Crystal Talk
Text: Friederike MeyerFotos: Pinar Gedikozer, Christopher Horne, Prem Krishnamurthy,
Iwan Baan, Robert Huber, Superpool

Profil

Superpool
Superpool

Für viele zählt Istanbul zu den derzeit aufregendsten Orten der Welt. Seit Jahren wuchert die Stadt zwischen Europa und Asien in alle Richtungen. Die inzwischen fast 20 Millionen Bewohner ringen um die Werte östlicher und westlicher Kultur, Konventionen brechen auf, viele schauen Richtung Europa. Alles scheint hier gerade möglich.


Kein Architektenpaar könnte diese Dynamik besser verkörpern als Selva Gürdoğan und Gregers Tang Thomsen. Mit schwarzer Bluse und Kopftuch steht Selva an ihrem Schreibtisch in der 400 Quadratmeter großen Büroetage und gießt Kaffee ein. Gregers, groß, blond und mit weißem Hemd, rollt Stühle heran. Eine reichliche Stunde Zeit bleibt für unser Gespräch, dann beginnt die Vernissage im neuen Kunstzentrum SALT.

Vor acht Jahren haben sich die beiden im Büro von Rem Koolhaas kennengelernt. Gregers (Jg. 1974) war von der Architekturschule in Aarhus gekommen, Selva (Jg. 1979) vom Southern California Institute of Architecture. Nach vier Jahren bei OMA in Rotterdam und New York zogen sie im Jahr 2006 nach Istanbul, um ihr eigenes Büro Superpool zu gründen.

Was für den gebürtigen Dänen Gregers kulturelles Neuland bedeutete, war für Selva eine Rückkehr in die Heimat. Als Kind wohnte sie mit ihrer Familie in Ankara, später in Jeddah in Saudi Arabien, wo ihr Vater an der Universität lehrte, und als Teenager in Istanbul. Dass sie ihren muslimischen Glauben mit ihrer Kleidung zeigt, hat ihrer Laufbahn die vielleicht entscheidende Wende gegeben. Wegen des Kopftuchverbots an türkischen Hochschulen war ein Studium zu Hause nicht möglich. An der Architekturschule in Los Angeles kümmerte das niemanden.


Wer in Istanbul den Mechanismen des Marktes entspricht, kann hier viel bauen. Die Skepsis gegenüber Jungen und Neuem ist gering. Superpool haben dafür beste Vorraussetzungen: eine Ausbildung an westlichen Hochschulen und erstklassige Referenzen aus ihrer Zeit in einem der international angesehensten Büros. Noch dazu haben sie mit ihrer Herkunft aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen – je nach Vorliebe der Bauherren – eine gute Verhandlungsbasis. Aber dafür, so zeigen ihre Projekte, sind sie nicht nach Istanbul gekommen. Selva und Gregers wollen mehr als bauen, sie wollen die Stadt verändern und dafür gehen sie einen scheinbar kompromisslosen Weg.

Ihr Portfolio entspricht weder den gängigen Vorstellungen von einem erfolgreichen Architekturbüro, das ein Bauprojekt nach dem anderen fertig stellt, noch manifestiert es sich in Baustellengrößen und Quadratmeterzahlen. Man findet Superpools Projekte vielmehr in Büchern und Ausstellungsorten – und in der Istanbuler Kunst- und Kulturszene, deren Protagonisten den Namen des Büros wie einen alten Bekannten im Munde führen. Er ist programmatisch gewählt und soll an die sogenannten „Car-Pool-Spuren“ auf den Straßen von Los Angeles erinnern, die für Fahrzeuge mit mehr als einem Insassen reserviert sind. Architektur, so das Credo der beiden, entsteht nur gemeinsam mit allen Beteiligten.


Bestes Beispiel dafür ist ihr Buch „Mapping Istanbul“, das in Zusammenarbeit mit der Istanbuler Garanti Galerie, den New Yorker Grafikdesignern projectprojects und dem Geografen Murat Güvenç entstand. Mit den darin veröffentlichten Karten, die statistische Daten über die Stadt und das ganze Land visualisieren, haben Superpool ein bis dato unbekanntes Bild von Istanbul gezeichnet: über den Bildungsgrad der Bewohner, die Erdbebensicherheit der Bauten und die Nutzung von Grund und Boden. Karten wie diese sehen sie als Basis für eine öffentliche Stadtentwicklungsdiskussion, die in der türkischen Kultur noch in den Kinderschuhen steckt. Nicht zuletzt, weil der Zugang zu Informationen fehlt.

