Crystal Talk
Text: Ulrike HaeleFotos: Lisa Rastl, Marcel Hagen, Hertha Hurnaus, Dietmar Tollerian

Profil

Caramel
Caramel

Das Büro von Caramel Architekten liegt in einem Hinterhof-Gebäude im einzig grün regierten Wiener Gemeindebezirk, unweit des revitalisierten Gürtels. Das sogenannte Schottenfeld, war ehemals Heimat von Seiden- und Bandfabriken, heute herrscht in den noch erhaltenen Fabriksbauten mit ihren loftartigen Raumangeboten naturgemäß eine hohe Dichte an kreativem Gewerbe: eine bunte Mischung von Filmproduktionen, Grafik-Büros, Agenturen und IT-Unternehmen, Fotostudios und Architekten. Das Team von Caramel hat auf 540 qm seinen Platz gefunden. Bereits an der Eingangstür wird klar, dass hier der ungewohnte Umgang mit Materialien und das unorthodoxe Variieren simpler Funktionen Programm haben. Eine Tür, wie ein in die Vertikale gekippter kleiner Kunstrasen, zu öffnen mit Hilfe eines Schlauchstücks, das sich dem Besucher entgegenreckt. Der Boden des großzügigen Büros ist mit schwarzen Bautenschutzmatten aus Gummigranulat ausgelegt – ein weiterer Hinweis auf eine Vorliebe der Caramels, Bau- und andere Stoffe auch einmal außerhalb ihrer erwarteten Verwendung einzusetzen.

Caramel, das sind die Gründungsmitglieder Günter Katherl, Martin Haller und Ulrich Aspetsberger mit ihren mittlerweile 20 Mitarbeitern. Die beiden Erstgenannten machten sich bereits 1998 gemeinsam selbständig. Aber erst durch die Partnerschaft mit Ulrich Aspetsberger ab 2001 entstand jener erfolgreiche chemische Prozess, der sie zu Caramel, gebranntem Zucker eben, machte. Der Wahl des Namens wollen sie dezidiert keine weitere Bedeutung beimessen, klingt in Zeiten der Reizüberflutung jedenfalls besser als eine dreiteilige Nachnamenskette. Sympathisch, offen und vollkommen unprätentiös präsentieren sich die drei „Masterminds“. Alle drei sind Wahl- Wiener, aus der Provinz zum Studieren, oder im Falle von Martin Haller zum Arbeiten, sind sie in die große Stadt gekommen und geblieben. Ihre Baustellen und Projekte sind nördlich des Alpenhauptkammes quer durch Österreich verstreut, von Dornbirn über Salzburg bis Linz und weiter nach Wien. Alles Zufall, sie wollen da keine eventuellen Heimvorteile vermutet wissen. Bis zu diesem besagten Tage waren sie alle drei unter 45 Jahre alt. Jung also, wenn man über Architekturschaffende spricht und nicht über Spitzensportler.



Caramel zählen zu jenen famosen Büros, die ab den späten 90er Jahren in Wien gegründet wurden: Formationen mit hohem Anspruch an Qualität in Konzeption und Detaillierung. Zwei und mehr Architekten (Architektinnen leider zu selten) mit einem meist programmatisch-kreativen Namen. Untereinander herrscht ein entspanntes bis unterstützendes Verhältnis. Konkurrenzdenken gibt es vielleicht hinter vorgehaltener Hand, wenn überhaupt. Sie widmen sich nicht nur traditionellen Bauaufgaben, ihr Spektrum umfasst ebenso Ausstellungsinstallationen und -gestaltungen oder Designstudien. Ihr Selbstverständnis ist ein zeitgemäß offeneres als das der Protagonisten vorangegangener Dekaden, weg vom Meister-Mitarbeiter-Prinzip hin zu einer flachen Hierarchie.


Engagiert sind Caramel auf verschiedenen Ebenen, abseits von Gestaltungsfragen bei ökologischen oder architekturpolitischen Themen. Was wiederum charakteristisch für die junge Wiener Szene ist. Lautstark wird hier von einer eigenen Arbeitsgruppe der 2002 gegründeten iG (Interessensgemeinschaft) Architektur, deren Mitglieder Caramel selbstredend sind, wichtige Arbeit im Bereich Architekturpolitik geleistet. Ein Anliegen ist dabei die Transparenz bei der Vergabe von Aufträgen. Vor allem dieser tote Winkel der zeitgenössischen Architekturproduktion: Wettbewerbe und ihre Bedingungen interessieren Caramel, diese leuchten sie mit Vorliebe aus.

Caramel, einstmals als DAS Wettbewerbsbüro der Stadt bekannt, sehen auch in arrivierteren Zeiten den Wettstreit der architektonischen Ideen unter geregelten und nachvollziehbaren Bedingungen als einzig beschreitbaren Weg zur Projekt-Aquisition. Keine PR-Abteilung, kein organisierter Smalltalk bei einschlägigen Veranstaltungen, kein Klinkenputzen bei Vertretern der Politik oder der Immobilienwirtschaft sorgt für neue Aufträge. Was leider dazu führt, dass sie bei Entscheidungsträgern vor Ort wenig bekannt sind und Caramel in Wien kaum zu Wettbewerben geladen werden. Dennoch kämpfen sie für faire Bedingungen in diesem offenen oder anonymen Bewerben um Bauaufgaben. Wenn Caramel etwa zum Boykott unredlicher Ausschreibungen aufrufen, erhoffen sie sich auf Grund ihrer Erfahrung und ihres Erfolges eine Vorbildwirkung. Gleichzeitig wollen sie sich dafür stark machen, dass auch junge Kolleginnen ihre Leistungen entsprechend abgegolten bekommen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema geht soweit, das Caramel potentiellen Auftraggebern bei Direktanfragen raten, doch besser einen kleinen Wettbewerb zur Findung der optimalen Lösung auszuschreiben.



