Crystal Talk
Text: Axel SimonFotos: Ulrich Schwarz, Torsten Seidel, Frank Zauritz

Profil

Profil Malvezzi


Johannes Kuehn, Wilfried Kuehn und Simona Malvezzi sind in der Kunstszene bekannter als unter Architekten. Kein Wunder, sie denken wie Künstler.

Die Räume in der Binding Brauerei waren etwas Besonderes, ohne besonders aufzufallen. An keiner Stelle ließen die weißen Einbauten für die Documenta 11 daran denken, sie seien aus Gips, nur temporär. Keine Messekojen durchwandelte der Kunstpilger dort vor sechs Jahren, sondern typologisch präzise und kraftvolle Raumfolgen. Draußen markierte ein weißes Lichtband unter narbigen Backsteinen den Eingang und erinnerte entfernt und in einem anderen Maßstab an die Tate Modern von Herzog & de Meuron. Der Umbau für die Documenta war das Werk des Architekturbüros Kuehn Malvezzi. Seit diesem Umbau in Kassel und dem darauf folgenden für die Friedrich Christian Flick Collection im Jahre 2004 sind die Architekten in der Kunstszene „everybody’s darling“. Die Reihe der Kunst-Umbauten von Kuehn Malvezzi riss und reißt nicht ab: das Foyer der Schirn in Frankfurt, Räume für die Manifesta im italienischen Trento, ein Schaudepot in Wien, einige Galerien, einige Kunsthallen, viele Ausstellungen.

Für jemanden, der sich längst daran gewöhnt hat, dass ein Museum spektakulär geformt ist, die Massen anlockt, wie eine prachtvolle, Fleisch fressende Pflanze, für den ist der Erfolg des Berliner Büros nicht nachvollziehbar, ja paradox. Rationalistisch, ohne Details, ohne expressive Wagnisse – so könnte man die Architektur von Kuehn Malvezzi in Worte fassen. Sie bedient nicht den globalen Museumszirkus, sondern entsteht in der Zusammenarbeit mit Künstlern, Kuratoren und Sammlern, also mit der Kunst. Die mediale Vermarktungsfähigkeit dieser Werke ist nicht, wie heute fast schon üblich, ihr primäres Ziel, sondern steht – zumindest bei den bisherigen Bauaufgaben des Büros – hinten an. Kuehn Malvezzis Um- und Einbauten haben die Größe, sich zurückzunehmen, sind unaufgeregt und präzise.



Unaufgeregt und präzise sind auch die Sätze von Wilfried Kuehn. Der Professor für Ausstellungsdesign und kuratorische Praxis am ZKM in Karlsruhe verbindet englische Zurückhaltung mit einer südländischen Frisur. Zusammen mit seinem Bruder Johannes und der Italienerin Simona Malvezzi leitet der 40jährige das Büro mit Sitz in Berlin und rund zehn Mitarbeitern. Da die drei Partner häufig unterwegs sind, kommunizieren sie viel am Telefon. Das, so Kuehn, bedinge eine klare Zielformulierung und Konzepte, die sich sprachlich beschreiben lassen. Die Architekten machen keine x-Varianten, sondern durchdenken die Aufgabe und mögliche Lösungen, bevor es an die Ausarbeitung geht – «konzeptuell» nennt man das wohl. Doch es sind keine Kopfgeburten, die Kuehn Malvezzi in die Welt setzen. Wilfried Kuehn redet oft von «Kontext» und von der «Raumhaftigkeit der Wahrnehmung». Und: Werde gebaut, sei die Präsenz vor Ort unersetzbar. So auch in Düsseldorf, wo sein Büro vor einem Jahr den Umbau der Julia Stoschek Collection abgeschlossen hat – auch hier die Umwandlung eines großen historischen Industriebaus in Räume für zeitgenössische Kunst.

