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29.04.2024

Giraffen-Kadaver und Totalausverkauf

15 Orte der Kunstbiennale Venedig


Seit Kurzem müssen Tagestouristen in Venedig Eintritt bezahlen. Lieber also ein paar Tage länger bleiben. Dass es genug zu sehen gibt, zeigen unsere 15 Lieblingspavillons und Ausstellungen. Noch mehr Tipps finden sich in der Bildergalerie.

Von Stephan Becker


Es gibt Beiträge bei der diesjährigen Biennale, die bedürfen keiner zusätzlichen Empfehlung – einen Besuch sollte man sich schlicht nicht entgehen lassen. Dazu gehören natürlich das Anti-Monument im Deutschen Pavillon und der australische Beitrag von Archie Moore, den die Jury unter Vorsitz von Julia Bryan-Wilson mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet hat. Unbedingt ansehen sollte man sich außerdem den kosovarischen Pavillon, der eine besondere Erwähnung erhielt. Im Hof des historischen Schifffahrtsmuseums unweit des Arsenale zeigt Doruntina Kastrati Metallskulpturen, die subtil an Frauenschicksale in ihrem Heimatort Prizren erinnern.

Fünfzehn weitere Pavillons und Ausstellungen, die uns aufgefallen sind:

Giardini + Arsenale


  • Österreich: Im Jahr 1989 flüchtete Anna Jermolaewa nach illegaler politischer Tätigkeit aus dem damaligen Leningrad nach Wien. Ihre eigene Fluchterfahrung angesichts eines undemokratischen Regimes verwandelt sie in vier ebenso subversive wie inspirierende Installationen. Unter anderem probt eine Tänzerin für einen Regimewechsel in Russland.

  • Schweiz: Falscher Marmor und antike Säulen – der sonst nüchtern-moderne Pavillon bietet ein ungewohntes Bild. Der schweizerisch-brasilianische Künstler Guerreiro do Divino Amor zeigt hier eine experimentelle Architektur, in der er das Land als „superfiktionales“ Paradies römischen Ursprungs interpretiert. Kling wild? Ist es auch. Und absolut sehenswert.

  • Japan: Einer der charmantesten Beiträge der diesjährigen Biennale stammt von Yuko Mohri. Ihre fragilen Konstruktionen sind von Alltagsmomenten inspiriert, wenn sie beispielsweise von tropfenden Decken in Tokioter U-Bahnhöfen berichtet. Vor Ort mit Fundstücken und Materialien aus dem Baumarkt entwickelt, zeigt sich eine ganz eigene Poesie.

  • Tschechien: Der einstige tschechoslowakische Pavillon wird von den beiden Folgenationen meist abwechselnd bespielt. Diesmal überzeugt die Prager Künstlerin Eva Koťátková mit ihrem Blick auf ein Stück koloniale Tiergeschichte. Als zerstückeltes, begehbares Plüschtier liegt die erste Giraffe des Landes, die 1954 aus Afrika in den Prager Zoo kam, in den Räumen. Koťátková stellt wichtige Fragen nach der Ausbeutung der Natur. Auch Kinder werden spielerisch angesprochen.

  • Serbien: Auf koloniale Beziehungen blickt auch Aleksandar Denić im serbischen Pavillon. Der Hamburger zeigt eine bühnenbildartige Installation voller kultureller Anspielungen. Nicht zuletzt hinterfragt er die Anziehungskraft westlicher Marken nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

  • Luxemburg: Seine Räume im Sale d’Armi-Bau des Arsenale bespielt Luxemburg mit einer kollaborativen Soundinstallation. Diese materialisiert sich in Form einer sehenswerten abstrakten Infrastruktur aus gläsernen Ton-Transmittern. Über mehrere Residencies hinweg soll eine gemeinsame Klangbibliothek zur Grundlage neuer Arbeiten werden.

  • Usbekistan: Hier – ebenfalls im Arsenale – lautet der Imperativ „Don’t Miss the Cue“. Der feministische Beitrag Aziza Kadyris erzählt von Frauengeschichten in Zentralasien und verhandelt Fragen von Identität und Zugehörigkeit. Gelungen ist insbesondere das Setting, das – abstrahiert –  hinter die Kulissen eines fiktionalen Kulturhauses blickt, wie es sie in vielen sozialistischen Ländern gab.

In der Stadt

  • Litauen: In der Chiesa di Sant’Antonin in Castello trifft das Duo Pakui Hardware auf die Malerin Marija Teresė Rožanskaitė. Gestaltet in Zusammenarbeit mit den Architekt*innen Išora x Lozuraitytė, ist ein hybrider Techno-Organismus zu sehen. Es geht um Heilung und Erlösung, während zugleich entzündete Organe und ein überstimuliertes Nervensystem präsentiert werden. Das Ganze ist bezogen auf die ökologischen und sozialen Dauerkrisen der Gegenwart.

  • Portugal: Im Palazzo Franchetti an der Accademia-Brücke überraschen Mónica de Miranda, Sónia Vaz Borges und Vânia Gala mit einem üppigen „kreolischen Garten“. In verschiedenen portugiesischen Kolonien dienten diese einst der Selbstversorgung versklavter Menschen. In der ambivalenten Geschichte der Gärten sehen die Macher*innen zugleich eine Inspiration für künftige Formen des gemeinschaftlichen Wirtschaftens.

