Crystal Talk
Text: Oliver HerwigFotos: Andrea Altemüller, Stefan Müller Neumann, Simone Rosenberg

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Erfrischend direkt
Florian Nagler baut für alle, wenn er es sich leisten kann auch für Freunde

Seine Homepage schimmert schwarz, die Schrift läuft winzig über die Seiten, knappe Infos, kurze Erklärungen. Fotos kleben an einem strengen Raster. Alles eine Frage der Haltung, der richtigen Energie. Florian Naglers Netzauftritt schmeichelt nicht, bleibt kantig, distanziert. Und angenehm architektonisch. Dabei ist der 40-Jährige Münchner beileibe kein Baumeister in schwarzem Rollkragenpullover. Zum Interview erscheint er in Jeans und Poloshirt, bietet Kaffee an, eine schaumige Latte Macchia-to, und stellt Notebook und Projektmappe auf den Tisch. Ein ganzes Buch. Dunkle Wolken ballen sich über Obermenzing, gleich wird es regnen. Nagler zieht die Tür zu. Der Besprechungsraum steht im Garten hinter dem Büro. Eine puristische Box im Schatten der Bäume, wie ein Meditationsraum, ein großer Tisch und Bodentanks mit Anschlüssen. Das muss reichen.




Nagler schlägt die Mappe auf. Natürlich. Die EXPO 2000. Sie hat ihn schlagartig bekannt gemacht hat, auch wenn es schon lange her scheint. 1997 gewinnt der damals 30-Jährige den Wettbewerb für den Deutschen Pavillon. Nagler schlägt einen Wald aus 20 Meter hohen Sichtbetonpfeilern vor. Zwischen den 28 Stämmen sollen verzweigte Ausstellungsflächen, Bühnen und Restaurants entstehen. Die Jury ist von Naglers stringentem Entwurf begeistert, und er gewinnt mit dem überarbeiteten Konzept auch einen zweiten Wettbewerb, nicht aber die Zustimmung der Messegesellschaft. Nach immer neuen Änderungswünschen des Auftraggebers kapituliert der Architekt. Den Deutschen Pavillon errichtet ein Investor, der ihn gleich selbst bezahlt. Nagler begräbt die Expo-Träume vom Megaauftrag – immerhin rund 50 Millionen Euro. Mit einigen gewonnenen Wettbewerben im Gepäck zieht er im Jahr darauf nach München. Dann geht es Schlag auf Schlag, als wollte der Architekt beweisen: Das mit der Expo war kein Zufall, sondern nur der Anfang. Nagler gewinnt neue Wettbewerbe und errichtet in schneller Folge das Distributionszentrum Bobingen, das Kirchenzentrum der Messestadt Riem und den Neubau der Fachhochschule Weihenstephan. Gerade Häuser mit einem Schuss Experiment, mit unkonventionellen Materialien an der Fassade.

Wer das gnadenlose Altern der Moderne verfolgen will, muss nach München-Neuperlach fahren. Am Hanns-Seidl-Platz hat jede Zeit ihre Zeichen hinterlassen. Wie auf einem Basar stehen beisammen: lieblose Wohntürme, leblose Glastonnen und backsteinbewehrte Einkaufsfestungen. Schwere Fronten verbauen den Blick. Gegenüber dem verwitterten Post-Pavillon aber steht ein Haus, der alles anders macht: Flachdach und Sheds, auskragendes Vordach, schlanke Stützen und klare Fronten – Florian Naglers Kulturkiste bietet den Gegenentwurf zur auftrumpfenden Architektur rund herum. Multifunktional und beweglich, aus vorbereiteten Holztafelelementen schnell errichtet. Hier finden Bürgerversammlungen statt und ein Kulturprogramm. Hier hat er auch seinen Entwurf vorgestellt.




Nagler ist niemand, der sich wegduckt, und Schwierigkeiten scheinen ihn besonders zu motivieren. Als sein Kirchenzentrum auf Kritik der Anwohner stieß, diskutierte er mit aufgebrachten Bürgern, die eine Glaubensfestung befürchteten mit hohen Mauern. „Das war nicht unangenehm“, sagt Nagler. Heute wirkt sein zwölf Meter hohes Kirchenzentrum wie eine Wohltat gegenüber den weitaus höher aufragenden Fassaden der benachbarten Shoppingmall. Riem ist für Nagler ein Heimspiel, seit er für das Stuttgarter Büro Mahler Günster Fuchs den Bau der kubischen Grund- und Hauptschule am Rand des Landschaftsparks leitete. Gerade hat er für das Datenwerk, das Bürohaus eines EDV-Anbieters, den BDA-Preis Bayern erhalten – den Preis der Jury, nicht den des Publikums wohlgemerkt. Naglers Architektur lieben Architekten – und andere Menschen, die geradlinige Gestaltung schätzen. Geradezu hymnisch klingt die Laudatio für das Distributionszentrum Bobingen, für das Nagler 2000 den Balthasar-Neumann-Preis erhielt, dazu 2001 den European Union Prize Mies van der Rohe Award und eine Anerkennung zum Deutschen Architekturpreis. „Elegante Architektur“ sei da entstanden, sinnlich und zugleich von „strenger Geometrie“. Die glitzernde Industriehalle mit ihren riesigen Hubtoren verbindet tatsächlich Gegensätze. Da steht eine spröde Kiste, eingehüllt in transparenten Kunststoff, der Licht einfängt, reflektiert und die Industriearchitektur transzendiert. Neue Materialien und klare Formen sind Naglers Stärken. Kurz Kunstgeschichte und bayerische Geschichte studiert, dann Zimmerer geworden und schließlich das Architekturdiplom in Kaiserslautern geholt, während er bei Auer + Weber und Otto Steidle Büropraxis gewann.



Heute unterrichtet Nagler selbst Nachwuchsarchitekten, 2002 zum Beispiel als Gastprofessor an der Königlichen Kunstakademie Kopenhagen. Der Münchner breitet keine großen Theorien aus und kommt schnell auf den Punkt. Seine Bauten sollen für sich sprechen, klar konstruierte Einzelstücke, die souverän in der Landschaft stehen. Wie das Einfamilienhaus in Gleißenberg, das Nagler in Polykarbonat-Stegplatten hüllte, als wäre der Hof eine überdimensionale Tupperdose mit Satteldach, oder das Kirchenzentrum in München-Riem. Weiße, hohe Wände, massive Mauern, die von der Seite porös scheinen wie ein Schwamm, eine kleine Altstadt aus Gassen, die hineinführen in den Kirchencluster und ihn zugleich mit dem Riemer Neuland verbinden. Das ist die Stärke des Münchner Büros: sich einzupassen und zugleich Zeichen zu setzen.

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