Crystal Talk
Text: Amber SayahFotos: Klaus Mellenthin, Roland Halbe

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“Drinnen ist anders als draußen” hieß eine Ausstellung über die Bauten von Lederer + Ragnarsdóttir + Oei, die vor ein paar Jahren durch deutsche Architekturgalerien wanderte. In Berlin und München mag der bis heute gültige Wahlspruch der Stuttgarter Architekten für eine Binsenweisheit gehalten werden. In Baden-Württemberg, wo mehrere Architektengenerationen nach dem Krieg an der Aufhebung des Gegensatzes von drinnen und draußen gearbeitet haben, klingt die Losung in vielen Ohren nach einer Provokation - um nicht zu sagen nach Verrat: Verrat an einer Moderne der leichten, transparenten, offenen Konstruktionen. Es stimmt ja auch. Die Architektur von LRO mit ihrer Vorliebe für gemauerte Fassaden und plastische Gliederungen ist schwer und betont körperhaft.

Es läge nahe, fremdländische Einflüsse hinter der Abkehr von regionalen Traditionen zu vermuten. Immerhin sind deutsche Namen auf dem Briefkopf von LRO in der Minderheit. Aber in Wahrheit steht es zwei zu eins für Schwaben: Zu dem Stuttgarter Arno Lederer und der Isländerin (mit Architekturstudium an der Universität Stuttgart) Jórunn Ragnarsdóttir gesellte sich 1992 als dritter und jüngster Partner der in Fellbach (vor den Toren Stuttgarts) geborene Chinese Marc Oei. Seitdem hat sich das Terzett mit einer Reihe von öffentlichen Bauten profiliert, über die Landesgrenzen hinaus und vor allem mit Schulen, Kulturbauten und kirchlichen Gebäuden, die fast allesamt mit Architekturpreisen ausgezeichnet wurden.


Jórunn Ragnarsdóttir hat daneben Anfang der 2000er Jahre Bühnenbilder und Kostüme an Theatern in Reykjavik gemacht, Arno Lederer, der nach Professuren an der FH Stuttgart und der Universität Karlsruhe seit 2005 das Institut für öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart leitet, trägt mit streitbaren Veröffentlichungen und Vorträgen auch auf der rhetorischen Ebene zur Bekanntheit und zum Erfolg des Büros bei. So lautete eines seiner ersten Seminarthemen an der Architekturfakultät in Stuttgart: „Was ich in Stuttgart schon immer abreißen wollte ...

Und wo die Macht des Wortes allein nicht ausreicht, nimmt er den Stift zu Hilfe. Um der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst den Unterschied zwischen einer nur technischen und einer architektonischen Sanierung des Staatstheaters Darmstadt begreiflich zu machen, zeichnete er eine löchrige, abgetragene Jacke. Das zweite Bild zeigte die geflickte Jacke: Löcher gestopft, Risse zusammengenäht. So, erklärte Arno Lederer, sieht eine rein technisch-ingenieurmäßige Instandsetzung aus, zweckmäßig, aber nicht besonders ansehnlich. Auf der dritten Skizze hatte die Jacke rote Manschetten, grüne Aufschläge und Goldknöpfe: das war die architektonische Lösung, die Gebrauchstüchtigkeit und gutes Aussehen vereint. Die Ministerin verstand. Darmstadts Theater durfte – zu geringen Mehrkosten – schöner werden.


Praktischer Sinn gepaart mit einem ausgeprägten Gespür für die sinnlichen Eigenschaften von Architektur und Raum, das kennzeichnet die Bauten von LRO in besonderer Weise. Auf der Büroetage des abgenutzten Fünfziger-Jahre-Baus im Stuttgarter Westen, wo die Architekten arbeiten, waltet zwar ganz eindeutig der nüchterne Geist von Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Schwarzes Linoleum in allen Räumen ist das einzige Zugeständnis an die eigenen ästhetischen Ansprüche, ansonsten begnügen sich Lederer, Ragnarsdóttir und Oei mit dem Vorgefundenen: langer Flur, Bürozellen.