Caramel haben sich zum Programm gemacht, bei jedem Projekt, jedem Wettbewerb wieder von Neuem zu beginnen. Sie leben im Jetzt, schauen emotionslos zurück auf das Erlebte und Erreichte, planen die Zukunft nicht. Jede Aufgabe soll möglichst unbedarft und neu kontextualisiert angegangen werden. Der Spaß an der Sache soll nie verloren gehen. Das Wort Spaß fällt sehr oft. Ein wenig wirken Caramel dabei hin- und hergerissen zwischen der gespürten Verantwortung für ihr Team und einer emotionsreichen Verteidigung ihres kreativen Freiraums. Das Ergebnis ihrer nichtlinearen Arbeitsweise ist eine Reihe ausdrucksstarker Projekte mit einer jeweils für den Kontext stark individualisierten Haltung. Von der Raumkapsel, die ein Bauernhaus aus dem 13. Jahrhundert ergänzt, hin zu schwarzen Gewerbebauten, vom karierten Infocenter der Kulturhauptstadt Linz 2009 hin zum sozialen Wohnbau in Wien.


Beachtlich ist eine schöne Serie sehr individuell geplanter privater Wohnhäuser. Eine Aufgabe, die Caramel als wunderbar und anstrengend zugleich bezeichnen. Die Kommunikation mit jeweils wenigen Nutzern erfolgt direkt, die architektonische Antwort auf deren Bedürfnisse ist unmittelbar abstimmbar. Aber der Aufwand erscheint immer wieder grenzenlos, ausschließlich davon leben könnten sie natürlich nicht. Im Fall des Hauses Lina, einer Wohnbox für Mutter und Kind, hat sich die Mühe gelohnt. Mehrere Preise und zahllose Publikationen haben den rational geplanten Bau mit hoher Wohnqualität auf gerade einmal 65 m2 schnell bekannt gemacht. Interessant auch das Haus M, ebenfalls in schöner Linzer Lage, mit einem hohen Vorfertigungsgrad, optimal orientierten, großflächigen Verglasungen und absolut homogener Außenhaut.

Die Außenhaut, immer wieder. Was man bei Annäherung an die Bauten als erstes wahrnimmt, die Formulierung der Fassade, ist für Caramel entweder die logische, möglichst homogene Hülle der Raumform oder jenes Detail, das als allerletztes entwickelt wird. Dafür wird ein einziges Material gefunden. Ein Baustoff der alles kann, die Kubatur vollkommen umhüllt. Das ist dann schon einmal eine vanille-gelbe, glasfaserverstärkte PVC-Membran, besser bekannt als LKW-Plane, die über die Konstruktion gezogen wird, wie beim Haus Lina. Ein anderes Beispiel ist die schwarz glänzende Gebäudehülle eines Gewerbebaus für die Straßenmeisterei im oberösterreichischen Ansfelden. Sie besteht aus einer EVA-Kunststoffmembran, punktförmige Halterungen strukturieren und rastern die große Fläche und verleihen ihr Plastizität.



Im Falle des bisher größten Caramel-Projekts, dem Science Park in Linz, wird die Großform der geknickten Bauteile mit Hilfe der Fassade aus Alu-Lamellen akzentuiert und strukturiert. Die Gestaltung dient hier überdies als optischer Verstärker der speziellen Statik. Das Tragwerk ist als Brückenkonstruktion berechnet. Logisch.


Eine Haltung, die allen Caramel-Projekten anzumerken ist, ist die sensible Reaktion auf den zu bebauenden Ort – besonders gut nachvollziehbar ebenfalls am Masterplan und der Realisierung des Sciencepark in Linz. Diese großmaßstäbliche Erweiterung der Johannes Kepler Universität wird nach der Fertigstellung aus vier einzelnen Bauteilen bestehen. Beachtlich, der ganz besondere Umgang mit dem vorgefundenen Ort, die Kommunikation mit dem Umfeld und die Antwort auf Gegebenheiten. Mehrere lang gestreckte Baukörper folgen den Fall-Linien des Hanges. Mit Höhensprüngen und Knicken tanzen die Bauteile dynamisch aus der Reihe, reagieren aber gleichzeitig auf die geschichtsträchtigen, benachbarten Bauten. Das Resultat ist ein stimmiges Ensemble, mit von innen nach außen entwickelten, bestens funktionierenden Bauten, mit starker Identität und Strahlkraft. Oder wie im Protokoll der Wettbewerbsjury zu lesen ist: „Trotz vielfältiger Bezugnahmen, die den Entwurf auszeichnen, erscheinen die Neubauten betont eigenständig. Die Balance zwischen Korrespondenz und Autonomie kennzeichnet das Projekt in besonderer Weise.“