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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-BauNetz-Interview_Meinhard_von_Gerkan_1565477.html

31.03.2011

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Wir bauen nicht für Systeme, sondern für Menschen

BauNetz-Interview: Meinhard von Gerkan


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Anlässlich der Eröffnung des Chinesischen Nationalmuseums von gmp (siehe BauNetz-Meldung zum Gebäude) haben wir Meinhard von Gerkan um ein Gespräch gebeten: 

BauNetz:
Herr von Gerkan, ihr Entwurf musste nach dem Wettbewerbserfolg vor allem in einem Punkt umgestaltet werden (siehe BauNetz-Meldung vom 1. September 2004). Warum konnte die zentrale Halle zum Platz hin nicht so offen gestaltet werden, wie Sie es ursprünglich geplant haben?
Meinhard von Gerkan: Man muss dazu den Platz des Himmlischen Friedens kennen. Er ist riesig, unwirtlich, fast unwirklich. Es ist dort entweder zu kalt oder zu heiß. Es gibt keine Aufenthaltsqualität. Deswegen wollten wir den öffentlichen Raum möglichst direkt mit dem Gebäude verknüpfen; die große, klimatisierte, öffentliche Halle des Forums hätte mit ihrem großen Dachkörper hier als Bindeglied fungiert. Dafür wollten wir allerdings den Mittelbau mit seinen Kolonnaden entfernen.
Direkt nach dem Wettbewerb setzte eine Diskussion auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen ein. Es gab viele Vorbehalte, darunter auch, warum überhaupt ein westliches Büro mit dieser Aufgabe betraut wird. Unser Entwurf war einigen Beteiligten zu „westlich“. Im Kern ging es darum, inwiefern eine chinesische Identität sichtbar bzw. symbolisiert werden muss. Letztlich bat sich der Bauherr mehr Rücksicht auf das bestehende Gebäude und die chinesischen Traditionen aus, die wir in diesem Bau der Mao-Zeit nie entdecken konnten. Wir haben die Halle also hinter die Kolonnaden gesetzt und dadurch auch verkleinert; sie bietet allerdings auch in ihren kleineren Dimensionen bequem Platz für 10.000 Menschen.

BN: Sie arbeiten seit über zehn Jahren in China und mit chinesischen Partnern. Wie haben Sie die Zusammenarbeit bei diesem Projekt empfunden?
MvG: Bei keinem anderen Projekt sind uns die Grenzen so deutlich gemacht worden, wie bei diesem. An unseren anderen Bauten werden Sie nicht einmal Spuren von traditionellen chinesischen Elemente finden. Hier jedoch mussten wir auf die immer wieder geäußerte, große Erwartungshaltung reagieren. Wir haben also gewisse Materialien ersetzt und bestimmte Ornamente einfügen lassen, so auch die großen Bronzetüren am Eingang vom Platz und ein großes Wandrelief eines zeitgenössischen chinesischen Künstlers im Foyer. Wir konnten allerdings durchsetzen, dass dieses nicht in kräftigen Farben, sondern eben als farbloses Relief ausgeführt wird.

BN: Inwiefern sehen Sie das chinesische Nationalmuseum bei all den Veränderungen als ein Gebäude von gmp?
MvG:
Es geht uns nicht um eine erkennbare Handschrift, sondern um eine architektonische Haltung. Wir wollen angenehme Räume, eine gute Lichtführung, ein bestimmtes Maß an Behaglichkeit und eine transparente Raumorganisation erreichen. Das sehe ich hier voll und ganz erreicht.

