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16.09.2020

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Buchtipp: Als der Osten im Süden baute

Architecture in Global Socialism


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Auf den ersten Satz kommt es an! Nicht nur bei einer BauNetz-Meldung, auch bei einem akademischen Schwergewicht wie Architecture in Global Socialism: Eastern Europe, West Africa, and the Middle East in the Cold War geht es um den pointierten Einstieg. So gesehen macht Lukasz Stanek alles richtig, wenn er ganz am Anfang seiner Publikation über osteuropäische Einflüsse auf das Bauen im globalen Süden während des Kalten Kriegs einen Zeitzeugen zu Wort kommen lässt – der betonte nämlich im Gespräch mit dem Autor: „Ich erinnere mich sehr gut an die osteuropäischen Architekten, denn es war das erste und letzte Mal, dass ein weißer Mann in Ghana einen schwarzen Boss hatte.“

Das Zitat macht neugierig. Und es macht in seiner anekdotischen Scharfzüngigkeit sofort klar, dass man eine bestens informierte Auseinandersetzung mit einem speziellen Kapitel der globalen Geschichte der Moderne erwarten darf, die einiges zutage fördert, von dem man nicht die leiseste Ahnung hatte. Fünf Städte nimmt Stanek – der in Manchester forscht und lehrt – ausführlich unter die Lupe. Zuerst diskutiert er die beiden westafrikanischen Städten Accra in Ghana und Lagos in Nigeria, danach blickt er Richtung Persischer Golf: nach Bagdad, Abu Dhabi und Kuwait-Stadt.

Alle untersuchten Länder waren Mitglieder in der Bewegung der Blockfreien Staaten, also nicht von der Sowjetunion abhängig. Die Kooperationen mit Planer*innen, Institutionen und Firmen aus dem Osten waren bewusste Entscheidungen der nationalen Eliten – immer vor dem Hintergrund des übermächtigen Großbritannien, das auf die fünf Länder maßgeblichen Einfluss gehabt hatte. Oft standen diese Kollaborationen in Konkurrenz mit Bau- und Planungsprojekten des Westens, der natürlich ebenfalls im globalen Süden agierte, dabei aber auf andere Strategien setzte.

Stanek geht es in Architecture in Global Socialism auch um neue Perspektiven der Architekturgeschichtsschreibung. Sein Buch arbeitet sich nicht an großen Namen ab und zeichnet deren „Exportleistungen“ nach. Stattdessen blickt er erklärtermaßen vom Süden in den Norden. Ausgangspunkt sind die dekolonialisierten Staaten des globalen Südens und deren Streben nach Modernisierung und kultureller sowie politischer Selbstpositionierung seit Ende der 1950er Jahre. Architektur und Planung sind das Medium, in dem sich vieles verdichtet, doch um formale Fragen geht es in diesem Buch nur am Rande. Vielmehr diskutiert Stanek ökonomische Zusammenhänge und politische Interessenskonflikte, Expertenwissen und Netzwerke, Institutionen und Firmen sowie die feinen Differenzierungen jenseits des Schubladendenkens von West und Ost, Nord und Süd. Auch das Bild von der einseitigen Abhängigkeit der Länder des globalen Südens vom übermächtigen Norden wird ausdifferenziert.

Viele Jahre Forschung stecken in dieser Publikation. Dementsprechend viel Text haben die Leser*innen vor sich. Aber auch eine exzellente Auswahl an Bildmaterial, das zu einem nicht unerheblichen Teil aus schwer zugänglichen Privatarchiven stammt. Wer sich ernsthaft für die globalen Zusammenhänge der Nachkriegsmoderne und komplexe internationale Wechselwirkungen jenseits der bekannten Meistererzählungen von Le Corbusier in Chandigarh oder Louis Kahn in Ahmedabad und Dhaka interessiert, der wird an diesem Buch nicht vorbeikommen.

Text: Gregor Harbusch

Architecture in Global Socialism: Eastern Europe, West Africa, and the Middle East in the Cold War
Lukas Stanek
368 Seiten
Englisch
Princeton University Press, Princeton 2020

ISBN: 9780691168708
Preis: 60 Dollar


 
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