Aber dort wo sie für andere planen, kommt zum nachhaltigen Nutzen einer Ziegelfassade wie der des Schulhauses im Scharnhauser Park immer auch der sinnliche Reiz der Materie und des Raums: Die Rauheit der Oberflächen, die überbreit verfugten Steine, die rötliche Farbe der Ziegel im Kontrast zum gelben Fugenmörtel entfalten eine pralle Stofflichkeit, die man immer gleich anfassen möchte, ein Treppenhaus, das sich wie eine Kreuzung aus einer Art-déco-Skulptur und einer Frank-Lloyd-Wright-Spirale hinter dem niedrigen Eingang der EVS-Erweiterung über alle Geschosse öffnet, überrascht mit einer Raumwirkung, der man sich mit Freuden aussetzt.

Mit der freiwilligen Selbstbeschränkung der Moderne auf Helligkeit, minimierte Konstruktionen, reduzierte Formen, fließende Grundrisse, Technik, Funktionalität wollen sich Lederer Ragnarsdóttir Oei jedenfalls nicht zufrieden geben. Sie beharren auf dem kompletten Spektrum der Möglichkeiten: Licht, das alle Stufen zwischen hell und dunkel, gerichtet und ungerichtet, direkt und indirekt kennt, Räume, die weit oder eng, hoch oder niedrig, geschlossen oder offen sein können, Bauweisen, die das Massive und Techniken, die auch simple Mechanik miteinschließen, sowie Farben, die sich um Geschmacksdiktate nicht kümmern. Die Katholische Akademie in Stuttgart-Hohenheim zum Beispiel beherbergt ihre Seminarteilnehmer wahlweise in rosafarbenen oder türkisgrünen Gästezimmern. Von „Farben wie Pyjamas aus dem Kaufhaus“ sprach ein leicht verunsicherter Kritiker. Ähnliche Töne tauchen im Darmstädter Theater auf: Weil das Geld für eine neue Abdeckung der Lüftungsöffnungen, Rauchabzüge und Sprinkler im oberen Foyer nicht reichte, strichen die Architekten alles schwarz und hängten Deckensegel hinein, die wie ein Vogelschwarm in Hellblau, Hellgrün und Puderrosa im strengen Schwarzweiß der Innenräume aufflattern.

Zur architektonischen Bandbreite und der manchmal geradezu aphoristischen Pointierung des funktional Notwendigen tritt gleichrangig die Einbindung der Projekte in den städtebaulichen Kontext. Besonders deutlich wird das wiederum am Staatstheater Darmstadt, das Lederer Ragnarsdóttir Oei über jeden Sanierungsauftrag hinaus aus seiner Isolation in einer Grünanlage erlösen wollten.

Um dem Drive-in-Theater der siebziger Jahre ein Portal zu geben, platzierten sie vor die nahezu geschlossene Front einen Baukörper aus Weißbeton, der keinen Zweifel mehr zulässt, wo es reingeht. Geschwungen wie eine barocke Kommode, spielt er selbst Theater: Die geöffneten roten Flügeltüren auf dem Balkon wirken wie ein Bühnenvorhang, vor dem das Publikum sich inszeniert. Unmissverständlicher kann Architektur kaum ausdrücken, dass Theater Teil des öffentlichen Lebens ist.




Richtig zufrieden ist man bei LRO mit dem Erreichten trotzdem nicht. Um das Haus stärker in das innerstädtische Achsennetz einzubinden, würden die Architekten gern den Park so umgestalten, dass er zum Theatervorplatz wird. Der Balkon der Portalkommode böte sich dann für Freilichtaufführungen an, vom Schauspiel bis zum Platzkonzert, die architektonische Geste könnte stärker in die City hineinwirken. Viel Verständnis haben sie für ihre Vorschläge bisher aber nicht gefunden. Wo es um komplexe städtebauliche Zusammenhänge geht, stößt die pädagogische Wirksamkeit von Kittelgleichnissen offenbar an ihre Grenzen.

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