BN: Gab es einen Moment, in dem Sie gedacht haben, Sie müssten diesen Auftrag ablehnen?
MvG: Es gab eine sehr kritische Phase kurz nach der Beauftragung. Da wechselte plötzlich der Museumsdirektor, und ein Baumoratorium wurde verhängt. Wir wussten nicht warum. Wir wussten nur, dass auf irgend welchen politischen Ebenen über das Thema der „chinesischen Identität“ verhandelt wurde. Man ließ uns wissen, das Moratorium könne aufgehoben werden, wenn wir einige Details ändern würden. Aber die Bilder, die uns gezeigt wurden, waren so klischeehaft, dass wir sie ablehnen mussten. Hätte der Bauherr darauf bestanden, hätten wir den Bau nicht weiter begleiten können. Aber dann wurde Herr Lü zum neuen Direktor ernannt, ein Kalligraph mit einer exzellenten, sehr breiten Bildung. Besagte Bilder waren bald danach vom Tisch.

BN: Ist es als Architekt überhaupt möglich, bei einer so symbolischen Aufgabe wie dem Bau des chinesischen Nationalmuseums am Platz des Himmlischen Friedens, eine „kritische Distanz“, auch zum eigenen Auftraggeber, zu wahren?
MvG: Ich denke nicht, dass es eine Aufgabe der Architektur ist, eine „kritische Distanz“ zu wahren oder auszudrücken. Die Verantwortung jedes Einzelnen und das individuelle Handeln sind etwas anderes. So ist es, denke ich, vor allem die Aufgabe des Journalismus oder der Kunst, eine klare, eigenständige und auch kritische Haltung zu entwickeln und zu äußern.

BN: Aber das Nationalmuseum ist doch ein mächtiges, staatsrepräsentatives Gebäude für die chinesische Regierung.
MvG: Genau wie bei den Museen, Opern, Messezentren und Sportgebäuden, die wir in China bauen, ist die Regierung unser Bauherr. Aber an keiner Stelle des Auftrags hat sich uns die Frage gestellt, für welches System wir bauen. Die Entscheidung, dieses Gebäude bauen zu wollen, haben wir bereits vor dem Wettbewerb getroffen – ebenso wie die anderen Teilnehmer aus China und der ganzen Welt. Wir bauen nie für ein bestimmtes System, sondern für die Menschen. Keines unserer Gebäude in China ist in irgendeiner Form als Huldigung dieser Regierung zu lesen.

BN: Welche Bezüge gibt es zwischen ihrem Gebäude und den anderen Gebäuden am Tiananmen?
MvG: Im Prinzip steht der Neubau im Innenhof des Altbaus, von dem drei Flügel erhalten geblieben sind. Unser Entwurf bezieht sich in seinem Volumen, seiner Höhe und insbesondere mit der Dachlandschaft und den Attikas auf die großen Gebäude der Nachbarschaft. Aber ich denke, in der Qualität und der Gestaltung der Innenräume werden große Unterschiede klar. Unser Gebäude ist von großer Offenheit geprägt, von Transparenz und angenehmen Proportionen.
Wenn man gegenüber in den Palast des Volkes geht, dann fühlt man etwas ganz anderes, den Geist der Architektur vor 20 Jahren. Die dynamische Entwicklung Chinas im letzten Jahrzehnt findet sich dort nicht wieder. Natürlich wird nur wenigen Chinesen der direkte Vergleich möglich sein, da ja nur wenige in den Palast hinein dürfen – aber vielleicht werden ja wenigstens die Politiker, die dort ein und aus gehen können, in den Räumen des Museums diesen Unterschied fühlen.

Die Fragen stellte Florian Heilmeyer.


Zum Thema:

BauNetz-Meldung zur Eröffnung des Chinesischen Nationalmuseums

BauNetz-Bericht von der „Bauen für Despoten“-Debatte zwischen von Gerkan und Ingenhoven 2008 in Hamburg


Kommentare

13

ARCSB | 08.04.2011 08:23 Uhr

interessant

Gut, ich verstehe Ihre Argumente, ich denke an der Stelle können wir die Diskussion abschließen. Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Auch wenn wir nicht in allen Punkten übereinkommen, war es sehr interessant mit Ihnen zu disskutieren und ich habe neue Erkenntnisse gewonnen. Eventuell ergibt sich ja irgendwan nochmal eine Gelegenheit.

