Crystal Talk
Text: Axel SimonFotos: M. Frietsch, R. Waldi, H. Helfenstein

Profil


Knapkiewicz + Fickert

MAL KOLLHOFF, MAL KOOLHAAS.
Spätstarter und Geheimtipp: Knapkiewicz + Fickert aus Zürich



"Weshalb haben ihre Arbeiten - nach eigener Einschätzung - Erfolg?" Diese Frage stellte vor etwa zehn Jahren das Magazin werk, bauen + wohnen mehreren Schweizer Architekten. Eine der Antworten lautete: "Weder haben wir besonderen Erfolg, noch kennen wir die Gründe hierfür."

Diese lakonische Entgegnung stammt von Kaschka Knapkiewicz (1950 in Winterthur) und Axel Fickert (geboren 1953 in Hof, D) und zeigt Zweierlei. Erstens: Die Befragten befanden sich Mitte der neunziger Jahre noch fern ihres Zenits, sofern man den Zenit von Architekten mit der Anzahl an Aufträgen bemisst. Zweitens: Witz. Und der, dies sollte man außerhalb der Schweiz nicht unterschätzen, ist innerhalb der Eidgenossenschaft etwas sehr, sehr Rares. Dort gibt man sich - gleiches gilt für die Architektur - zumeist ernsthaft, streng, wichtig. Ein saftiger Nährboden für Berührungsängste aller Art. Dementsprechend lautet eine andere Frage, die sich der protestantisch-modern sozialisierte Schweizer bei Arbeiten von Knapkiewicz + Fickert (K+F) regelmässig stellt: "Darf man das?"


So kündigte ihnen ein Kollege kurzerhand schriftlich die Freundschaft, nachdem sie bei einem Projekt in einem Vorort von Zürich die asiatische Großstadt als Referenz nannten (darf man nicht!). Ein bekannter Schweizer Architekturkritiker schrieb in der Bauwelt 4/1998 einen für Schweizer Verhältnisse geradezu boshaften Verriss der Perrondächer des Zürcher Hauptbahnhofes, die sie zusammen mit Meili, Peter Architekten bauten. Die großzügige Geste der endlos langen, schräg gestellten Flächen aus Holzlatten entlarvte der Kritiker als Sauglattismus - ein helvetisches Prädikat, das praktisch unübersetzbar ist und all jenes bezeichnet, was man definitiv nicht darf (http://de.wikipedia.org/wiki/Sauglattismus).

2003 bauten K+F neben diese Perrondächer ein Bahnhofprovisorium, das mit drei großen Boxen aus grünem und gelbem Wellplastik die Stadt an Limmat und Sihl fröhlich erleuchtet, bis hier der unterirdische Bahnhof Löwenstrasse seinen Betrieb aufnehmen wird. Die dazugehörigen Bahnsteigdächer sind auch neu erstellt, sehen aber aus, als ob sie da schon immer gestanden hätten, aus cremefarbig gestrichenen Stahl- und Holzträgern altväterlich gefügt. Das Industrielle und das Handwerkliche, das Historische und das Moderne - K+F montieren diese verschiedenen Welten nicht zu einer kontroversen Dialektik, sondern verschleifen sie zu einem kantigen Ganzen. Dies ist auch der Grund, warum ihre Projekte bei orthodoxen Zeitgenossen auf wenig Gegenliebe stoßen. Mit Empathie nehmen sich die beiden Architekten dem Vorhandenen an, binden es entweder - ohne pädagogische Glasfuge - mit ein, bilden es in ihren eigenen Neubauten nach (beides umgesetzt bei den jüngsten Wohnbauten in Winterthur) oder erklären es für obsolet, wenn ein altes Haus in ihren Augen kein Potential mehr besitzt (wie beim ersten Wohnbauprojekt am Rigiplatz in Zürich).

