Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Torsten Seidel, R&Sie(n) Architects

Profil

François Roche - R&Sie(n) Architects
François Roche - R&Sie(n) Architects

„Wir haben genug vom Starkult der Architekten“, erklären François Roche und Stéphanie Lavaux, warum sie keine Fotos von sich machen lassen. Anstatt ihrer Gesichter zeigen sie stets ein befremdliches Wesen, das aus ihren eigenen Gesichtern und denen ihres Teams entwickelt wurde. Ein Hybrid, wie auch der Name R&Sie(n), der die Identitäten der Einzelnen in der Gruppe auflöst und zugleich für ein kalkuliertes Stück Verwirrung sorgt.

Begonnen hat alles 1989 in Paris, als François Roche (geboren 1961 in Paris) und Stéphanie Lavaux (geboren 1966 auf der französischen Pazifik-Insel La Réunion) nach ihrem Studium ihr gemeinsames Büro gegründet haben. Sowohl im privaten wie beruflichen Leben ein Paar, haben sie die Grenzen der Architektur schon früh zu verwischen versucht. Ausgerüstet mit einem Farbkopierer, haben sie Gebäude verfremdet, ihre Maßstäbe übersprungen und sie derart mit der Landschaft verwoben, bis sie schließlich eins wurden. Als Vorreiter hybrider Architektur haben sie den Computer bereits vor über fünfzehn Jahren zu ihrem Werkzeug erkoren – zu einem Zeitpunkt, als viele Avantgardisten noch mit dem Rapidographen hantierten anstatt in digitale Welten einzutauchen.

R&Sie(n) waren Vorreiter des Blobs und lassen sich doch darauf nicht festlegen. Denn ihr Ansatz ist alles andere als formalistisch oder gar stereotyp. So befremdlich ihre Entwürfe mitunter wirken: Sie entwickeln sie stets aus ihrem Kontext heraus, ohne dabei in einen vordergründigen Regionalismus zu verfallen. Anstatt lokale Formen – ganz im Sinne der Postmoderne – in das eigene Formenrepertoire mit aufzunehmen, setzen François Roche und Stéphanie Lavaux ihnen eine betont zeitgenössische Interpretation entgegen. Sie provozieren sie und erzeugen doch viel mehr als einen reinen Fremdkörper.

Der Entwurf ihres Informationszentrums „Water Flux“ (seit 2009), das inmitten der Schweizer Alpen das Verschwinden der Gletscher dokumentieren soll, lässt mit seinen unzähligen Tentakeln an eine Bakterie denken, es wirkt fast wie ein lebendiges Wesen.




Und diese haben François Roche und Stéphanie Lavaux längst zum Bestandteil ihrer Arbeit gemacht. Für ihr Projekt „Hybrid Muscle“ (2003) im thailändischen Chang Mai entwickelten sie einen Arbeits- und Ausstellungsraum, der seine Energie selbst erzeugen sollte. Ihre Lösung sah jedoch alles andere als den Einsatz gewöhnlicher Solarzellen vor und erklärte einen echten Büffel zum Stromerzeuger des Gebäudes. Dieser beförderte mit seiner Muskelkraft ein metallenes Gewicht in die Höhe, durch dessen Herunterlassen rund um die Uhr Strom erzeugt werden konnte – auch dann, wenn der Büffel in der Nacht schlief. Das Gebäude, das durch die Exkremente des Tieres mehr und mehr verdreckt wurde, reagierte seinerseits auch auf das Lebewesen in ihm, indem es seine Fassadenpaneele über pneumatische Pumpen in Bewegung versetzen konnte und auf diese Weise ein Minimum an frischer Luft in die Symbiose aus Tier, Gebäude und Maschine hinein beförderte.

Die Verbindung aus Natur und Zivilisation zu hinterfragen, gelang François Roche und Stéphanie Lavaux auch mit ihrem Projekt „I‘amlostinparis“ (2008). In tropfenförmigen Kolben aus Glas, die sie an eine begrünte Häuserwand eines Pariser Stadthauses justierten, züchten sie seitdem eine Kultur aggressiver Bakterien, die die Pflanzen um sie herum zum Sterben bringt. Auch hier bekommt die Intervention, die auf den ersten Blick beinahe dekorativ erscheint, eine komplexe wie gefährliche Eigendynamik. Sie droht in jedem Moment sogar außer Kontrolle zu geraten.