12

JBK | 07.04.2011 21:48 Uhr

Ich weiß darauf

keine Antwort. Solange China jedoch von einer autokratischen Clique regiert wird, die sich weigert, diesen teil der chinesischen geschichte überhaupt nur einzugestehen, würde ich mich schlicht von dieser nicht vereinnahmen lassen. Schon garnicht an diesem Ort, schon garnicht für ein solches Projekt und bestimmt nicht mit dieser Formensprache. Das Projekt Steven Holls für einen privaten Investor, der sich offensichtlich auch nicht scheut mit sogenannten "Dissidenten" zu arbeiten, scheint mir - ganz unabhängig von der Architektursprache - besser geeignet, um kulturellen Austausch und ggfs. Wandel zu befördern.

11

ARCSB | 06.04.2011 19:55 Uhr

Wenn

Sie das so sehen, ich denke aber anders und glaube nicht das man eine Menschen einfach so "wissenschaftlich" kategorisieren kann. Außerdem denke ich nicht, dass sich jemand an Ihren oder meinen Wertevorstellungen zu messen hat, sondern zuerst an den eigenen. Das ist oft schon schwer genung und bedeutet nicht, Kritik ist egal, ich mache was ich will, sondern dann damit richtig umgehen und daraus lernen. Und so haben auch Sie ein Recht auf Ihre Meinung ohne sich nach den Werten Andere zu richten.
Ich habe ja auch nie behauptet, das dieses Gebäude dieses Thema verarbeitet oder? Ich halte nur den Vergleich zu NS-Architektur für unangebracht, auch wenn sie sicherlich sehr sachlich und doch eher kühl wirkt.
Ihr Argument, dass das Museum von MvG nichts oder nicht viel tut um mit den geschehen Ereignissen umzugehen, kann ich schon nachvollziehen. Was meinen Sie? Mit welchen Maßnahmen hätte man dies architektonisch verarbeiten können?

10

JBK | 06.04.2011 11:04 Uhr

Warum

sollte ich Ihm Unrecht tun? Er HAT dort gebaut! Wo manifestiert sich denn in dem Gebäude (oder in seinem Interview) der Respekt für die (vermutlich ca.) 3000 toten Studenten, die auf dem Platz davor massakriert wurden? (Wir erinnern uns: Die Regierung ließ die Demonstranten von Panzer einkesseln und dann in die unbewaffnete menge schießen. Man stelle sich vor, dies wäre auch in Leipzig 89 passiert und ein chinesischer Architekt würde dort dann am Ort 20 Jahre später ein Museum im Stile Albert Speers errichten!) Ich messe Herrn von Gerkan an dem,was er in einem Interview, welches bestimmt gegengelesen und authorisiert wurde, gesagt hat. Das entspricht den wissenschaftlichen Gepflogenheiten und ist keine Spekulation. Und letztlich sehen wir, was heute passiert: Die autoritäre chinesische Regierung schmückt sich mit dem Gebäude eines Herrn von Gerkan, mit einer durch den deutschen Staat finanzierten Ausstellung über die Aufklärung und lässt noch am Tag der Abreise des deutschen Außenministers Ai WeiWei (der hier exemplarisch für die Tausende anderen Gedemütigten, Verfolgten und Terrorisierten des Regimes steht) verschleppen. Diese Regierung pfeift nicht nur auf seine eigenen Gesetze, sondern ganz besonders auf Wandel durch Annäherung und verpasst allen Kritikern einen gehörigen Tritt in den Arsch. Das war schon zu Olympia so und daran hat sich nicht geändert. (Das ganze Dilemma wir schön erklärt in dem Artikel "Aufklärung in Marmor" von Niklas Maak FAZ.net vom 5. April)
Mit welcher Haltung chinesische Architekten an diese Bauaufgabe herangegangen währen, kann Ihnen und mir total egal sein. Tatsache ist, dass das Verhalten von GMP - ob es will oder nicht - sich an unseren Wertevorstellungen zu messen hat. Und was diese angeht, benimmt es sich schäbig. Man stiehlt sich mit fadenscheinigen Formal-Argumenten aus der Verantwortung. Deutsche Architekten schaffen einen "schönen" Rahmen, wo sich Westerwelle und Wen Jiabao buchstäblich über den Leichen von ermordeten Studenten die Hände schütteln können. (Würde er Vergleichbares auch an einem historisch so aufgeladenen deutschen Ort tun?...Aber China ist ja weit.) Fragen nach Integrität und Respekt werden nicht gestellt. Da lockt das Geld dann doch zu sehr.
Sie fragen: "Wäre es dann einfach leichter zu ertragen, wenn die Architektur das Geschehene nicht verarbeitet weil wir weniger betroffen wären?"

