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16.03.2023

Zirkularität auf dem Prüfstein

Baustellenbesuch im CRCLR House von Die Zusammenarbeiter in Berlin


Das CRCLR House in Berlin-Neukölln sieht auf den ersten Blick gar nicht so ungewöhnlich aus. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein Experiment auf mehreren Ebenen. Der Baugenossenschaft Trnsfrm geht es um laborhaftes Wirtschaften, Wohnen und Arbeiten in Kreisläufen. Die Architektur soll dem Rechnung tragen. Längst nicht alles würde der Architekt und Bauherr Christian Schöningh, der BauNetz durch die fast abgeschlossene Baustelle führte, aber nochmal so machen.

Von Maximilian Hinz

Beim sogenannten CRCLR House handelt es sich um den Um- und Weiterbau einer ehemaligen Fassladehalle von 1872. Sie gehört zur einstigen Kindl-Brauerei im Berlin-Neuköllner Rollbergviertel. Auftraggeber und Auftragnehmer der Planungen war Architekt Christian Schöningh in Personalunion. Er ist gleichzeitig Vorstandsmitglied der Berliner Baugenossenschaft Trnsfrm, die das Projekt als Bauherrin entwickelt, wie auch Mit-Geschäftsführer der Architekturkooperative Die Zusammenarbeiter (Berlin), die seit 2020 für die Planung verantwortlich zeichnet.

Zuvor war in Fachkreisen lange Zeit ein Entwurf von Hütten & Paläste (Berlin) präsent. Das für seine Umbauten bekannte Büro war bis zur Ausführungsplanung durch die Trnsfrm beauftragt. Später übernahmen die Zusammenarbeiter das Projekt gemeinsam mit ZRS Architekten Ingenieure (Berlin), die die Tragwerksplanung verantworten. Hinzu kam Unterstützung durch die Reuse-Expert*innen von baubüro in situ (Basel, Zürich), dessen Geschäftsführer Barbara Buser und Eric Honegger ebenfalls Teil von Die Zusammenarbeiter sind.

Ohnehin ist das Unterfangen eingebunden in eine komplexe Akteurslandschaft und einen größeren Rahmen mehrerer Liegenschaftsentwicklungen. Im Hintergrund steht die Eigentümerin Terra Libra Immobilien – eine hundertprozentige Tochter der gemeinwohlorientierten Schweizer Stiftung Edith Maryon. Sie besitzt das gesamte Vollgut-Areal und hatte der Trnsfrm das circa 2.150 Quadratmeter große Teilgrundstück der Fassladehalle 2017 im Erbbaurecht übertragen. Nebenan ist bereits ein experimenteller Wohnungsbau in Holz-Hybrid-Bauweise – ebenfalls durch die Trnsfrm – entstanden. Das große Vollgutlager mit seinen vier Stockwerken an Gärkellern befindet sich derzeit in Planung.

Die Idee zum CRCLR House stieß 2015 die CRCLR GmbH an. Inzwischen wurde das Unternehmen von Impact Hub Berlin übernommen, das die Gewerberäume seither als Betreiber an weitere zirkulär wirtschaftende Start-ups vermietet. Die Bestandssanierung inklusive des Untergeschosses sowie die Aufstockung lag bei Die Zusammenarbeiter. Der Innenausbau der Halle erfolgte bis Februar vergangenen Jahres durch LXSY Architekten (Berlin).

Zirkulär und einfach

Die zwei- bis dreigeschossige Aufstockung sollte – wie schon die Transformation des Bestands – den Paradigmen des zirkulären Bauens standhalten. Alle Planungsentscheidungen unterlagen diesem Ziel. So ist das Volumen etwa in zwei Baukörper gegliedert, da durch die mittige Aussparung erschwerende Brandschutzanforderungen obsolet wurden. Im östlichen Teil sollen Co-Working-Räume unterkommen. Im westlichen Bereich entstehen barrierefreie Cluster-Wohnungen, die künftig für 30 Jahre an den Verein Campus Cosmopolis übergeben werden. Dazwischen war ursprünglich ein Gewächshaus aus recycelten Fenstern geplant.

Die gesamte Konstruktion folgt dabei dem Prinzip des „Einfachen Bauens“. In der Praxis bedeutet das eine einfache Holzskelettbauweise sowie sicht- und trennbare Verbindungen – ergo keine Nägel oder Kleber. Beton musste dennoch verbaut werden. Ob der Anpassung des Tragwerks auf das Stützenraster des Bestands konnte die notwendige Stahlbetondecke zwischen Halle und Aufbau zwar 40 Prozent schlanker ausfallen als im vorherigen Entwurf. Auf Experimente bei den Erschließungskernen verzichteten die Planer*innen aber.  

Live-Experimente auf der Baustelle

Anderes gilt für die übrigen Gebäudeteile. Kaum belastbare Referenzen führten dazu, dass der Entwurf gewissermaßen erst auf der Baustelle stattfand und fast alle Bauteile zu Experimenten avancierten. So bedurfte es für den Einbau der Stroh-Außenwände – die als Holzständerwände mit Kalkzementputz außen und Lehmputz innen ausgeführt sind – zahlreicher Testmodule, die vor Ort überprüft wurden. Nicht-zirkuläre Klebebänder konnten dabei nach mehreren Blower-Door-Tests weitestgehend vermieden werden. Auch im hinterlüfteten Balkendach gewährleistet eine Cradle-to-Cradle-zertifizierte Folie die recyclingfähige Abdichtung. Am Ende steht eine Konstruktion im Passivhaus-Standard.

