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05.02.2012

Städtebau für Mussolini

Bücher im BauNetz


Jede nachwachsende Architektengeneration betrachtet bei der ersten Italienexkursion immer wieder neu mit Faszination die Architektur des italienischen Razionalismo der Zwischenkriegszeit: Die einschlägigen Bauten von Terragni, Libera, Figini/Pollini, Mazzoni, Moretti und Co. sind einerseits formal der modernen Avantgarde zuzurechnen, sie sind aber andererseits unter dem Mussolini-Faschismus entstanden, mehr noch: Sie wurden von ihren Architekten als Demonstrativ-Bauten des Regimes propagiert. Wer sich darüber wundert, tut dies allerdings unter einer Prämisse, die die Forschung bereits vor rund dreißig Jahren aufgegeben hat: Denn Bauten der Moderne sind eben nicht notwendigerweise politisch fortschrittlich oder „links“, genauso, wie traditionelle oder neoklassizistische Bauten nicht automatisch für konservative oder gar „braune“ Inhalte stehen. Steine haben keine Gesinnung, sie können nicht „faschistisch“ sein.

Weit weniger bekannt als die emblematischen italienischen Einzelbauten waren bisher die dahinter stehenden urbanistischen Ideen. Der Städtebau ist weit ja mehr als „künstlerische Gestaltung“, im Städtebau bilden sich tatsächlich politische, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Ideen und Weltanschauungen ab. Doch über den „Städtebau für Mussolini“, so der Titel dieses Buches, wusste man bisher wenig. Ein Autorenteam um den Berliner Stadtsoziologen Harald Bodenschatz hat das jetzt mit diesem verdienstvollen und materialprallen Werk geändert. Ein Buch, das aus dem Stand zum internationalen Standardwerk werden wird und – in deutscher Sprache erschienen – nebenbei dem Wissenschaftsstandort Deutschland seine Reverenz erweist.

Ausgangspunkt des Buches ist die von den Autoren benannte erstaunliche Tatsache, dass „im faschistischen Italien ab 1922 die wohl umfangreichsten städtebaulichen Projekte der Zwischenkriegszeit in Europa realisiert wurden“ – wobei man diesen Superlativ allerdings auf „Projekte unter diktatorischen Regimes“ einschränken sollte.

Den ersten Schwerpunkt des Bandes bildet die Hauptstadt Rom. In dem Bemühen, das faschistische System als legitimen Nachfolger des antiken römischen Reiches darzustellen, sollte Rom zur Modellstadt ausgebaut werden, zum Schaufenster der Diktatur. Daher wurden Straßendurchbrüche, Stadterweiterungen und der Bau von Infrastruktureinrichtungen wie Universitätsstadt, Cinecittà, Bahnhöfe und Postämter forciert. Viele touristisch relevante Orte Roms verdanken ihr heutiges Gesicht dieser Epoche. Doch wer von den Papstpilgern weiß schon, dass die von der Engelsburg auf den Petersplatz führende monumentale Achse, die Via della Conciliazione, ein Produkt des faschistischen Städtebaus ist? Ebenso wie die bauliche Freilegung der wichtigsten antiken Monumente? Oder die Wiederanbindung Roms ans Meer vom Centro Storico über EUR bis zur faschistischen Neugründung Ostia Lido?

Ein zweiter Schwerpunkt ist der Bau neuer Städte im übrigen Italien und im „italienischen“ (Kolonial-)Ausland; im Inland besonders in den trockengelegten Pontinischen Sümpfen. Dort, in Latina oder Sabaudia, wird der „Duce“ bis heute offen verehrt, weil er den Menschen ihre neue Heimat gegeben hat. Bei der Neuansiedlung von Bauerndörfern auf Sizilien (siehe Special ab Seite 4) war der Erfolg wohl kleiner. Regelrecht spannnend liest sich auch, wie das deutschsprachige Bozen in Südtirol nach dem ersten Weltkrieg demonstrativ italianisiert wurde – auch und gerade mit Mitteln des Städtebaus.

Das alles kann hier nur angerissen werden. Doch welche Haltung hat das Buch, welche These transportiert es? Es macht sich jedenfalls frei von den „üblichen Kritikmustern, die in der Nachkriegszeit entwickelt wurden“ – als da wären: „der Verweis auf Achsen und Symmetrien, auf steinerne Baumaterialien und Monumentalität, auf diktatorischen Größenwahn und Einschüchterung der Massen“. Aber das Buch enthält sich auf der anderen Seite ebenso einer „unkritischen Rehabilitierung formal spektakulärer Leistungen und Einzelbauten“.

Es ist als Standard-Materialsammlung also zunächst einmal beschreibend. Die einzelnen Kapitel sind gründlich recherchiert und wissenschaftlich aufbereitet. Der Leser braucht nicht zu befürchten, dass ihm die Autoren eine bestimmte Meinung zu ihrem Forschungsgegenstand verkaufen wollen. Das hebt das Buch heraus gegenüber älteren Veröffentlichungen wie z.B. des Altvorderen der italienischen Moderne-Geschichtsschreibung Bruno Zevi, der die faschistischen Architekten um Giuseppe Terragni kurzerhand umdekorierte zu Helden der fortschrittlichen (politischen) Moderne.

Ein zweiter Impuls neben der Neutralität ist das Plädoyer für eine synoptische internationale Betrachtung des Städtebaus der Zwischenkriegszeit, insbesondere unter den drei Diktaturen Stalins, Hitlers und Mussolinis. Diese Länder seien bisher nur jeweils isoliert diskutiert worden. Das Buch liefert die Voraussetzung dafür, dass eine solche vergleichende Untersuchung im Falle Italiens jedenfalls nicht an Materialmangel scheitern müsste. (Benedikt Hotze)

Harald Bodenschatz (Hg.): Städtebau für Mussolini.
Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien
DOM publishers, Berlin, 2011
240 × 300 mm, 520 Seiten, 630 Abbildungen

Hardcover mit Schutzumschlag, 98 Euro



Zum Thema:

www.dom-publishers.com


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