Wöchentlich sei der Projektleiter von Berlin ins Rheinland gereist, obwohl die Bauleitung nicht bei ihnen lag – Kuehn führt durch die beiden geräumigen Ausstellungs-etagen, die nur samstags der Öffentlichkeit zugänglich sind. Medienkunst – das heißt heute nicht mehr Bildschirm und Black Box. Aufwändige Installationen ergreifen Besitz von den unterschiedlichen Raumsituationen. An anderer Stelle ist es das Museum, das sich anschmiegt, kleine Kammern um die Kunst legt, dafür sorgt, dass der Lärm eines Videos nicht die Betrachtung der anderen Werke stört, alles verbunden mit einem folgerichtigen, aber keineswegs zwanghaften, sondern Spannung erzeugenden Weg. Es sind solche Parcoursbildungen, die Kuehn Malvezzi mittlerweile meisterhaft beherrschen. Wichtig sei ihnen der Austausch mit Künstlern, so der Architekt, wichtig sei es Räume zu schaffen, die die ausgestellte Kunst herausfordern, sie in der Bewegung des Betrachters zur Geltung bringt.






«Larger than life» – man denkt unwillkürlich an die Scheinwelten, die Ken Adam für James Bond schuf, wenn man das Loft der Julia Stoschek betritt. Eine Wohnhalle in der Größe einer Dreifachturnhalle und auch mit deren Behaglichkeit. Dieser Saal, in dem vor hundert Jahren Theaterkulissen gemalt wurden, füllt das steile, zwölf Meter hohe Satteldach aus und dient der Sammlerin seit etwas mehr als einem Jahr als Reich. Dass dieses Reich, wie die Museumsetagen darunter, ganz in Weiss getaucht ist, ist Programm. Für den Architekten sollte sich Distinktion, Luxus nicht über edle Materialien darstellen, sondern über Raum. Und der ist selbst in den Schlafzimmern des Zwischengeschosses noch nicht zu Ende. Auf der krönenden Dachterrasse spiegelt ein Pavillon von Dan Graham den Betrachter und Düsseldorfs Norden. Unten fotografiert Candida Höfer gerade die Räume. Im nächsten Jahr macht sie zusammen mit den Architekten eine Ausstellung und ein Buch.

Kuehn Malvezzi bauen nicht nur für die Kunst. Sie haben auch von ihr gelernt. Vom Vorgehen der Künstler, ihrem Blick, dem künstlerischen Prozess. Am deutlichsten wird das bei ihren kleineren Projekten, dort wo es darum ging, etwas sichtbar zu werden zu lassen. Zum Beispiel bei der Berlinischen Galerie in Kreuzberg. Die wollte mit einer Fassadengestaltung auf sich aufmerksam machen. Im Wettbewerb sezierten Kühn Malvezzi die Aufgabe und den Ort und kamen zu dem Schluss, dass eine neue Fassade nicht die gewünschte Kommunikation bringen würde. Stattdessen applizierten sie ein langes gelbes Buchstabenfeld auf den Boden vor das Gebäude, als Spielplatz und Blickfang für die Bewohner der Sozialwohnungen gegenüber – Kunst und Leben spielerisch vereint. Oder in Braunschweig, wo die Architekten für das Festival Theaterformen eine riesige rote Treppe vor das klassizistische Theater stellten. Mit dieser Karikatur eines inszenatorischen Elementes gaben sie dem Festival ein Logo, dem Gebäude einen neuen Zugang und den Besuchern einen neuen Blick auf ihre Stadt.

Wilfried Kuehn sieht sich nicht nur als Architekt, sondern auch als Kurator. Den Begriff «kuratorisches Design» möchte er etablieren, auch an seiner Hochschule. «Kuratorisches Design hat nicht nur mit Ausstellen zu tun, sondern auch mit Architektur, mit Städtebau. Was macht man dort anderes als auswählen und anordnen?»