„Wir wollen keine vier Jahre unseres Lebens damit verbringen, ein Totem zu bauen“, erklären François Roche und Stéphanie Lavaux ihre Vorliebe für Projekte jenseits des architektonischen Mainstream. Gebäude stellen für sie eine „narrative Praxis“ dar, die durchaus verwirrend oder bedrohlich wirken kann. So entwarfen sie mit „Asphalt Spot“ (2003) ein Parkhaus im japanischen Tokamashi, dessen Stellflächen in leichte Wellen geschlagen wurden, als wären sie von einem Erdbeben verformt. Die Fahrzeuge stehen zumeist nur mit drei Rädern fest auf den Boden und drohen sich somit unkontrolliert in Bewegung zusetzen. Sie entwickeln plötzlich ein Verhalten und werden lebendig.



Während Architekten wie Diller Scofidio & Renfro, UN Studio oder Asymptote, die ebenfalls das Hybride in ihrer Arbeit behandeln, längst den Sprung in den großen Maßstab vollzogen haben, zeigen sich François Roche und Stéphanie Lavaux an dieser Stelle fast zögerlich. Sollen ihre Ideen tatsächlich in Stein gehauen werden für die Ewigkeit? Was für die meisten Architekten ein erklärtes Ziel darstellt, wirkt auf sie wie eine Bedrohung. Doch in dieser Ängstlichkeit liegt zugleich Authentizität. Wenn François Roche über Gilles Deleuze spricht, klingt es nicht aufgesetzt. Im Gegenteil. Sie zählen zu den wenigen aus ihrer Generation, die sich den experimentellen wie theoretischen Geist der frühen Jahre bis heute erhalten haben. Das leicht Chaotische und zugleich sehr Selbstkritische, was nicht nur in ihren Arbeiten sondern ebenso in ihren zahlreichen Essays, Vorträgen und Publikationen zum Vorschein kommt, hat ihnen ein ungewöhnliches und weit gefächertes Portfolio ermöglicht. Es hat sie aber auch davor bewahrt, dem Goldrausch nach Dubai zu folgen und ihre Ideen in reinem Formalismus aufzulösen.

In der Spekulation haben François Roche und Stéphanie Lavaux eine Strategie gefunden, um diesen Zwängen zu entgehen. Neben zahlreichen Lehraufträgen, darunter an der Bartett School in London 2000, der TU Wien 2001, der ESA Paris 2005 oder der Angewandten in Wien 2008, leitet François Roche seit 2006 das „Advanced Studio“ der Colombia University in New York. Ihre Devise, „Praxis als Fiktion“ und „Fiktion als Praxis“ zu denken, können sie hier mit Programmierern, Biochemikern und Nanoexperten in einem interdisziplinären Think Tank ausprobieren. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fließen nicht nur in ihre Arbeit ein, sondern werden zugleich in eigenen Ausstellungen präsentiert. Auch hier geht ihr Engagement weit über das Übliche hinaus. Für die im Frühjahr 2010 in Paris gezeigte Ausstellung „Architecture des Humeurs“ (Architektur der Launen) haben sie die Arbeit an ihren architektonischen Projekten für drei Monate lang eingestellt und sich mit ihren 15 Mitarbeitern allein der Umsetzung dieser Ausstellung gewidmet. Ein Umstand, der allen unternehmerischen Prinzipien widerspricht. Und doch sind François Roche und Stéphanie Lavaux mit dieser Praxis sehr nah bei sich. Sie gehen mit großem Wissen und ebenso großer Naivität ans Werk und wissen oft selbst nicht genau, was sie am Ende eines Projektes erwartet. Doch vielleicht liegt genau darin ihre Stärke: Sie sind neugierig genug, um ihr Ziel nicht vorschnell zu erreichen.