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20.09.2010

Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte

Bücher im BauNetz


Nun also auch das Architekturmuseum der TU München und das Institut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich. Nun also haben auch diese beiden ehrwürdigen Institutionen den Schwenk hin zu einer Haltung „Pro Rekonstruktion“ gemacht. Die von beiden Organisationen verantwortete Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ und der daraus erwachsene Katalog (der hier die Grundlage für die Besprechung bildet) ist jedenfalls keine ergebnisoffene wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein Pamphlet. Ein Pamphlet, mit dem eine vorher bereits feststehende Haltung untermauert werden soll.

Die Kernthese des Buches lautet etwa so: „Zu allen Zeiten wurden Bauten (...) beschädigt, zerstört, repariert und wiederhergestellt“ (Herausgeber Winfried Nerdinger), die Rekonstruktion sei also in allen Epochen so etwas wie eine Selbstverständlichkeit gewesen. Nur das 20. Jahrhundert und somit das auf Dehio zurückgehende „moderne“ Denkmalverständnis wende sich gegen die Rekonstruktion: laut Nerdinger eine „moralisierende Haltung vieler heutiger Denkmalpfleger“.

Nerdinger äußert sich seit einigen Jahren „pro Rekonstruktion“, unter anderem in einer Tagung in Zürich im Jahre 2008, deren Rezensent Roman Hillmann ihm schon damals „überrascht“ eine „sehr viel deutlichere emotionale Beteiligung“ attestierte. Gemeint ist eine Abkehr des Hochschullehrers Nerdinger von seinem früheren „objektivierenden Standpunkt“ (Hillmann), den er etwa in seinem Buch über Walter Gropius noch einnahm.

Nun macht bei diesem Pro-Reko-Spektakel auch noch die ETH Zürich mit – in Person von Uta Hassler, der Nachfolgerin des 2005 emeritierten herausragenden Denkmalpflegers Georg Mörsch. Mörsch kommt im vorliegenden Band dagegen nicht zu Wort; wie auch, hätte er doch die Position der modernen Denkmalpflege gegen Rekonstruktionen vertreten.

Den Hauptteil des Katalogs bildet eine Beispielsammlung von Rekonstruktionsprojekten aller Epochen und Kulturen, mit der die Kernthese gestützt werden soll. Doch bei näherer Ansicht erweisen sich viele Beispiel als kaum tauglich, Rekonstruktionen generell zu „rehabilitieren“. Was sollen Beispiele aus dem 18. (Speyer!) und vor allem 19. Jahrhundert beweisen? In diesen Epochen herrschte natürlich eine andere Auffassung, aber wer wollte auf diesen Stand zurückkehren? Der Historismus des 19. Jahrhunderts, der im übrigen sehr wohl eigenständige Schöpfungen hervorgebracht hat – man denke an die „romantischen“ Wiederaufbauten und Neuinterpretationen der mittelalterlichen Rheinburgen oder an den „schönen“ gründerzeitlichen Städtebau – der Historismus kann doch nicht ernsthaft wieder als zulässiger „Stil“ in die aktuelle Architekturdebatte zurückgeholt werden.

Andere Beispiele wiederum sind völlig unstrittig; hier werden offene Türen eingerannt. Auch „Rekonstruktionsgegner“ erkennen die Wiederaufbauleistungen an kriegszerstörten Bauten durchaus an – sofern der Wiederaufbau in einem unmittelbaren zeitlichen und ideengeschichtlichen Zusammenhang mit der Zerstörung erfolgt ist, wie dies bei den viel zitierten romanischen Kirchen in Köln genauso der Fall war wie bei der Altstadt von Warschau. Anders sieht es aber aus, wenn an der Stelle des zerstörten Gebäudes 50 Jahre lang ein Parkplatz oder 30 Jahre lang ein Palast der Republik gewesen ist. Diesen Unterschied macht der Katalog aber nicht. Dafür bringt er Beispiele wie das Knochenhaueramtshaus oder die Römerberg-Ostzeile, die bereits in die erste Rekonstruktionsdebatte in Deutschland weisen, in eine Zeit, in der in der Architektenschaft die Ablehnung der Rekonstruktion noch zum allgemeinen Common Sense gehörte. Diese Beispiele wurden damals heftig kritisiert; sie jetzt als „Beweise“ aufzuführen, dass Rekonstruktionen selbstverständlich seien, erinnert an die Logik von Zirkelschlüssen.

Vollends ärgerlich wird es dann, wenn der Katalog auf der Suche nach Rekonstruktionsbefürwortern die Falschen vereinnahmt. Das soll abschließend exemplarisch am Beispiel von Luigi Snozzi gezeigt werden. Der eigenwillige und eigenständige Tessiner Architekt, der aus der corbusianischen Moderne genauso schöpft wie aus der Aldo-Rossischen „Lektüre“ der Historie, dieser Architekt wird hier anhand seines Hauptwerks Monte Carasso als Rekonstrukteur dargestellt. Das Gegenteil ist richtig. Snozzis Ansatzpunkt war die Zersiedelung der Landschaft bei gleichzeitiger Verödung des Dorfkerns. Um dem entgegenzuwirken, stärkte er den Dorfkern, indem er eine neue „Ringstraße“ einrichtete. Eine solche hatte es in dem Dorf nie gegeben, sie ist eine freie Erfindung des Architekten (wenn auch gestützt auf historische Spuren wie Trampelpfade oder Parzellengrenzen). Um der Ringstraße Gewicht zu verleihen, „markierte“ der Architekt sie mit einigen landmarkenähnlichen Neubauten in der Formensprache der Moderne und in Sichtbeton. Bis hierhin ist noch nicht einmal ein Hauch einer Rekonstruktion konstatierbar. Einzig bei dem zentralen Klosterkreuzgang, den Snozzi verödet und verbaut vorfand, richtete er eine Grundschule ein und befreite das (bestehende! Nicht rekonstruierte!) Gebäude von späteren Um- und Zubauten. Der Katalog zitiert ihn hier korrekt: „Wir haben eigentlich gar nichts gemacht – nur gereinigt!“

D
as Buch ist wichtig und vielschichtig, weil es eine breite Spannweite von Rekonstruktionstypen aufzeigt. Manchen Lesern mag dieses Spektrum zur Legitimation von Rekonstruktionen bereits genügen. Doch wie gezeigt, verfehlt das Buch seinen eigentlichen, selbst gesteckten Zweck, nämlich die argumentative Rehabilitation jeglicher Rekonstruktion. Und das ist letztlich die gute Botschaft dieser Fleißarbeit. (Benedikt Hotze)

Winfried Nerdinger (Hg.):

Geschichte der Rekonstruktion –
Konstruktion der Geschichte
Gebunden, 512 Seiten, 24,5 x 30,5 cm

363 farbige Abbildungen,

396 s/w-Abbildungen, Prestel,

München 2010, 69 Euro


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