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01.06.2011
Der deutsche Pavillon: „Eine Kirche der Angst“
Hommage an Christoph Schlingensief
Sicher kein leichtes Erbe, das Aino Laberenz und Susanne Gaensheimer antreten mussten. Im Frühjahr 2010 hatte die Kuratorin Susanne Gaensheimer überraschend Christoph Schlingensief als Künstler für den deutschen Beitrag ausgewählt, um „nationale Repräsentation in Zeiten der Globalisierung zu verdeutlichen“. Deutschlands Skandalkünstler Nr. 1 sollte als „einer der ganz wesentlichen Künstler dieses Landes, der sich seit etwa 30 Jahren in radikaler und rückhaltloser Direktheit mit der kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Befindlichkeit der deutschen Bundesrepublik“ beschäftigte, das tun, was er immer tut: provozieren. „Provokation ist die einzige Form, Diskussionen in der Kunst auszulösen“, verkündete die Kuratorin damals der FAZ. Und erzählte, wie überwältigt sie in München von Schlingensiefs „Via Intolleranza II“ gewesen sei. „Es ist eine Collage aus einer Vielzahl von Medien mit zwingender gesellschaftlicher Relevanz, eine Analyse und Selbstanalyse unseres Verhältnisses zu Afrika mit mitreißender Kraft und Energie“.
Wenig später, am 21. August 2010, starb Christoph Schlingensief an Lungenkrebs und hinterließ ein beeindruckendes Konvolut an Ideen und Träumen, allesamt Fragmente. Darunter das Festspielhaus in Afrika. Und eben den deutschen Pavillon. Den wollte er - ganz Schlingensief - als „verrücktes Wirtshaus“ und als „Afrikanisches Wellnesscenter“ inszenieren. In einer Völkerschau mit Menschenkäfigen an der Fassade des deutschen Pavillons, in denen Afrikaner Bilder im Stil von Gerhard Richter malen (Richter hatte zuvor die Wahl Schlingensiefs lautstark kritisiert). Eine „soziologische Folterkammer“ für alle Sinne wollte Schlingensief in Venedig installieren, in der Afrika Westeuropa von seinen Krankheiten gesunden lässt. Der Pavillon als afrikanischer Gesundheitstempel mit Sauna und Massagekabinen und einem Schwimmbad, in dem Weiße zu Schwarzen umgefärbt werden. Was für ein Bild.
Mai 2011. Keine Käfige am deutschen Pavillon. Aino Laberenz, die Witwe von Christoph Schlingensief, Susanne Gaensheimer, Dramaturg Carl Hegemann, Bühnenbildner Thomas Goerge und das Schlingensief-Team haben lange überlegt, was aus dem Pavillon werden soll. Eine Retrospektive, aber kein Denkmal. Eine Ausstellung, aber kein Museum. In einem waren sich alle einig: Niemand wollte Christoph Schlingensief imitieren und ersetzen. Sollte man den Pavillon leer lassen? „Schlingensief wollte ihn bespielen, das war ihm so wichtig wie Bayreuth“, erläutert Susanne Gaensheimer in einem Gespräch mit dem Kunstmagagzin Monopol. „Es war gewissermaßen ein Auftrag, den ich annehmen wollte.“ Gaensheimer will mit dem deutschen Beitrag dem Werk und Wesen des Theater-Provokateurs gerecht werden und seine Arbeit im internationalen Kunstkontext etablieren.
Der eine Nebenraum des Pavillons wurde zum Kinosaal umgebaut und zeigt das filmische Werk von Christoph Schlingensief, das „Kettensägenmassaker“ zum Beispiel, oder „Menu Total“. Der andere Raum präsentiert Schlingensiefs Lebenstraum: das Festspielhaus in Afrika. Remdoogo, das Operndorf in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, plante Schlingensief seit 2009 zusammen mit dem Architekten Diébédo Francis. In der ehemaligen französischen Kolonie wollte er in dem neuen Operndorf eine Schule für 500 Kinder mit Musik- und Filmklassen, Werkstätten, einer Krankenstation, Solaranlagen und einem Brunnen entstehen lassen. Längst sind die Bauarbeiten in Ouagadougou fortgeschritten, im Herbst soll mit dem Unterricht begonnen werden.
Doch was passiert in dem Hauptraum? Zwischen deutschem Kettensägenmassaker und afrikanischem Operndorf hat das Team des deutschen Pavillons eine besondere Hommage an den Künstler installiert. „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ ist eine persönliche Auseinandersetzung mir der tödlichen Krebserkrankung Schlingensiefs, die zum zentralen Thema des Pavillon zählt. Ein Kirchensaal, ein Altar und 12 Filmprojektoren sind in dem Hauptausstellungsraum aufgebaut. Diese Bühneninstallation wurde ursprünglich für die Ruhrtriennale 2008 konzipiert. Schlingensief ließ damals die Herz-Jesu Kirche in Oberhausen nachbauen, in der er selbst zwölf Jahre Messdiener war. Särge aus Pappmaché und ein Kruzifix sind hier zu sehen, aber auch Kindheitserinnerungen und Röntgenbilder. Eine sehr persönliche Rauminstallation also, in der die Besucher auch beten können. Doch wird die sakrale Installation in Venedig sonst nicht weiter bespielt – sie bleibt leer, denn der wichtigste Akteur fehlt.
www.deutscher-pavillon.org