möchte, kommt vollends auf seine Kosten.
Denn „Standardstädte. Ernst May in der Sowjetunion. Texte und Dokumente“, so der vollständige Titel, enthält eine Vielzahl von Dokumenten von und über Ernst May zu seiner sowjetischen Phase (1930 bis 1933). Und nicht nur das: Der Herausgeber und akribische Sucher Thomas Flierl steuert gänzlich neue Archivfunde bei, die noch nie veröffentlicht wurden. Damit schafft er es, ein weit differenzierteres Bild von Mays Rolle(n), seinen Mitarbeitern, dem Zusammenwirken mit den sowjetischen Behörden und Planern und der Rezeption dieser Arbeit zu zeichnen, als das bisher unternommen wurde. Denn Mays Tätigkeit in der Sowjetunion war bisher weitgehend unerforscht. Warum die „Brigade May“, die 1930 so dringend in die Sowjetunion abgeworben wurde und auch selbst enthusiastisch aufbrach, nach nur drei Jahren scheiterte, erhellt das Buch ebenfalls deutlicher als bisherige Publikationen.

Vor die Aufsätze, Interviews, Briefe und tagebuchartigen Reiseberichte setzt Thomas Flierl die Vorgeschichte und Hintergründe, die zu dem „Experiment Sowjetunion“ geführt hatten, und eine Zusammenfassung der einzelnen Stationen. Diese ausführliche, dabei gar nicht weitschweifige Einführung ist unbedingt lesenswert und bereitet auch den Nicht-Experten gut vor, um später Zugang zu der detaillierten und zugleich stellenweise bruchstückhaften Dokumentensammlung zu finden und diese einzuordnen.

Ernst May war als Stadtbaurat in Frankfurt am Main zu einem der bekanntesten Protagonisten des Neuen Bauens geworden und hatte sich besonders im Siedlungsbau einen Namen gemacht. „Das Wohnen für das Existenzminimum“ war sein Thema und das der berühmten CIAM-Kongresse, und gerade deshalb hatte die Sowjetunion bereits 1929 neugierig eine Delegation nach Frankfurt geschickt. Die Folge: Ernst May und 17 seiner Mitarbeiter – darunter mit Margarete Schütte-Lihotzky, Wilhelm Schütte und Hans Leistikow weitere schillernde Figuren des Neuen Frankfurt – brachen 1930 in die Sowjetunion auf. Schwer fiel die Entscheidung wohl nicht, denn in Frankfurt bröckelte die noch fünf Jahre zuvor so vielversprechend begonnene Phase des Neuen Bauens. In der Sowjetunion wartete eine riesige Aufgabe: Mit der massiven Industrialisierung war eine dramatische Wohnungsnot ausgebrochen; die Arbeiter hausten in Zelten, Erdhütten und Baracken. Das ganze Land sollte mit neuen Städten für bis zu 200.000 Einwohner überzogen werden. Ernst May wurde vom Fleck weg zum Chefingenieur und (fast) unangefochtenen Leiter dieser immensen Herausforderung bestimmt, um dann zwischen die Fronten zu geraten: 1931 kippte das städtebauliche Leitbild von strenger Funktionalität und Egalität zu Repräsentation und baulichen Klassenunterschieden. 1933 verließ May, in seiner Position und im Einkommen degradiert, das Land und ging für die nächsten 21 Jahre nach Afrika.

Ernst May als Person und seine Rollen beleuchtet Thomas Flierl angenehm differenziert. Einen kleinen Bogen schlägt er ganz zu Beginn auch zur aktuellen Situation. Denn ob wegen Naturkatastrophen oder der Entstehung von Megametropolen – die Wohnungsfrage und damit auch die der Präfabrikation und Standardisierung im Bauen ist wieder da. (Christina Gräwe)

Standardstädte. Ernst May in der Sowjetunion.
Texte und Dokumente
Thomas Flierl (Hrsg.)
Suhrkamp Verlag Berlin 2012
552 Seiten
Mit farbigen und Schwarz-Weiß-
Abbildungen, Deutsch/Broschur
16 Euro


Zum Thema:

www.suhrkamp.de


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