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26.10.2021

Schienen im Keller

Bahn-Akademie in Brüssel von Atelier Kempe Thill und Canevas


Wie in vielen Großstädten werden auch in Brüssel alte Bahnareale transformiert. Unter Stadtarchitekt Kristiaan Borret soll dabei nicht nur preiswertes Wohnen entstehen, sondern auch Gewerbe und Produktion in innerstädtischer Lage erhalten werden. Hinzu kommen öffentliche Nutzungen, was in der Summe dem zeitgenössischen Ideal einer produktiven Stadt entspricht. Ein Projekt, das sich gut in diesen Ideenkontext fügt, wurde jüngst am Westbahnhof in Molenbeek fertiggestellt. Für die belgische Netzagentur Infrabel, zuständig für die gesamte Schieneninfrastruktur des Landes, entstand dort eine Ausbildungsstätte. Atelier Kempe Thill (Rotterdam) und Canevas architectes et ingénieurs (Liège) waren für Entwurf und Umsetzung verantwortlich.

Der langgezogene Neubau mit seiner Fassade aus silbrig-grauem Aluminium fügt sich gut in die heterogene Umgebung, die einerseits von stattlichen Wohnbauten und andererseits eben von Schienen, Oberleitungen, Signallichtern und Hallenbauten geprägt ist. Das Volumen wurde mittels eines Durchgangs in zwei eigenständige Zugangsbereiche mit jeweils eigenem Atrium unterteilt. Ein Abschnitt dient dabei der praktischen, der andere der theoretischen Ausbildung. Die Theorie nimmt das nördliche Erdgeschoss ein und erstreckt sich zusätzlich über das gesamte Obergeschoss. Ebenfalls dort lokalisiert ist das Auditorium, welches auch für externe Veranstaltungen genutzt werden kann. Die Räume und Hallen für die praktische Ausbildung befinden sich wiederum im südlichen Erdgeschoss. Die Atrien verfügen über Sheddächer, was nicht nur eine natürliche Belichtung der tiefen Erdgeschossgrundrisse erlaubt, sondern auch den industriellen Charakter des Gebäudes unterstreicht. Dank großflächiger Verglasungen entstehen außerdem Sichtbeziehungen zwischen Theorie und Praxis.

Das Gebäude überzeugt durch die für Kempe Thill typische Präzision. Es besteht zu rund 90 Prozent aus Fertigteilen und wurde zügig umgesetzt. Durch den Standort im Bahnhofsumfeld, der praktischerweise sehr gut öffentlich erreichbar ist, ergaben sich jedoch besondere Anforderungen an den Schutz vor Lärm und Vibrationen. Was man nämlich erst auf den zweiten Blick erkennt: Die Akademie wurde direkt über einer hier unterirdisch verlaufenden Metrolinie errichtet. Die deshalb nicht nur kosten-, sondern auch gewichtsoptimierte Konstruktion richtet sich somit nach den Außenwänden des Tunnels, die die äußere Tragwerkslinie definieren. Zusätzlich musste die bestehende Deckelung mit Stützenreihen zwischen den Gleisen und 1,5 Meter hohen Betonbalken ertüchtigt werden.

Der substanzielle Eingriff in die Unterkonstruktion blieb allerdings auch oberirdisch nicht folgenlos, resultierte er doch in einer notwendigen Anpassung der Geländehöhe, was wiederum die Modifikation einiger Nachbargebäude nach sich zog. Zumindest in Richtung der Gleise erlaubt das neue Niveau aber über die Passage durch die Akademie einen direkten Zugang zum Bahnsteig. Die heute so oft kritisierte Trennung von Theorie und Praxis sorgt in Brüssel also für ganz neue Perspektiven. (sb)

Fotos:
Ulrich Schwarz, Berlin


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