Es ist Schweizer Sitte, die Kollegenschaft zur Besichtigung eines fertig gestellten Bauwerks einzuladen. Diese Treffen lösen im Falle von K+F oft Verstörung aus. Grüppchen von Architekten halten sich zwanghaft an Häppchen und Prosecco-Glas fest oder überspielen ihre Betroffenheit mit zu lautem Lachen. So geschehen Ende letzten Jahres im Mehrfamilienhaus an der Wiesenstraße in Winterthur. Schon vorher hieß es, dort entstehe etwas "ganz Spezielles". Das Bild auf der Einladung lockte auch die, denen es für einen Ausflug eigentlich zu kalt war: Es zeigte eine leberwurstgraue Fassade mit Knick und bauchig-barockem Gitter vor den Balkonen. Auch bei der Verbindung Regenrinne/Fallrohr schien sich der Spengler eher in einem Baumusterkatalog aus den Dreißigerjahren, denn in einem aktuellen Sortiment bedient zu haben.



Mit Prosecco im Blut machten sich die Häppchenhalter dann auf den Weg durch die Räume - und waren durchweg begeistert. Über rot-weißes Marmor-Karo im Treppenhaus, durch 3,86 Meter hohe Badezimmer und eine Wohnung, deren Enden 30 Meter auseinander liegen (bei nur 126 Quadratmeter). In einer anderen drehte man sich beim Durchschreiten von Flur, Treppe, Wohnhalle, Treppe, Flur, Zimmer einmal um die eigene Achse. Der Unsicherheit über das Nebeneinander einer großformatigen Aluverglasung und eines raumgreifenden gewölbten Kamins folgte Ausatmen: Der Kopf hob sich in den anderthalbgeschossigen Wohnraum, die Hand streichelte den wolkigen Kalkspachtel an den Wänden. Das komplizierte Ineinander der fünf Wohnungen versetzte einen unwillkürlich in rare Feriendomizile, in von Leben durchtränkte venezianische Palazzi oder Landhäuser in Südfrankreich. Am nächsten Morgen saßen wohl viele der Kollegen wieder nüchtern an ihren sauberen Schreibtischen und schüttelten beim Gedanken an das Winterthurer Haus den Kopf: "Kratzputz!"

Ein halbes Jahr später fand sich die gleiche Gesellschaft bei Wurst und Bier in einem Kaff in der Nähe von Baden wieder: Rütihof. Eine neue offene Abfahrthalle für Reisebusse galt es zu besichtigen, nichts Spezielles, nur die Erweiterung einer Busgarage aus den tiefen Achtzigern. Doch für manche Zürcher weckte die Annäherung an die Halle Katastrophenbilder! Vor ihrem inneren Auge rauschte ein Hauptbahnhof-Perrondach ungebremst in das benachbarte Bahnhofprovisorium. Stahl knickt, giftgrünes und schrillgelbes Wellplastik wirft sich auf, Betonstützen kippen, während inmitten des Crashs Reisende noch immer heiter zwischen schiefem Glas und marokkanischen Wandfliesen ihren Kaffee trinken, als sei nichts gewesen. Nicht das Office for Metropolitain Architecture zeichnet für dieses Szenario verantwortlich, sondern eben die gleichen Architekten, die auch die beiden Bahnhofsbauten in Zürich (mit)planten, Kaschka Knapkiewicz und Axel Fickert.

Mal Kollhoff, mal Koolhaas - wer jetzt nicht mehr mitkommt, dem wird auch das momentan jüngste Werk des Büros nicht weiter helfen: Lokomotive, eine größere Wohnbebauung im einstigen Industriequartier Winterthurs, der Stadt in der Nähe Zürichs, in deren Hochschule die Architekten auch lehren. "Günter Behnisch - frühe Sechzigerjahre", so beschreibt die Architektin augenzwinkernd die Fassade ihres Baus, die Manche wohl einfach nur Retro nennen würden. Die Anlage ist diesmal eine ebenso lehrbuchhafte wie komplexe Anwendung verschiedener Wohnungstypen in vier 88 Meter langen Zeilen - von der Hallenwohnung bis hin zur Triplex, erschlossen über die Dachterrasse - schließlich ging es hier nicht um 5 sondern um 120 Wohnungen. Die Häuser sind teilweise rekonstruiert, teilweise frei erfunden, teilweise verschmolzen mit einer alten Werkhalle, dem einzigen materiellen Überrest des Industrie-Areals. Das Ganze huldigt der Schwerindustrie, ist eine Ode an rauchende Schlote und dampfende Stahlrösser, ein bildhaftes und räumlich komponiertes Ensemble aus Altem und alt aussehendem Neuen, das die Architektenschaft bei der noch folgenden Besichtigung sicher in seinen verstörenden Bann ziehen wird.

