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21.12.2007

Jede Menge Kohle

Auch ein Jahresrückblick


Die Zeiten, in denen „Kohle“ nur für „Kohle“ stand, sind vorbei. Kohle bedeutete immer auch schon „Geld“. Und heute bedeutet Kohle neben „Geld“ offenbar auch „Kohlendioxyd“. Uns begegnet jedenfalls in englischsprachigen Erläuterungstexten ständig das Wort „carbon free“ – als Merkmal neuer Siedlungen. Deren Häuser sind nun keineswegs „kohlefrei“, sondern eher so etwas wie „klimaneutral“. Frei von CO2-Ausstoß!
Und so kommt im Jahr des Klimagipfels kaum ein internationales Immobilienprojekt mehr auf den Markt ohne das Merkmal „carbon free“.

Verzeihung, wir müssen Sie jetzt mal kurz beballern – mit Projekten, die dieses Jahr in den BauNetz-Meldungen standen:

Foster plant Motor-City in Spanien – Formel 1, aber kohlefrei. Foster plant Stadt in Abu Dhabi – kohlefrei. Russland in klein: Egeraat plant Reicheninsel im Schwarzen Meer – selbstverständlich „mit positivem Einfluss aufs Klima“. Asymptote bauen Millardenprojekt in Malaysia – CO2-frei. Und wieder der Lord: Foster baut Siedlung in Bulgarien – kohlefrei. Las Vegas bekommt einen Ableger in der spanischen Wüste – ohne Wasser, aber mit 100.000 Besuchern täglich. Und natürlich „umweltverträglich“.

Sitzen Sie noch aufrecht? Gut, dann gehts weiter: Foster: Museum Abu Dhabi. Hadid: Museum Bahrain. Hadid: Uni Hong Kong. gmp: Nationalstadion Warschau. Arup: Nationalstadion Singapur. Foster: Wembley-Stadion London. HOK: Olympiastadion London. Foster: Camp-Nou-Stadion Barcelona. HOK: Ski-Resort in Kasachstan. Foster: Öko-Hochhaus in Sibirien. Foster: Weltraumbahnhof in New Mexico. Hadid: Wolkenkratzer in Kasachstan. OMA: Hochhaus Dubai. Hadid: Oper in Dubai. Egeraat: Nationalbibliothek Tatarstan. Coop Himmelb(l)au: Museum Shenzen. Coop Himmelb(l)au: BMW-Welt München. OMA: Börse Shenzen. OMA: Torre Bicentenario, Mexiko-Stadt. Herzog/de Meuron: Miami Art Museum. Coop Himmelb(l)au: Acron Art Museum. Foster: Rossija Tower, Moskau. Und nicht zuletzt: Rem Koolhaas (als Preisrichter): Grab für alle Menschen, Dessau.

Und das ist wirklich nur eine Auswahl. Was haben diese Projekte gemeinsam? Mal abgesehen von dem maßlosen Öko-Schwindel der meisten dieser Vorhaben, bauen hier die immer gleichen Usual Suspects (meistens) immer das Gleiche all over the world – vorzugweise im Reich der Petrodollars, im riesigen Land des neureichen Rubels, an den Ufern des Yangtse-Staudamms oder, wer hätte es gedacht, auffallend oft im Boomland Spanien. „Jede Menge Kohle“ ist der einigende, gemeinsame Nenner all dieser Prestigeprojekte von Jet-Set-Star-Architekten, die Armaden von unterbezahlten jungen Leuten in der Hochpreis-Metropole London, in Rotterdam oder Wien beschäftigen, die die eigentliche Arbeit machen.

Als junger Architekt gehört man entweder dazu, dann ist man ein Wissender, der über provinziellere Standorte nur die Nase rümpfen kann, oder man gehört nicht dazu – und lässt schon mal gern bei der BauNetz-Kommentarfunktion seinen Frust über dieses Foster-Hadid-Dubai-Einerlei ab. Recht haben sie beide.

Was bringt uns eigentlich dazu, all dies zu melden? Diese Frage stellt sich jedenfalls bei der Durchsicht einer solchen Liste unausweichlich.
Antwort: Zum Einen möchten wir unseren Lesern das, worüber die Welt spricht, nicht vorenthalten. Zum Anderen sind wir als Redaktion immer auch angewiesen auf das, was uns erreicht. Die Hervorbringungen der Star-Architekten finden schneller ein Medium, ein Portal, einen Newsletter oder ein Press Release, die sie verbreiten. Qualitätvolles, wirklich Neues, Überraschendes hat es schwerer, auf sich aufmerksam zu machen, als das Laute.

Gleichwohl haben wir versucht, auch solche „leisen“ Töne aufzuspüren. Zum Beispiel, ganz passend zur akustischen Analogie, der kleine, aber erfrischend moderne Konzertsaal im Garten des Geburtshauses von Franz Liszt (Architekten: Kempe Thill). Oder die wunderbare Erweiterung des Lutherhauses in Eisleben (Springer Architekten) im tiefsten Sachsen-Anhalt. Noch ein schönes, kleines Haus zu Ehren eines Großen: Das Bachhaus in Eisenach von Berthold Penkhues.

Häufig ist die Kirche ein dankbarer Bauherr im Sinne der Qualität von Alltagsarchitektur. Allen voran sind natürlich die beiden in diesem Jahr fertig gestellten Zumthor-Projekte zu nennen: das Diözesanmuseum „Kolumba“ in Köln und die privat beauftragte, anrührende Bruder-Klaus-Kapelle in der Eifel. Aber auch der Umbau für den Schwedischen Kirchenverein in Frankfurt (Architekten: Just.Burgeff). Oder das katholische Gemeindehaus in Riedlingen von Peter Krebs, eine bauhausweiße Adaption eines Siebziger-Jahre-Vorgängerbaus. Ganz eigenwillig und ganz klein sind die originellen Umbaupläne für ein Pfarrhaus in der Schweiz von Frei & Saarinen. Und, wenn auch kein eigentlicher Sakralbau, wäre in dieser Reihe noch der Gedenkraum für das KZ Buchenwald zu erwähnen, den die Architekten Arnke und Hänsch allen Ernstes im Heizungskeller eines Kirchenschiffes untergebracht haben.

Solche Projekte sind es, die einem übers Jahr Freude bereiten, sowohl uns, als auch unseren Lesern – wie die Kommentare immer wieder zeigen. Nun, wir werden auch in Zukunft nicht gänzlich von der Berichterstattung über den architektonischen Jet-Set ablassen können – schon aus Gründen der Chronistenpflicht. Was aber bei der Durchsicht unserer Meldungen für diesen etwas anderen Jahresrückblick deutlich wurde: Unsere Aufmerksamkeit muss im Neuen Jahr noch stärker der Qualität gelten – und nicht dem, das sowieso keiner mehr sehen kann. Ob mit oder ohne Kohle.

Benedikt Hotze

Die BauNetz-Redaktion geht heute in die Weihnachtspause. Neue Meldungen und den Newsletter gibt es wieder ab dem 2. Januar 2008. Wir wünschen allen unseren Lesern frohe Feiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!


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