Nochmal meine Frage: Wo verarbeite denn das Gebäude jetzt dieses Thema? Und sie meinen, wenn ein regimetreuer Architekt der Partei dort ein glorifizierendes Denkmal gesetzt hätte? Genau so ist es!! GMP macht sich hier im Dienste einer verachtenswerten Clique (nicht den Chinesen allgemein) die Hände schmutzig. Und diskreditiert auch noch all die, die wirklich mit Nachdruck dafür einstehen, dass Wandel in Gang kommt.

Was darf ein Architekt, was nicht? Nun wenn sich jemand bei der Beantwortung so fundamentaler ethischer Fragen so schwer tut, dann er hat er wahrscheinlich ein "gewisse(n)s"-Problem. Wirklich unerträglich ist jedoch am Ende die Heuchelei.

9

ARCSB | 05.04.2011 20:18 Uhr

Relevanz

Hätte denn bspw. ein chinesischer Architekt automatisch eine bessere Haltung gehabt? Oder wäre es dann einfach leichter zu ertragen, wenn die Architektur das Geschehene nicht verarbeitet weil wir weniger betroffen wären?
Das Thema ist in sofern relevant, weil es die Frage aufwirft ob es nur auf die Haltung ankommt? Hätte man Ihnen das gleiche Gebäude mit einer richtigen Haltung und logischer Begündung verkaufen können? Die Kernfrage ist doch dann: Was darf ein Architekt und was nicht? Das hat aber in erster Linie nichts damit zu tun, ob mir das Gebäude persönlich gefällt oder nicht.
Mit solch einem Urteil wie am Ende Ihres letzten Kommentars wäre ich sehr vorsichtig. Ich respektiere natürlich Ihre Meinung, aber diese Äußerung beruht lediglich auf Ihrer Interpetartion einer Textstelle. Wenn Sie Herrn von Gerkan nicht persönlich kennen, halte ich es für wahrscheinlich, dass Sie ihm damit Unrecht tun.

8

JBK | 04.04.2011 14:38 Uhr

Was macht denn

dieses Gebäude wahrscheinlich anders (oder besser) als eines, welches ein chinesischer Architekt gebaut hätte? oder biedert es sich nur an? Was unterscheidet dieses Museum von dem Projekt Steven Holls? (nicht architektonisch! Sondern in der Haltung! Mit wem hat Holl gearbeitet und mit wem MvG?)

Wenn es relevant wäre, dass man auch in einem Einfamilienhaus schlimme Dinge tun kann, dann erübrigt sich doch diese Diskussion. Dann ist doch alles egal. Dann dürfte ich nichts mehr bauen. ich würde einen Supermarkt in Birma bauen, aber keinen Palast. Ich würde ein Wohnhaus in Camp Delta bauen, aber keine Verhörzellen. Ich würde mit einem Fernsehsender arbeiten, aber nicht mit einer autoritären Regierung..Wie gesagt: das entscheidet jeder sicher anders:
MvG waren ein "paar Details" und "klischeehafte" Bilder wichtiger als der Respekt vor ein paar tausend toten Studenten.

