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21.04.2021

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Buchtipp: Hype und Verblendung

Backsteinstadt Zürich


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Der Autor dieser Zeilen hat selbst über ein halbes Jahrzehnt in Zürich gelebt und es trotzdem erst aus dem eben erschienenen Buch von Wilko Potgeter und Stefan M. Holzer erfahren: Zürich darf wohl als die am besten erhaltene „Backsteinstadt“ der Zeit um 1900 gelten!

Zürich? Kann doch nicht sein! Was ist mit all den Städten Nordeuropas und ihrer jahrhundertealten Backsteintradition? Man muss diesen helvetischen Superlativ natürlich ausdifferenzieren, um zu verstehen, worauf die Autoren hinaus wollen. Es geht ihnen nicht um lange Traditionslinien vernakulären Bauens mit gebrannten Steinen, sondern um einen sauber definierbaren Sichtbacksteinboom, der in dieser Form tatsächlich nur in Zürich stattgefunden hat – und dessen Hinterlassenschaften durch den Zweiten Weltkrieg und die darauf folgenden Modernisierungsbewegungen nicht dezimiert wurden.

„Boom“ klingt nach Hype und Mode – und das ist in diesem Fall auch nicht falsch. Basis des Booms war natürlich ein massives Wachstum der Stadt und ein entsprechendes Bauvolumen vor dem Ersten Weltkrieg. Doch die eigentliche Initialzündung für das Bauen mit Backsteinen machen die Autoren an der ersten Schweizerischen Landesausstellung 1883 fest, wo sich die Keramikindustrie mit einem hübschen Pavillon der Architekten Chiodera & Tschudy präsentierte und sowohl Laien als auch Fachleute zu begeistern verstand. Die „Ziegler“-Lobby wurde also zum genau richtigen Zeitpunkt aktiv und scheint ästhetische und bautechnische Bedürfnisse geschickt bedient zu haben.

Hinzu kommt, dass es bei diesem Boom natürlich nicht um massive Ziegelmauerwerke ging, sondern um Formen des Verblendens mit hochwertigen Backsteinen, also um Fragen der Fassadenbehandlung und Oberflächenqualitäten. Fritz Schumacher klagte deswegen 1917, dass diese historistischen Bauten mit ihren Verblendfassaden ein „totes und missfarbenes Kleid“ tragen würden. Heute würden die meisten das wohl anders sehen, auch deshalb, weil die Fassaden sehr gut gealtert sind. Damit berührt das Buch auch aktuelle Fragen, denn dauerhafte Oberflächen, die locker über 100 Jahre halten und nichts von ihrer Qualität einbüßen, sind trotz allem Nachhaltigkeitsstreben momentan leider nicht die Regel.

Backsteinstadt Zürich. Der Sichtbackstein-Boom zwischen 1883 und 1914 ist übrigens kein „Ziegelstein“, sondern ein überraschend kompaktes und schmales Buch, das technik- und bauhistorische Spezialfragen auf gut 200 Seiten sehr anschaulich zugänglich macht. Es basiert auf den Ergebnissen eines Forschungsprojektes am Institut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich, bietet immer wieder entsprechende Tiefenbohrungen – und liest sich trotzdem außerordentlich flott. Dazu trägt auch die gelungene Bebilderung bei, die zwischen technikhistorischen Abbildungen, aktuellen analytischen Detailblicken auf Backsteine und dem einmaligen Konvolut dokumentarischer Aufnahmen Zürcher Bauten des „Häusersammlers“ Friedrich Ruef-Hirt (1873–1927) changiert.

Text: Gregor Harbusch

Backsteinstadt Zürich. Der Sichtbackstein-Boom zwischen 1883 und 1914
Wilko Potgeter und Stefan M. Holzer
208 Seiten
Park Books, Zürich 2021
ISBN 978-3-03860-231-6
48 Euro


Kommentare

1

auch ein | 21.04.2021 15:58 Uhr

architekt

schon ausprobiert:
buch kaufen, rauf aufs rad und alle projekte anschauen bei schönem wetter!

der perfekte covid-zeitvertreib an der frischen luft.
und: zürich ist klein, man kann ALLES sehen ;-)

 
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Für die Herausgeber Wilko Potgeter und Stefan M. Holzer ist das Chemiegebäude der ETH Zürich von Alfred Friedrich Bluntschli und Georg Lasius (1884–86) der Initialbau des Backstein-Booms in Zürich.

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