Crystal Talk
Text: Jeanette KunsmannFotos: Allard van der Hoek

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NL Architects
NL Architects

„Darf es noch ein bisschen mehr sein?“ – Mit einem unerschütterlichen Selbstverständnis gehört die so genannte ‚Extra-Portion’ für das Amsterdamer Büro NL Architects zu ihrer Arbeit, wie für andere die Mittagspause. Dabei geht es den Architekten nicht um ‚mehr’ im Sinne von Masse, sondern um mehr Inhalt, mehr Programm, mehr Funktion. Mit der Gestaltung der Fassade einer Wärmetauschstation in Holland setzten sie Ende der Neunziger Jahre einen neuen Trend: Um Vandalismus vorzubeugen, verwandelten sie die Hülle des kleinen Zweckbaus in eine Kletterlandschaft aus Polyurethan, ursprünglich als Fahrbahnbelag für Parkdecks entwickelt. Der schwarze Monolith mit den eingebauten Klettergriffen wurde so zu einem überraschenden Hybrid aus Zweckbau und Kletterwand, der den Denkansatz des Büros exemplarisch beschreibt.


In einem Großraumbüro, das vermutlich vorher eine Lagerhalle war, entwickeln NL Architects – wie sich die Architekten nicht ganz unpatriotisch nennen – ihre Ideen und Gebäude. Die Architekten sitzen im hinteren Teil eines zweigeschossigen Gewerbebaus aus den dreißiger Jahren, direkt an einer der vielen kleinen Grachten mitten im Zentrum Amsterdams. Leider sind die Fenster etwas zu hoch – man muss sich schon auf die Zehenspitzen stellen, um aufs Wasser blicken zu können.

Die Adresse teilen sie sich mit einem Fachhandel für Künstlerbedarf, einer PR-Agentur und einem halbseidenem Tattoo-Studio – für Amsterdam keine ungewöhnliche Mischung. Dazwischen arbeiten die Architekten. Wie stumme Zeugen erzählen die unzähligen Modelle, die sich in den Regalen stapeln, die Bürogeschichte der vergangenen 15 Jahre. Draußen ziehen die Möwen vorbei.

Gegründet wurde das Büro NL Architects 1997, in Zeiten des „Superdutch“, von Pieter Bannenberg, Walter van Dijk, Kamiel Klaasse and Mark Linnemann, die sich an der TU-Delft kennengelernt und zusammengeschlossen hatten. „Kamiel war ganz am Anfang noch nicht dabei. Mark und ich hatten als Erste aus der Gruppe das Diplom – zusammen mit Pieter haben wir an unserem ersten Projekt gearbeitet: der Innenraumgestaltung eines Kinos mitten in Amsterdam“, erinnert sich Walter van Dijk. Mark Linnemann hat vor kurzem zusammen mit Kerstin Molter ein eigenes Büro (Molter-Linnemann Architekten) in Deutschland gegründet; NL Architects wird heute von Bannenberg, van Dijk und Klaasse geleitet. Unter den 21 Mitarbeitern sind erstaunlicher Weise nur wenige aus Holland.


Mit den drei Worten „ Wow! What? Wow!“ betiteln NL Architects ihre Bürophilosophie frei nach dem Architekturtheoretiker Robert Somol. Dieser teilt die Architektur in zwei Kategorien. Eine davon lässt sich als „Wow! What?“ beschreiben, die andere als „What? Wow!“ „Die erste funktioniert über den visuellen Effekt, die zweite über ihren Inhalt. Darüber hinaus versuchen wir in unserer Arbeit ein Gefühl von „Wow! What? Wow!“ zu schaffen“, erklären die Architekten. Sie mögen keine Architektur, die ihre Chance verpasst.


Nachdem NL Architects mit ihrem ersten Projekt „WOS8“ 1998 international für Aufmerksamkeit gesorgt hatten, wurden sie 2004 für die „BasketBar“ an der Universität Utrecht mit dem NAi-Preis des Niederländischen Architekturinstituts (Rotterdam) ausgezeichnet. Die Jury zeigte sich von der lässigen Architektur und der „Erfindergabe, mit der die Architekten der recht banalen Bauaufgabe begegneten“, beeindruckt. 2005 erhielten NL Architects für die ungewöhnliche Gebäudemischung aus Kaffeehaus und Sportplatz den Mies-van-der-Rohe Nachwuchspreis.

Nach den ersten erfolgreichen Jahren wurde es kurz still um NL Architects; die Baubranche stagnierte, viele ihrer experimentellen Projekte wurden auf Eis gelegt. 2007 gewannen die Amsterdamer Architekten in einer Volksabstimmung den ersten Preis im Wettbewerb für das Groninger Forum. Mit ihrem Vorschlag, das neue Forumgebäude durch ein seitlich angelegtes Atrium mit einem vertikalen Platz zu gestalten, haben sie sich erfolgreich gegen internationale Konkurrenten wie UN Studio, Zaha Hadid, FOA Foreign Office Architects und Wiel Arets durchgesetzt. 2008 machte das Quartett erneut auf sich aufmerksam und etablierte seinen Namen mit der „Sound Shower“ auf der Architekturbiennale in Venedig.

Aktuell ist im Osten Amsterdams ein Mehrfamilienwohnhaus mit einem besonderen Dach, der „Funen Blok K“, bezogen worden. Der Baukörper wurde diagonal zu den Ecken hin verformt, so dass sich eine Art Berglandschaft ergibt. Während in Vredenburg bei Utrecht der Bau des neuen Konzerthauses „Crossoverzaal“, eine Erweiterung der Musikhalle von Hermann Hertzberger, in vollem Gange ist, werden in diesem Jahr gleich mehrere Projekte fertig gestellt: 2012 sollen unter anderem zwei Wohnkomplexe in Rotterdam, ein neuer Eingangspavillon für einen Industriepark in Arnheim und der „Port Transformer“ in Amsterdam bezugsfertig sein. Das Groninger Forum, ihr bisher größtes und umfassendstes Projekt, hängt momentan wieder in der Warteschleife. „Eigentlich wollten sie nächsten Sommer mit dem Bau der Tiefgaragen beginnen, 2014 mit dem Bau des Forums“, berichtet Kamiel Klaase. Als Architekt braucht man einen langen Atem.


Ob wild, humorvoll, experimentell oder radikal – Nach 15 Jahren ist für die Arbeit der medienaffinen Architekten immer noch entscheidend, was über die geforderten Entwurfsparameter hinaus entstehen kann und neue unerwartete Potentiale weckt. Sie selbst bezeichnen ihre Architektur als einen „Remix der Realität“. Im Interview sprechen Walter van Dijk und Kamiel Klaasse über ihren Anspruch an Architektur, sportliche Gebäude und warum alle guten Geschichten im Auto beginnen.