7

ARCSB | 04.04.2011 10:33 Uhr

Was geht und was nicht?

Es geht nicht um kritiklose Akzeptanz, Kritik ist sogar extrem wichtig. Es kommt aber darauf an wie. Konstruktive Kritik und Diskussion können stets nur auf einer sachlichen Ebene geschehen, anderfalls wird es zu einer Farce. Genau diesen Eindruck hatte ich aus den ertsen Komentaren gewonnen. Wenn man etwas ableht oder gar verteufelt nur aus Halbwissen oder einem flüchtigen ersten Eindruck heraus, halte ich das nicht für angebracht.
Nun kann man diese Architektur gut oder schlecht finden oder eben die Hintergründe aus denen sie entstand, darüber lässt sich dann auch sachlich diskutieren. Aber einfach nur zu sagen ein Gebäude ist schlecht nur weil es monumetal ist, scheint wenig objektiv zu sein.
Für mich stellt sich aus dem letzten Beitrag die Frage: Sollten ausländische Architekten überhaupt solche politischen Gebäude in Ländern wie China bauen? In einem Punkt muss ich MvG ebenfalls widersprechen, ich denke auch dass man als Architekt eine politische Verantwortung für seine Gebäude übernehmen muss. Ob nun ein chinesischer oder ein ausländischer Architekt für das Projekt besser geeignet gewesen wäre, soll jeder selbst entscheiden. Ich sehe aber eine große Chanche darin wenn an dieser Stelle durch äußere Einflüsse Vermittlungspotenziale geschaffen werden. Wie gut das dem neuen Museum gelingt kann man nur anhand von ein paar Bildern nicht beurteilen. Architektur ist immer etwas was man erleben muss. Es gibt aber auch Bauwerke wie die neue Hauptzentrale für einen chinesischen TV-Sender von Koolhaas, der für eine Öffnung zur Öffentlichkeit, also ebenso dem Volk, ausgelegt ist und auch wenn es immer noch eine Frage ist, wie dieser Sender das Potenzial letztendlich nutzt, ist es ein klares politisches Statement in architektonischer Form. Trozdem ist Koolhaas dafür stark in die Kritik genommen wurden, allein weil er in China zudem für eine so politische Einrichtung wie diesen Sender gebaut hat.
Architektur allein für sich kann doch weder gut noch böse sein, es kommt immer auf die Nutzung bzw. Nutzer an. Auch in einem Supermarkt oder einem Mehrfamilienhaus kann man schlimme Dinge tun, sollte deswegen kein westlicher Architekt mehr etwas in China bauen? Ich glaube das Abschottung und sich einfach raus halten hier genau der falsche Weg ist.