Trotzdem findet sich jeder im Dickicht dieser Stadt zurecht. Irgendwie. Wo der öffentliche Nahverkehr nicht verkehrt, füllen private Kleinbusunternehmen, die Dolmuş, die Transportlücke. Doch wehe jemand wünscht einen Überblick oder gar einen Fahrplan. Ein Jahr lang sind Selva und Gregers in den entlegensten Winkeln der Millionenstadt umhergefahren und haben das improvisierte Liniensystem der Dolmuş auf einen Plan gezeichnet. Auch wenn die Busse schon längst wieder andere Routen nehmen, haben sie immerhin erreicht, dass es inzwischen eine Webseite gibt, auf der man sich informieren kann.


Durch visualisierte Informationen ganz langsam Veränderungen in Gang setzen – auch außerhalb Istanbuls ist Superpools Strategie bereits erfolgreich gewesen. Auf der Architekturbiennale in Rotterdam 2009 war ihr "Frauenhandbuch von Diyarbakir" ausgestellt. Damit haben sie gezeigt, wie man einer gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppe kurdischer Frauen in Südostanatolien zu neuem Selbstbewusstsein verhelfen und dadurch das soziale Gefüge einer Stadt stärken kann. Auf einer Karte der Stadt hatten sie die Standorte und Anlaufstellen von Hilfsorganisationen markiert, die zum Beispiel kostenlose Waschsalons, Kinderbetreuung oder Ausbildung und Beratung zu Recht und Gesundheit anbieten.


Pläne und Rechercheergebnisse, die Superpool im Interesse Vieler verbreiten, sind so etwas wie der rote Faden in ihrer Projektliste. In diesem Sinne stehen Selva und Gregers für jene, hauptsächlich westlich geprägte Architekten-Generation, die ihre Rolle vor allem als eine gesellschaftliche und politische versteht.

Natürlich planen und bauen Superpool auch. Ein kleines Wohnhaus für eine vierköpfige Familie wird gerade fertig gestellt, und auf der asiatischen Seite von Istanbul, im noblen Viertel Dragos Hills, haben sie zwei Hochhäuser projektiert. Dass die Pläne derzeit im Dickicht der Genehmigungsbehörden feststecken, sehen sie eher gelassen. Das ist kein ungewöhnlicher Umstand für Architekten in Istanbul, Bauen ist hier mitunter ein zäher Prozess.

Deshalb laufen viele Projekte parallel, das zeigt der mit Styrodurmodellen übervolle Tisch. Die Maßstäbe sind extrem. Auf der einen Seite sind da die Zwei-Quadratmeter-Entwürfe für eine kleine Istanbuler Teppichweberei, auf der anderen die für einen Drei-Millionen-Quadratmeter-Masterplan einer Universität im Westen der Türkei. Und im Auftrag der EU forschen sie mit 14 anderen Partnern von Hochschulen und Herstellern an einer neuen Technologie für kostengünstige individuelle Betonformen. Über Details wollen sie nicht sprechen, das sei alles noch geheim.
Stattdessen ziehen sie ihre neueste Karte wie einen Joker hervor. Wieder geht es um Verkehr. Dicht und aggressiv schiebt er sich durch die hügelige Stadt. Keine Freude für Fahrradfahrer, die es in Istanbul deshalb so gut wie nicht gibt. Noch nicht. In pink-schwarzer Grafik haben Selva und Gregers jene Straßen markiert, die wegen ihrer geringen Steigung zum Fahrradfahren geeignet wären – und schon wieder eine neue Diskussion angeschoben.

Parallel zur Istanbuler Kunstbiennale eröffnet jetzt ihre Ausstellung „Becoming Istanbul“. Sie zeigt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre aus den Blickwinkeln von Fotografen, Künstlern, Architekten und Autoren. Selva und Gregers haben die Präsentation, die bereits 2008 im Architekturmuseum in Frankfurt am Main zu sehen war, gründlich überarbeitet und für die zwei Etagen des Kunstzentrum SALT erweitert. Jeden Tag ist eine Veranstaltung geplant. Die Ausstellung will in einen Dialog mit den Besuchern treten und anregen, die Stadt mitzugestalten. So wie es Superpool im Namen tragen.