Als noch umständlicher stellte sich der Einsatz wiederverwendeter Bauteile heraus. Dazu zählen unter anderem die Holz-Alu-Fenster, die in der Schweiz ausfindig gemacht wurden. Obwohl die aufwendige – und auch kostenintensive – Materialbeschaffung samt Transport schon erfolgt war, war bis zum Live-Test nicht klar, ob sie tatsächlich eingebaut werden können. Ähnlich gestaltete sich die Situation auch mit den ausgebauten Stahlfachwerkträgern der Bestandshalle, die nun als Treppenwangen dienen. Da es in Deutschland derzeit keine Regelungen für wiederverwendete Stahlbauteile gibt, mussten eigens statische Zugversuche und chemische Analysen durchgeführt werden. Diverse andere Bauteil-Wiederverwendungen hingegen fielen ähnlichen Hindernissen zum Opfer.

Zum regelrechten Abenteuer wurden weite Strecken der Bauausführung. Wenige Vorbilder in der Planung bedeuteten schließlich noch weniger Baufirmen mit entsprechender Expertise. Die Lösung wurde daraufhin durchaus euphemistisch mit dem Begriff „Kollektive Baustelle“ überschrieben. Tatsächlich engagierte man zahlreiche selbstständige Handwerker*innen. Für den Bau der Strohballenwände etwa mussten sie dann kurzerhand vom Fachverband Strohballenbau Deutschland geschult und bei der Montage von einem Zimmereibetrieb angeleitet werden.

Kreislaufgerechtigkeit auf dem Prüfstein

All die Ambitionen, dem Kreislaufgedanken gerecht zu werden, führten bei der Gestaltung zu einer ordentlichen Menge Pragmatismus. So sind die Grundrisse mit ihren unbelichteten Mittelzonen recht weit davon entfernt, als Paradebeispiel für Cluster-Wohnungen zu gelten. Und auch das konsequent durchgehaltene Prinzip des Einfachen Bauens wird so manch verwöhntem Architektenauge viel abverlangen. Etwa wenn in den Fluren gleich drei Abstufungen in der Deckenhöhe vorzufinden sind, weil die Leitungen größtenteils offen geführt werden und den Unterzügen ständig ausweichen müssen. Grund dafür war die Entscheidung, zusätzliche vertikale Schächte aus Beton zu vermeiden und stattdessen die meiste Haustechnik zentral zu bündeln sowie geschossweise horizontal zu verteilen.

Dennoch muss das CRCLR House als Meilenstein in der Bauwende gelten. Insbesondere weil es zeigt, welche Hürden dem zirkulären Bauen noch immer gestellt werden. Letzten Endes war nicht nur das Nervenkostüm der Verantwortlichen strapaziert. Auch ökonomisch rechnet sich das Projekt selbst mithilfe zweier Förderungen (KfW Effizienzhaus-Stufe 40 und „Experimenteller Geschosswohnungsbau“ im Rahmen des Berliner Sondervermögens „Infrastruktur der wachsenden Stadt“) nicht. Alles in allem liegen die Kosten – vorerst 8,6 Millionen Euro netto für rund 6.100 Quadratmeter Bruttogeschossfläche (KG 300/400) – laut Schöningh weit über einer konventionellen Bau- und Herangehensweise, allein schon wegen des Mehraufwands in der Planung. Auf Ebene der Ökonomie scheint das Experiment also gescheitert. In ökologischer Hinsicht darf es gern zum Modellprojekt werden. Die CO2-Bilanz in der Bauphase jedenfalls ist negativ.

Trotzdem hält Schöningh auf dem Rückweg durch die Baustelle fest, dass er vorerst wohl nicht mehr mit wiederverwendeten Bauteilen hantieren werde, solange es keine projektübergreifende Infrastruktur gibt. Im kommenden Sommer soll das CRCLR House – nach rund zwei Jahren Bauzeit allein für die Aufstockung – fertig werden.

Fotos: Angela Elbing, Andreas Trogisch, Die Zusammenarbeiter, Dominik Fornezzi, Maximilian Hinz, Terhalle/TRNSFRM


Zum Thema:

Im Fachmagazin nbau ist zum Circular House ein umfassender Beitrag mit zahlreichen weiterführenden Fakten erschienen.

Mehr zum Innenausbau des CRCLR House bei Baunetz Wissen und ein Alumni-Podcast mit LSXY Architekten bei baunetz CAMPUS


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Zu den Baunetz Architekt*innen:

ZRS Architekten Ingenieure


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Die Baustelle des Circular Economy House in Berlin-Neukölln Mitte 2022

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Das Holzskelett – aus Brettsperrholz-Elementen und Brettschichtholz-Decken – bleibt sichtbar. Die Ausfachungen werden innen mit Lehmputz versehen.

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Für den Einbau der Strohwände bedurfte es einiger Live-Experimente auf der Baustelle. Letztlich funktionieren sie wie eine Holzständerwand.

Für den Einbau der Strohwände bedurfte es einiger Live-Experimente auf der Baustelle. Letztlich funktionieren sie wie eine Holzständerwand.

Für den Einbau der Strohwand-Elemente wurde das „Kollektive Baustellenteam“ durch den Fachverband Strohballenbau Deutschland geschult.

Für den Einbau der Strohwand-Elemente wurde das „Kollektive Baustellenteam“ durch den Fachverband Strohballenbau Deutschland geschult.

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