Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Nathalie Krag, Giovanni Gastel

Profil

Profil Lissoni



Die Welt des Designs ist mitunter eine sehr laute Welt.
Die Welt von Piero Lissoni dagegen ist anders. Klare Linien, zurückhaltende Formen und ein ausgeprägter Sinn für besondere Materialien umgeben seine Entwürfe mit einer raffinierten Einfachheit. Ausgebildet als Architekt in Mailand fand Piero Lissoni seinen Weg vor allem im Interieurbereich und hat als Kreativdirektor und Chefdesigner die Geschicke von Unternehmen wie Boffi, Porro, Living Divani, Tecno und anderen entscheidend geprägt. Mit seinem Mailänder Büro "Lissoni Associati", das mittlerweile auf über 70 Mitarbeiter angewachsen ist, arbeitet er konsequent an der Schnittstelle von Architektur und Design und entwirft neben neuen Produkten zugleich ganze Hotels, Apartmentblöcke, Firmenzentralen oder Segelyachten - von der Fassade bis ins letzte Detail. Im April 2008 gewährte uns der Meister des sinnlichen Minimalismus einen Einblick in sein Mailänder Büro.

Es ist kurz nach zehn Uhr morgens, als wir die Via Goito inmitten der Mailänder Innenstadt erreichen. Von der Straße aus führt ein kleiner Weg in den begrünten Hof hinein, wo uns als erstes Sati begrüßt, eine elegante Golden Retriever-Dame. Als Piero Lissoni erscheint, gehen wir zunächst in ein Café zwei Straßenzüge weiter, um noch eine Kleinigkeit zu frühstücken. Schließlich kann mit leerem Magen der Tag nicht beginnen. Zurück in seinem Studio ist es auffallend ruhig. Die Wände sind weiß gestrichen und über hohe Fenster fällt viel Licht in die Räume, die früher einmal eine Seidenfabrik beherbergt haben. Normalerweise arbeiten hier 75 Personen auf insgesamt drei Etagen. Doch die Mailänder Möbelmesse, die zurzeit die gesamte Stadt in ihrem Griff zu haben scheint, bedeutet auch für das Büro von "Lissoni Associati" eine spürbare Belastung - obwohl alles eine selbstverständliche Ruhe ausstrahlt.




Piero Lissoni liebt das Understatement, ist sich seiner Position aber dennoch überaus bewusst. Wie kaum ein anderer Architekt und Designer in Mailand betreut er derzeit eine beeindruckende Bandbreite von Projekten und Kunden gleichzeitig, darunter Namen wie Alessi, Cappellini, Flos, Karell, Knoll International, Thonet oder Glas Italia. Ob auf der Möbelmesse oder in den zahlreichen Showrooms im gesamten Stadtgebiet: seine Handschrift ist omnipräsent. Nicht nur, dass er mit seinem eigenen Büro mit zahlreichen Produkten vertreten ist. Auch nimmt Piero Lissoni als Art Director für Boffi, Porro, Living Divani oder Tecno spürbaren Einfluss auf die Entwürfe anderer Designer, die für diese Firmen tätig sind.

Als Designer angefangen hat Piero Lissoni 1985, als er nach seinem Architekturstudium am Mailänder Polytechnico zu jenem Unternehmen ging, das auch heute noch seiner kreativen Leitung untersteht: die italienische Küchen- und Bäderschmiede Boffi. Bereits ein Jahr später gründete er zusammen mit Nicoletta Canesi das "Studio Lissoni" in Mailand, das später in "Lissoni Associati" umbenannt wurde, und erarbeitete sich schnell eine Bandbreite von Architektur über Inneneinrichtung, Industriedesign, Grafikdesign bis hin zu Art Direktion und Corporate Image. Werden diese Disziplinen in Deutschland traditionell eher einzeln verfolgt, nimmt Lissoni sie ganz selbstverständlich in eine Hand. Der Grund dafür mag sicher auch die traditionelle italienische Ausbildung sein, bei der ein Designer zunächst als Architekt beginnt und dann Stück für Stück vom großen in den kleinen Maßstab wechselt.

Für den Erfolg von Boffi, mit dem sich Piero Lissoni auch international einen Namen gemacht hat, mag diese Herangehensweise sicher entscheidend gewesen sein. Denn anstatt einzelne Produkte für Küche oder Bad zu entwerfen, befasste er sich mit Ritualen und ihren Abläufen im Raum, die dann wiederum in unterschiedliche Produktserien übersetzt wurden. Das Überschreiten von Disziplinen ist ihm auch bei der italienischen Möbelmarke Porro gelungen, für die er eine ungewöhnliche Büromöbelkollektion entwarf. Anstatt grau und kühl zu sein, wie man sonst von typischen Office-Produkten erwarten würde, setzte Lissoni auf warme, haptische und hochwertige Materialien. Ihnen geht es darum, die Zeit am Arbeitsplatz so angenehm wie möglich zu gestalten.




Dass Piero Lissoni diese Denkweise nicht nur für andere entwirft, sondern selbst auch lebt, zeigt sein Mailänder Studio. Anstatt klassischer Konferenzräume finden sich hier zwei Bibliotheken sowie sein Arbeitsraum, der auf den ersten Blick gar nicht wie einer aussieht. Einen Computer sucht man hier vergebens, dafür gibt es aber eine Vielzahl kleiner Objekte, Figuren, Skulpturen, Bilder und unzählige Bücher, die sich auf den Tischen und entlang der Wände stapeln. Es sind zumeist historische Dinge oder solche, die er auf Reisen in fremden Ländern gefunden hat. Zusammen mit der hellen, zurückhaltenden Architektur des Gebäudes entsteht daraus ein eigenwilliger kontrastreicher Mix, der die Dinge miteinander zum Sprechen bringt.

Auch wenn der Stil von Piero Lissoni dem Purismus klar verhaftet ist, ist er doch nie dogmatisch oder gar blutleer. Mit hochwertigen Materialien, ausgearbeiteten Details und einer sinnlichen Haptik sind seine Entwürfe von einer geradezu zeitlosen Qualität - egal, ob es sich um einen Stuhl, eine Segelyacht oder ein Fabrikgebäude handelt.




Standen in den Anfangsjahren die Designprojekte im Vordergrund, gesellen sich derzeit verstärkt wieder architektonische Projekte hinzu. So entwarf Piero Lissoni die neue Firmenzentrale der Möbelmarke "Living Divani" und plant derzeit auf Dellis Cay, einer winzigen Insel der Turks & Caicosinseln nördlich von Haiti, ein Ferienressort der Sonderklasse. Sein Gespür für eine mondäne und zugleich unaufgeregte Hotelarchitektur hat er bereits mit den Interieurs des "Bentley Hotels" in Istanbul sowie dem "Monaco & Grand Canal Hotel" in Venedig bewiesen. Mit dem "Mandarin Oriental Hotel" sowie den großzügigen Privatvillen, die er auf Dellis Cay bis 2010 plant, geht er jedoch noch einen Schritt weiter und entwirft nun alles aus einer Hand - von der Fassade bis hin zur Duscharmatur. Und noch ein Thema hat es Piero Lissoni besonders angetan: große Boote. Erregte er bereits mit einer 36 Meter langen Segelyacht Aufsehen, plant er derzeit für einen Privatkunden eine Motoryacht mit stattlichen 90 Metern Länge. Auch diese stammt komplett aus seiner Feder - vom Rumpf über die Aufbauten auf Deck bis hin zum gesamten Interieur.