Kollegen, trinkt viel Bier! Ihr werdet es brauchen.



 

STATEMENTS JÜNGERER SCHWEIZER ARCHITEKTEN


Ich sehe im Eklektizismus von Knapkiewicz + Fickert ein großes Potential. Die Architekturgeschichte als Fundus an Problemlösungen aus dem wir schöpfen könnten, wenn wir uns nicht ständig einer Diktatur des guten Geschmacks, einer Selbstzensur der stilistischen Korrektheit unterwerfen würden. Ich erinnere mich an einen Vortrag vor langer Zeit an der ETH Zürich. Axel Fickert lancierte mit dem Konzept des "Robusten Raumes" eine Art generalunternehmerresistente Entwurfsstrategie. Ich habe das damals als Gegenposition verstanden zu einem verbreiteten Detailfetischismus, der von der Türklinke bis zum Stadtgrundriss alles gleich wichtig nimmt. Dann die Suche nach dreidimensionalem Reichtum im Wohnungsbau - etwa im Wettbewerbsprojekt für Selnau. Und schließlich habe ich vage Erinnerungen an fantastische, cartooneske Perspektivzeichnungen.
Urs Primas, urban projects, Zürich


Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Knapkiewicz + Fickert selber als Bauherrschaft auftreten mussten, um ihre langjährigen räumlichen Untersuchungen endlich konsequent umsetzen zu können (in der Winterthurer Wiesenstrasse). Dass sie trotz vieler Projekte bis dato relativ wenige Bauten realisieren konnten, mag vielleicht auch das nicht immer entspannte Verhältnis zu bauenden jüngeren Kollegen erklären. Ihre Obsession für komplexe Raumverschachtelungen hat uns immer fasziniert. Ihre "Schnitttypologien" dienen uns (neben denen von Loos und Ginzburg) als unverzichtbares Forschungsmaterial, angewendet zum Beispiel im Mehrfamilienhaus Siewerdtstraße in Zürich, 2006. Uns überzeugt aber auch die romantisch verspielte, mediterrane Stimmung des erwähnten Winterthurer Hauses, die in ihrer direkten Bildhaftigkeit von anderen als politisch unkorrekt empfunden wird. Immer wohnen wie in den Ferien - was will man mehr!
Daniel Niggli, EM2N, Zürich


Keiner weiß besser als Axel Fickert, in welcher Rösterei in Neapel welcher bestimmte Kaffee erhältlich ist, was die Vorzüge welches Citroëns sind. Sein Qualitätsurteil ist absolut treffsicher. Auch in der Architektur: Niemand macht sich so lustvoll, geistreich und präzis über architektonische Kläglichkeiten lustig. Für das, was seinem kritischen Auge genügen kann, ist er aber voller Achtung und ansteckender Begeisterung.
Christoph Gantenbein, Christ & Gantenbein, Basel


Für einige von uns ist der Vortrag "Der robuste Raum" in bleibender Erinnerung, den Axel Ende der 1980er Jahre an der ETH Zürich gehalten hat. Er thematisierte schon damals ein Unbehagen an einer Architektur, die immer mehr das perfekte Detail oder die ausgefallene Oberfläche zum Inhalt machte. Stattdessen propagierte er räumliche und strukturelle Robustheit, die Veränderungen standhalten kann und die unterschiedliche Benutzung nicht nur zulässt, sondern diese vielleicht sogar fördert. Die Suche nach diesem Robusten begleitet auch heute die Arbeit von Axel und Kaschka und macht ihre Bauten unkonventionell und nie langweilig.
Matthias Stocker, pool Architekten, Zürich