Crystal Talk
Text: May-Britt Frank-GrosseFotos: realities:united, Torsten Seidel

Profil

Profil realities:united

Für die Brüder Jan und Tim Edler steht fest: Gebäude kommunizieren mit ihrer Umgebung. Diese These belegen sie anhand ganz unterschiedlicher Arbeiten, die sie selbst als Architekturtuning bezeichnen. Dass sie mit dieser Auffassung richtig liegen, zeigt sich anhand vieler erfolgreicher Projekte, die das Büro seit der Gestaltung der Medienfassade am Kunsthaus Graz durchgeführt hat. Seither werden die in Berlin ansässigen Architekten weltweit als Mediengestalter zu Bauvorhaben hinzugezogen. Dabei kommen sie jedes Mal ihrer persönlichen Vision von der Schaffung einer besonderen architektonischen Mitteilung ein wenig näher.

Angefangen hatte es im Berlin der 1990er Jahre, wo sich junge Kreative in heruntergewirtschafteten Fabriketagen, Altbauwohnungen oder Kellern im Ostteil der Stadt Experimentierfelder für die Verwirklichung ihrer Träume und Ideen schufen. In dieser Zeit gründeten die beiden Architekturstudenten Jan und Tim Edler zusammen mit anderen Künstlern und Gestaltern die Berliner Plattform „kunst und technik“. Das Spektrum an Arbeiten reichte von Vorschlägen zur Nutzung eines toten Spreearmes als Schwimmbad über multimediale Installationen bis hin zu Untersuchungen nonverbaler Kommunikation mit Hilfe digitaler Technologie. Gewürzt wurden die Projekte durch Veranstaltungen und Ausstellungen, die schnell zum Anziehungspunkt der Berliner Partyszene avancierten. Nach dem Abriss des Ateliergebäudes am Monbijoupark in Berlin-Mitte, in dem die Gruppe beheimatet war, bezogen die Edler-Brüder im Jahr 2000 im „Ebbinghaus“ an der Leipziger Straße schließlich das erste eigene Labor für Kunst, Architektur und Technologie unter dem Namen realities:united. Die Büroräume haben sie inzwischen wieder gewechselt, der Name ist jedoch geblieben.


Was Jan und Tim Edler bestimmt nicht fehlt sind eigene Ansätze. Doch zur Durchsetzung dieser mussten sie erst einmal einige Jahre ohne Auftraggeber Projekte initiieren. Auch wenn sie mit medialen Interventionen im Raum begonnen hatten, machten sie sich schließlich vor allem als Fassadengestalter und Medienkünstler einen Namen. Nicht zuletzt wegen ihres spektakulären Konzepts für das Kunsthaus Graz, das von 2001 bis 2003 realisiert wurde. Zu diesem waren sie zunächst lediglich für die Entwicklung der medialen Ausstattung des Gebäudes herangezogen worden, konnten jedoch die Auftraggeber zuletzt für einen mutigen Fassadenentwurf begeistern. Sie fügten unter der Acrylhaut des von Sir Peter Cook und Colin Fournier erbauten „Friendly Alien“ 930 Leuchtstofflampen zu einem low-res Bildschirm zusammen, der über grob gerasterte Bildsequenzen, Filme und Textabläufe mit der Umgebung kommuniziert. Bei diesem – wie bei all ihren Arbeiten – ging es ihnen aber vor allem um das Spektrum an Möglichkeiten, mit dem Architektur eine Botschaft erzeugen kann.

Obwohl auch heute noch viele Projekte mit intensiver Überzeugungsleistung entwickelt werden müssen, arbeiten Jan und Tim Edler mit zunehmendem Erfolg und großer Zufriedenheit weiter. Dabei verfolgen sie Schritt für Schritt die Entwicklung und Definition dessen, was Architekten und Bauherren noch immer vernachlässigen und oftmals zu unschönen Ergebnissen führt. Dabei geht es den Brüdern nicht grundsätzlich darum, als Spezialisten für moderne Medien Gebäude zu beleuchten. Vielmehr versuchen sie mit ihren Projekten, die nach wie vor in ganz unterschiedlichen Bereichen der Architektur angesiedelt sind, Mitteilungen zu erzeugen. Das Werkzeug dafür sind ebenso digital bewegte wie statische, alte Medien. In diesem Büro wird Zukunft gestaltet.


2006 entwickelte realities:united das Projekt Museum X in Mönchengladbach, bei dem ausschließlich mit klassischen Medien gearbeitet wurde. Ziel war es, für das Jahr der renovierungsbedingten Schließung des städtischen Museums ein Zeichen in der Stadt zu errichten, mit dem das Museum selber nicht in Vergessenheit geraten würde. Dazu wurden Teile eines innenstadtnahen, leer stehenden Gebäudes mit einer textilen Fläche überzogen, die das Museum X darstellte. Im Innern empfing den Besucher eine Foyerdame, die jedoch keine Karten für eine Ausstellung verkaufte, da die Installation mit dem Eingangsbereich endete.


Gegenwärtig arbeiten Jan und Tim Edler an drei Projekten, zu denen sie von den verantwortlichen Architekten als Spezialisten für die Mediengestaltung hinzugezogen wurden. Bei zwei Bauten in Singapur geht es dem Auftraggeber lediglich darum, auf der Fassade eine Art künstlerisch mediale Gestaltung zu entwickeln. Bei einem weiteren Projekt in Cordoba ist realities:united wesentlich intensiver in den Entwurfsprozess eingebunden. Zusammen mit dem Büro Nieto Sobejano Architects aus Madrid entwickelten sie eine Medienfassade, die kein Raster sowie keine gleichmäßige Dichte aufweist und stattdessen mit den Möglichkeiten der visuellen Wahrnehmung spielt.


Für unser Interview besuchten wir realities:united in Kreuzbergs neuem Szenekiez am Schlesischen Tor. Auch dieses Domizil ist temporär, soll doch das Arial in der Falckensteinstraße 47/49, wo gegenwärtig ein Club, einige Galerien, Architekturbüros und Kunstateliers untergebracht sind, in naher Zukunft grundsaniert und zu hochwertigen Loftwohnungen umgebaut werden. Das Büro liegt im obersten Stockwerk und bietet den wohl schönsten Ausblick von Kreuzberg, über die U-Bahnlinie U1 hinweg, die Spree hinunter auf den Fernsehturm in Mitte. Bei einer entspannten Arbeitsatmosphäre im Großraumbüro sprachen wir mit Tim Edler über die neuen Projekte des Teams, über Medienfassaden als Symptom einer schwachen Architektur und den Wunsch durch Architekturinterventionen Botschaften zu erzeugen.

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