STATEMENTS ZU KUEHN MALVEZZI


Auf das Architektenteam Kuehn Malvezzi aufmerksam geworden, bin ich durch den Kunstkontext. Auf der Suche nach einem geeigneten Architektenteam für mein privates Ausstellungshaus bin ich immer wieder auf den Namen Kuehn Malvezzi gestoßen und deshalb habe ich im Rahmen der Ausschreibung für den Umbau des Hauses auch Kuehn Malvezzi gebeten einen Entwurf vorzulegen. Generell gab es dabei drei große Herausforderungen: Zum Einen der sachte und vorsichtige Umgang mit der historischen, denkmalgeschützten Substanz des Hauses, zum Anderen die Bewältigung Ausstellungsräume zu schaffen, die auf die speziellen Bedürfnisse der Medienkunst ausgelegt sind und speziell die Verbindung bzw. Trennung von privatem und öffentlichem Raum herzustellen. Diese drei Punkte waren in den Entwürfen von Kuehn Malvezzi am Besten umgesetzt und entsprachen auch meiner Sichtweise einer „dienenden“ Architektur. Die Selbstverständlichkeit mit der sich einzelne räumliche Elemente mit dem Haus verbinden oder die Klarheit und Zurückhaltung der Raumstruktur, die durch das ganze Haus stringend durchgeführt wurde, zeigt mir auch jetzt in den Vorbereitungen für die nächste Ausstellung und das „Leben“ im Haus, dass sich meine Entscheidung als absolut richtig erwiesen hat.
Julia Stoschek / Düsseldorf, Julia Stoschek Collection

Seit dem ich zum ersten Mal ihrer Arbeit in der von ihnen für die documenta gestalteten Binding Brauerei begegnet bin, hat mich die Verbindung von Klarheit und Zurückhaltung und zugleich Strenge angesprochen: die Klarheit der Raumwahrnehmung und Raumgestaltung, die Zurückhaltung bei der Wahl und dem Einsatz der architektonischen Mittel und die Strenge, mit der sie bei der Durchführung im Detail wie im Gesamten Räumen ihre Angemessenheit geben.
Candida Höfer / Köln, Fotokünstlerin

Als sehr junger Architekt hat sich Wilfried Kuehn auf die Ausschreibung für das Foyer des Akademietheaters Wien beworben, der zweiten Spielstätte des Burgtheaters und sich gegen viele arrivierte Büros durchgesetzt. Nach unserer Zusammenarbeit war mir klar, sollte ich jemals selber bauen, dann mit dem Berliner Büro Kuehn Malvezzi. Wilfried Kuehn stand außerdem als einziger hinter meiner Idee, ein besonders schwieriges und steiles Baugrundstück zu bespielen und entwickelte einen besonders klugen und sehr guten Entwurf in Form eines Raumkonzepthauses. Um mich mit dem Konzept des Raumplans vertraut zu machen, schickte er mich nach Prag zu Adolf Loos‘ Villa Müller. An der Herangehensweise des Büros Kuehn Malvezzi merkt man, dass sie aus dem Bereich der Ausstellungsarchitektur kommen. Zuerst entsteht die Grundkonzeption, dann folgt die Auseinandersetzung mit den Restriktionen. Hier wird der Gegensatz zu vielen Anderen deutlich, die erst Probleme und Beschränkungen sehen und daraus resultierend kompromisslerische Lösungen vorschlagen. Überspitzt gesagt hieß das anfänglich: hier ist ein toller Ausstellungsraum entstanden. Aber wo sind die Lichtschalter und die Steckdosen und all diese praktischen Dinge? Ich empfand aber gerade Kuehn Malvezzis Herangehensweise als sehr angenehm, weil sie nicht an erster Stelle den Kompromiss suchten, sondern konzeptionell frei waren. Erst dann wurde berücksichtigt, was ein Wohnhaus von einem Ausstellungsraum unterscheidet. Entstanden ist ein toller Entwurf. Interessant daran ist, es fasziniert alle, die irgendwann einmal drinnen waren - egal ob sie das Haus einem Siebenjährigen oder einer Achtzigjährigen zeigen.
Thomas Drozda, Wien
Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien und Bauherr des Haus Drozda