Crystal Talk
Text: Cordula VielhauerFotos: Torsten Seidel

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URBANE PARASITEN
Sie lernten sich in Braunschweig kennen, gingen dann nach London, Barcelona und L.A., um schließlich in Berlin ein Büro zu gründen: Hoyer Schindele Hirschmüller orientierten sich schon immer international - obwohl sie jahrelang nur im Ostteil Berlins bauten.

Seit den neunziger Jahren waren die perforierten Altbauquartiere in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg so etwas wie ein Experimentierfeld für junge Architekten. Nicht die repräsentativen Areale rings um Gendarmenmarkt und Friedrichstraße, sondern das Scheunenviertel und die Rosenthaler Vorstadt, die Quartiere um den Arkonaplatz, den Teutoburger, Zionskirch-, Kollwitz- oder Helmholtzplatz.


Hier nährte man nachts in den Fabriketagen, Kellern und Remisen temporärer Bars bei sanften Beats und Tannenzäpfle das Gefühl, den bewegtesten Ort der Welt zu bewohnen. Tagsüber wurden die verfallenen Häuser in Besitz genommen. Doch anstatt sich - wie frühere Generationen - in nervenaufreibenden Verhandlungen mit den Eigentümern festzubeißen, wurden die alten Häuser einfach selbst gekauft. Egal ob man als Hausgemeinschaft zusammenlegte oder sich von Papi sponsorn ließ ("Super Geldanlage!" - wie wahr), bald stachen die in Eigenarbeit sanierten Altbauten aus ihrer verfallenen Umgebung wie Vorzeichen einer goldenen Immobilienzukunft hervor, so dass sich auch die vorsichtigeren Bauträger in die Viertel trauten.

In den schmalen Baulücken, an denen sich kein Investor die Finger verbrennen wollte, hinterließen junge Architekturbüros ihre Erstlinge. Oft versuchten sie sich dabei selbst als Bauherren oder Projektentwickler: Deadline mit ihrem "slender/bender" in der Hessischen-, abcarius + burns mit ihrem minimalistischen Wohnungsbau in der Joachimstraße, zanderroth/nägeli mit ihrem "Aquarium" am Helmholtzplatz oder Jörg Ebers und Daniel Buchheit mit einem "Einfamilienhaus" in der Auguststraße.

Besonders aktiv trat das Duo Florian Hoyer und Harald Schindele auf den Plan - seit 2002 mit Markus Hirschmüller als Partner. Bei einem Spaziergang durch die erwähnten Bezirke fallen gleich mehrere ihrer Projekte auf: Wohnhäuser mit Patchwork-Fassaden aus Holz und Stuck oder eine Baulückenschließung, die erst in der zweiten Etage anfängt und sich wie ein Parasit am Nachbargebäude festsaugt.


Case Study Houses, Roofs oder Gaps nennen sie ihre - wörtlich zu nehmenden - Fallstudien, die sich in ihrer Innovationskraft durchaus an den kalifornischen Vorgängern orientieren, dabei aber immer den Kontext ihrer Umgebung reflektieren. Seit rund zehn Jahren beschäftigen sich die drei fast ausschließlich mit dem Thema Bauen im Bestand. Sie haben ein paar kleine, aber feine Wohnhäuser entwickelt, die äußerlich auf die Altbauten ringsum reagieren, im Inneren aber eine Fülle von räumlichen Überraschungen bereithalten. Immer entstanden sie im Dialog mit zwei Partnern: der Umgebung und dem Nutzer. HSH verstehen sich also auch als Projektentwickler, stets auf der Suche nach Baugrundstücken, die schon mal als unbebaubar gelten dürfen, weil sie eigentlich keine sind - sondern zum Beispiel eine Feuerwehrdurchfahrt. Projekte, die sie mittlerweile auf der Biennale in Venedig zeigen.

Die drei Partner waren nie in anderen Büros angestellt, sie haben direkt nach dem Studium ihr eigenes Office in Berlin gegründet und das gemacht, wovon viele Absolventen träumen: Ein komplettes Bauvorhaben von Leistungsphase 1 bis 9 zu realisieren. Etwas Glück war auch dabei, denn der Vertrauensvorschuss dafür kam aus dem familiären Umfeld. Recht schnell hatten sie jedoch einen eigenen Kundenstamm, mit dem sie als "Baugruppen" weitere Projekte im Ostteil der Stadt realisierten. Inzwischen bauen sie auch in Westberlin, deutschlandweit und sogar international.




Und als es um den Umbau des Berliner Techno-Tempels "E-Werk" zu einem funktionsfähigen Bürogebäude ging, einem in den zwanziger Jahren von Bewag-Architekt Hans Heinrich Müller umgestalteten Blockkraftwerk, konnten sich HSH mit ihren organischen Eingriffen am Ende sogar gegen "The-one-and-only-Müller- Connaisseur" Paul Kahlfeld durchsetzen. Erst recht überraschte es die drei, dass anschließend ausgerechnet die nicht eben für ihre Nachwuchsförderung berühmte Berliner Architektenkammer im E-Werk ihr Jubiläum ausrichtete. Aber vielleicht haben die ja was nachzuholen an - frei nach DJ Sven Fäth - "Feierei".

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