  • Christoph Büchel: Schon mehrfach hat der Schweizer Künstler in Venedig mit seinen Arbeiten provoziert. Dieses Mal verwandelt er die Fondazione Prada in ein vollgestopftes Pfandhaus im großen Ausverkauf. Unter dem Titel „Monte di Pietà“ geht es in Bezug auf gemeinnützige Banken des Mittelalters um das kapitalistische Schuldenwesen. Selten gab es in den edlen Räumen derart viel zu sehen.

  • Palazzo Diedo: Nicolas Berggruen gilt als umstrittener Unternehmer. In Venedig musste bereits das Fotomuseum umziehen, weil er ein Haus für seine Stiftung suchte. Dafür hat er der Stadt mit dem Palazzo Diedo einen neuen Kunstort verschafft. Im Gegensatz zu den Museen seiner Milliardärskollegen gefällt die provisorischere Architektur von Silvio Fassi. Zur Eröffnung versammelt die Ausstellung „Janus“ unter anderem Arbeiten von Sterling Ruby und Hiroshi Sugimoto.

  • Dare to Dream: Bereits die letzte Kunstbiennale fand im Schatten des Ukraine-Kriegs statt. Das PinchukArtCentre organisierte damals die programmatische Ausstellung „Defending Freedom“. Mit „Dare to Dream“ blicken die Macher*innen des Kunstzentrums nun in die Zukunft. Ukrainische und internationale Künstler*innen denken unter anderem darüber nach, wie Versöhnung erreicht werden kann. Die Ausstellung ist im Palazzo Contarini Polignac im Stadtteil Dorsoduro zu finden.

  • Josèfa Ntjam: In Berlin betreibt die LAS Art Foundation schon länger ein spannendes Programm an wechselnden Orten. Während der Biennale errichtet LAS nun im Hof der Kunstakademie eine temporäre Struktur. Dort verzaubert Ntjam mit ihrer Installation „swell of spæc(i)es“. Zwischen Tiefsee und Outer Space geraten hier die Grenzen ins Fließen. Auch die Kunstakademie ist in Dorsoduro zu finden.

  • Eduard Angeli: Nur wenige Meter weiter lohnt ein Zwischenstopp in der Fondazione Vedova. In den von Renzo Piano gestalteten Räumen sind großformatige Malereien des Österreichers Angeli zu sehen. Unter dem Titel „Silentium“ zeigt er Stadtansichten, die von einer gespenstischen Leere geprägt sind. Das lässt an Giorgio de Chiricos metaphysische Malerei denken.

  • Pierre Huyghe: Der französische Künstler besetzt die Dorsoduro-Pole-Position an der Punta della Dogana. Mit „Liminal“ präsentiert er in den von Tadao Ando umgebauten Räumen der Pinault Collection eine Werkfolge, die dem Verhältnis zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem gewidmet ist. In fast vollständig verdunkelten Räumen entsteht ein beeindruckend immersives Erlebnis.

Bonus: Die Biennale blickt primär auf zeitgenössische Kunst. Wer davon eine Pause braucht, darf sich einen Besuch in der Peggy Guggenheim Collection nicht entgehen lassen. Unter dem Titel „The Juggler’s Revenge“ ist dort dem französischen Schriftsteller, Regisseur und Maler Jean Cocteau eine große Retrospektive gewidmet – vielseitiger geht es kaum.


Zum Thema:

Die Kunstbiennale in Venedig läuft noch bis zum 24. November 2024. Nicht alle der erwähnten Ausstellungen sind bis zum Ende zu sehen. Eine Klärung vorab wird empfohlen.

Weitere Beiträge im BauNetz: „Ein Pavillon und eine Insel“ zum Deutschen Pavillon und „Späte Echos, neu erzählt“ über die Hauptausstellung.

www.labiennale.org


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Kommentare:
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Wirklich glücklich sieht Archie Moore nicht aus, wie er da neben Pietrangelo Buttafuoco steht, dem kontroversen neuen Präsidenten der Biennale. Moore erhielt den Goldenen Löwen für den besten Beitrag. Ebenfalls im Bild: Italiens Kulturminister Gennaro Sangiuliano, Kuratorin Ellie Buttrose und der diesjährige Biennale-Direktor Adriano Pedrosa.

Wirklich glücklich sieht Archie Moore nicht aus, wie er da neben Pietrangelo Buttafuoco steht, dem kontroversen neuen Präsidenten der Biennale. Moore erhielt den Goldenen Löwen für den besten Beitrag. Ebenfalls im Bild: Italiens Kulturminister Gennaro Sangiuliano, Kuratorin Ellie Buttrose und der diesjährige Biennale-Direktor Adriano Pedrosa.

Moores Arbeit „Kith and Kin“ ist im australischen Pavillon zu sehen. Es geht unter anderem um die institutionellen Unterdrückung autochthoner Volksgruppen durch die australische Mehrheitsgesellschaft.

Moores Arbeit „Kith and Kin“ ist im australischen Pavillon zu sehen. Es geht unter anderem um die institutionellen Unterdrückung autochthoner Volksgruppen durch die australische Mehrheitsgesellschaft.

Eine besondere Erwähnung erhielt außerdem der kosovarische Beitrag. Im Bild: Künstler*in Doruntina Kastrati, Kuratorin Erëmirë Krasniqi und Kommissarin Hana Halilaj.

Eine besondere Erwähnung erhielt außerdem der kosovarische Beitrag. Im Bild: Künstler*in Doruntina Kastrati, Kuratorin Erëmirë Krasniqi und Kommissarin Hana Halilaj.

Kastratis Skulpturen im Schifffahrtsmuseum zitieren Walnussschalen und medizinische Fußimplante. Es geht um Arbeiterinnen in einer Süßwarenfabrik in ihrer Heimatstadt Prizren.

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