6

JBK | 01.04.2011 21:16 Uhr

Was wäre

so schlimm daran gewesen, wenn statt eines deutschen Büros ein einheimischer "regimetreuer" Architekt an dieser Stelle ein durch-und-durch chinesisches Gebäude geplant hätte? Oder anders gefragt, in welcher Weise formuliert denn das jetzt fertig gestellte Werk eigentlich eine - wie auch immer geartete Gegenposition oder gar Regimekritik? Wo wird denn hier ein "interkultureller Austausch" befördert? Wo ist der "Denkanstoß", der höfliche, westliche Stups, die "individuelle Schmuggelware"? Will es das überhaupt leisten? Wenn ich MvG richtig verstanden habe, will es das gerade nicht. Die Qualitäten sollen quasi "pur", rein architektonisch betrachtet werden. Wenn es aber letztlich auch nichts anderes ist und sein will, als eine "gute" Architektur für Menschenmassen, wie wir Deutschen sie ja aus der eigenen Architekturgeschichte durchaus kennen, dann sehe ich auch keinen Grund, warum hier nicht ebensogut ein chinesischer Architekt hätte bauen sollen. Wo ist dann der "Mehrwert"? Liegt der nur darin, dass MvG ein "besserer" Architekt ist, als all die anderen "regimetreuen" Chinesen?
Die Frage, die ich mir - über das konkrete Beispiel China hinaus - als Planer hier stelle, ist, ob es "gute" Architektur ohne Ethik geben kann? Wie weit würde ich mich - wenn man mich fragte - als Planer für ein totalitäres Regime (wie gesagt: China ist hier nicht konkret gemeint) zur Verfügung stellen? Welchen Preis der Selbstaufgabe und -verleugnung wäre ich persönlich bereit, für einen möglichen, aber unkalkulierbaren "Wandel durch Annäherung" zu zahlen? Interessant - um nicht zu sagen entlarvend - ist doch, dass MvG zumindest an einer Stelle eine Toleranzschwelle erwähnt: "Hätte der Bauherr darauf bestanden, hätten wir den Bau nicht weiter begleiten können." Worum es ging, waren "einige Details" und "klischeehafte Bilder", die jedoch anscheinend dem Architekten so wichtig waren, dass man u.U. sogar bereit gewesen wäre, den Aufrag hinzuschmeißen. Aufschlussreich! Entwerferische Eitelkeit, der Wunsch, sich fachlich-gestalterisch nicht verbiegen zu lassen, hätte ein Grund für den Ausstieg sein können. Der Umstand, dass am Tian´Anmen ein Massaker stattgefunden hat, welches bis heute in China offiziell nicht aufgearbeitet ist, spielte allem Anschein nach kaum eine Rolle. Hier denkt man stattdessen über die "Aufenthaltsqualität" des Platzes nach.

Vielleicht ein krasses Gedankenspiel: Hätte ich im Auftrag Speers ein architektonisch "gutes" Konzentrationslager entworfen? Vielleicht mit der Rechtfertigung, dass es - wenn ich es nicht mache - eben ein anderer macht, der u.U. nicht so "angenehme" Räume für die Insassen entwirft? Oder würde ich einen Palast für die Junta in Myanmar planen, die buddhistische Mönche verprügeln und das birmanische Volk ausbluten und verhungern lässt? Eine Lagerhalle für die Mafia? Ein Bürogebäude in Camp Delta, Guantánamo? Ein Einkaufszentrum auf einem Massengrab oder eine Schweinemastfarm in einem Wasserschutzgebiet? Wo da die Grenzen der Integrität sind, wird wahrscheinlich jeder für sich selbst beantworten wollen, aber Fakt ist doch wohl, dass der Versuch, Architektur gänzlich ohne Ethik zu denken, zumindest gewisse Fragen aufwirft. Mir gelingt das jedenfalls nicht so ohne weiteres. Ich bin überzeugt, dass zu uns als "moralische Wesen" der "Geist des Ortes" auch immer zu unserem Gewissen spricht....Mal lauter, mal leiser.

P.S. Dass es in Deutschland ebenso furchtbare Beispiele fragwürdiger Monumentalarchitektur (BND) gibt, ist ja kein Grund, diese anderswo kritiklos zu akzeptieren.

5

ARCSB | 01.04.2011 13:37 Uhr

über den Tellerrand

Genau so ist es zu sehen, denn solche riesigen monumetalen Gebäude gibt es ja nur in Ländern wie China oder anderen totalitären Staaten nicht wahr?

Gebäude wie das geplante Stadtschloss in Berlin das Kanzleramt oder die neu entstehende Zentrale des BND (übrigens 200.000 qm brutto) sind in keiner Form monumental.

Die Wahrheit ist; keine Nation insbesondere die großen Wirtschaftsmächte, also genauso wir Deutschen, haben auch nur im geringsten ein Anrecht auf Selbstgerechtigkeit. Wer dies dennoch glaubt ist genauso totalitär wie das System das er kritisiert.

Wer von denen die hier ihre Meinung abgegeben haben würde von sich behaupten, dass er ein besseres Bauwerk entworfen hätte? Oder wäre es besser gewesen, wenn beispielweise ein regimetreuer Architekt den Neubau erdacht hätte?

4

HHs | 01.04.2011 10:32 Uhr

denken

ich kann nichts falsches an der haltung von herrn von gerkan entdecken. ihm hier geldgieriges, moralvergessenes auftragserheischen vorzuwerfen ist mir zu platt. ich kann auch an der bauaufgabe eines nationalmuseums nichts verwerfliches finden.

ich denke, die frage ist doch, welche art von moral man hier möchte: wo sind denn die kosntruktiven gegenvorschläge? sollen wir die arme verschränken und mit china auf keienr ebene mehr kooperieren bis sich dort von alleine eine demokratie durchsetzt? oder versucht man bis dahin mit den menschen dort zusammen zu arbeiten im sinne eines internationalen und interkulturellen austauschs. da ist mir das letztere doch lieber.

der hinweis auf die ausstellung ist der entscheidende und zeigt, auf welchen ebenen man diskutieren muss, wo die grenze zu ziehen ist und wie viel menschenrechtsverstösse man erträgt, um den nächsten auftrag für einen transrapid an land zu ziehen. da ist doch der bau dieses museums in meinen augen eine hehre aufgabe und es wirkt auf mich, als wäre diese auch gut gelöst worden...

3

matthias | 31.03.2011 18:20 Uhr

@Clemens Leathley-Mattler

ganz anders dagegen die architektur von ksp... na, das war wohl ein scherz

2

Clemens Leathley-Mattler | 31.03.2011 17:17 Uhr

Haltung

"Direkt nach dem Wettbewerb setzte eine Diskussion auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen ein." -
Ach ja? Soll uns hier linientreu zur staatlichen Propaganda die Hierarchie der chinesischen Staatspartei als gesellschaftliche Vielfalt untergejubelt werden?

"Wir wollen angenehme Räume, eine gute Lichtführung, ein bestimmtes Maß an Behaglichkeit und eine transparente Raumorganisation erreichen. Das sehe ich hier voll und ganz erreicht." -
So so. Eine banale Lichtführung, Räume ohne jeden esprit, die Behaglichkeit einer Kühlhalle, den Besucher zu einer Ameise degradierende Monumentalität, eine Raumorganisation, die öder, langweiliger und ermüdender kaum gedacht werden kann, all das soll uns hier als Ausdruck einer "architektonischen Haltung" verkauft werden!? Ja, geht´s noch!?

Es reicht schon, dass das chinesische Regime versucht, seine Untertanen einer politischen Gehirnwäsche zu unterziehen. Darüberhinaus ist es durchaus entbehrlich, uns in vorauseilendem Gehorsam einer architktonischen Gehirnwäsche unterziehen zu wollen.

"Wir bauen nie für ein bestimmtes System, sondern für die Menschen. Keines unserer Gebäude in China ist in irgendeiner Form als Huldigung dieser Regierung zu lesen."

Klar. Und die Erde ist eine Scheibe...

Meinhard, lass stecken. Die Bück- und Meterware aus Deinem Kolonialwarenladen wirst Du uns nicht schönreden.

1

peter | 31.03.2011 16:51 Uhr

Lächerlich wieder.

"Aber an keiner Stelle des Auftrags hat sich uns die Frage gestellt, für welches System wir bauen. Die Entscheidung, dieses Gebäude bauen zu wollen, haben wir bereits vor dem Wettbewerb getroffen – ebenso wie die anderen Teilnehmer aus China und der ganzen Welt. Wir bauen nie für ein bestimmtes System, sondern für die Menschen. Keines unserer Gebäude in China ist in irgendeiner Form als Huldigung dieser Regierung zu lesen."

Naklar. "Für die Menschen". Und ob diese Gebäude so zu lesen sind. Heuchelei wieder.

 
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