Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Torsten Seidel, Tim Beddows, Ken Hayden, Eric Laignel

Profil

Hirsch Bedner Associates/HBA
Hirsch Bedner Associates/HBA

Ihre Sphäre ist dort, wo andere unterwegs sind: Als Chefdesignerin des Londoner Interieurbüros Hirsch Bedner Associates (HBA) gestaltet Inge Moore Hotels, Spas und Restaurants rund um den Globus. Es sind keine gewöhnlichen Adressen, sondern Orte, die den Gästen in Erinnerung bleiben. Ihr Erfolgsrezept sind maßgeschneiderte Räume, die lokale Einflüsse mit Komfort und Zeitlosigkeit zu einem atmosphärischen Cocktail miteinander vermischen. Bühne frei für ein Büro, das der Welt des Reisens ein Gesicht gibt.


Inge Moore hat eine ernsthafte Mission: Sie erklärt den anonymen Bettenburgen den Krieg. Ein Hotel ist für sie weit mehr als nur eine schnöde Box, in die man nachts auf Reisen einkehrt. In ihren Augen ist das Hotel ein temporäres Zuhause, ein komfortabler, sinnlicher und alles andere als austauschbarer Ort. Seit 2008 leitet die gebürtige Südafrikanerin die Londoner Dependance von Hirsch Bedner Associates (HBA), einem internationalen, auf Gastronomie- und Hotellerie spezialisierten Interieurbüro, das 1964 in Los Angeles gegründet wurde.

„Ein wohlgeformtes Paket aus Fantasie, Drama und Komfort“ verspricht HBA seinen Kunden und versichert im selben Atemzug, auch stets die vereinbarten Zeit- und Kostenrahmen einzuhalten. Mehr als 800 Designer arbeiten zurzeit an 15 Standorten, darunter Atlanta, San Francisco, Shanghai, Singapur, Tokyo und Melbourne. Zu den Kunden gehören Ketten wie Hyatt, Ritz-Carlton, Hilton oder St. Regis sowie eigenständige Häuser wie das im Dezember 2012 eröffnenden „Alpina Gstaad“. Das Hotel ist das erste Fünf-Sterne-Haus, das seit mehr als 100 Jahren in dem Schweizer Wintersportort errichtet wurde.


Geplant wurde das Interieur mit 57 Zimmern und Suiten, einem Privatkino und mehreren Restaurants von Inge Moore und ihrem 30-köpfigen Team in London. Es ist das kleinste Büro der Gruppe, das 1987 gegründet wurde und 2008 ein früheres Tanzlokal im Stadtteil Notting Hill bezog. Neben einer Niederlassung in Moskau, die vorwiegend den russischen Markt bedient, ist es das einzige in Europa und liegt mit seiner kompakten Größe durchaus richtig. Denn die Hotelbranche befindet sich in einem radikalen Umschwung. Nicht nur die Anzahl der Häuser ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich in die Höhe geschossen. Auch die Ansprüche der Gäste sind komplexer geworden.

„Wir wollen nicht einfach nur schöne Interieurs gestalten, sondern ihnen Relevanz geben“, erklärt Inge Moore. Vor allem in Europa, wo im Abstand von einer Flugstunde eine andere Sprache gesprochen wird, möchte niemand mehr überall im gleichen Zimmer, im gleichen Bett und neben den gleichen Vorhängen aufwachen. Ein Gefühl für den Ort zu bekommen, ist eine zentrale Erwartung, die die Gäste heute stellen. Um sie nicht zu verlieren, muss ein Hotel weit mehr als eine bestimmte Anzahl Sterne liefern.



Der Grund für den Sinneswandel kommt ausgerechnet aus dem Mutterland der anonymen Hotelketten. In New York eröffnete Ian Schrager, Mitbegründer der legendären Diskothek „Studio 54“, 1984 das weltweit erste „Boutique-Hotel“. Das Interieur des „Morgans“ wurde von der französischen Designerin Andrée Putman gestaltet, die den 113 Zimmern und Suiten ein strenges Farbschema in Schwarz und Weiß verordnete. Noch einen Schritt weiter ging Philippe Starck 1988 mit seinem ebenfalls für Schrager und ebenfalls in Manhattan eröffneten „Royalton Hotel“, das im Vergleich zum puristischen „Morgans“ mit einem lauten, geradezu theatralischen Innenleben aufwartete. So unterschiedlich die beiden Häuser auch waren: Mit ihren gestalterischen Themenwelten stellten sie die Welt der Hotellerie auf den Kopf. Denn sie haben gezeigt, dass ein Luxushotel kein steifer Kasten sein muss, sondern ebenso mit den Qualitäten eines Nachtclubs aufwarten kann.

Galten „Boutique-Hotels“ noch in den neunziger Jahren als Exoten, sind sie heute selbst im Portfolio der großen Ketten fester Bestandteil. „Über Jahrzehnte hat sich die Idee eines Grandhotels kaum unverändert. Heute feiert der Sektor die neue Freiheit und auch die Kunden wollen diese Vielfalt“, erklärt Inge Moore. Den Anziehungspunkt für Reisende bildet somit nicht nur der Ort, an dem sich ein Hotel befindet. Auch das Hotel selbst muss mittlerweile eine Reise wert sein. Damit das gelingt, müssen die Ketten – zumindest auf gestalterischem Wege – wieder entkettet und ihren Häusern ein individuelles Gesicht gegeben werden.

Wie ein Grandhotel aus seinem Dornröschenschlaf befreit werden kann, zeigt das im Juli 2012 wiedereröffnete „Alfonso XIII“ in Sevilla. Das 1929 im Stil des Art Deco errichtete Haus galt in den Jahren vor seiner Renovierung als verstaubt. Inge Moore und ihr Team nahmen sich der Innenräume an und machten um Klischees ganz bewusst keinen Bogen. Die Flamenco-Kultur, Stierkämpfe oder Einflüsse aus den 500 Jahren, in denen Andalusien unter marokkanischer Herrschaft stand, wurden zu einem narrativen Gesamterlebnis verflochten. Eine Kombination aus Tradition und Gegenwart bietet auch das 2011 eröffnete Spa des Hotels „The Istanbul Edition“. Wände aus rückseitig beleuchtetem Onyx erzeugen einen warmen Kontrast zum Wasser, während die dunkle Farbpalette der Räume Gewürzen und traditionellen türkischen Gewändern nachempfunden wurde.


Realisiert wurden beide Projekte von „The Gallery“, einem 2011 gegründeten Büro unter dem Dach des Londoner Studios von HBA, das auf Projekte mit hoher Individualisierung ausgerichtet ist. Und die bedeutet vor allem eines: Eine passgenaue Lösung zu finden. Wie ein guter Schneider von der Savile Row behält dabei auch Inge Moore eine gesunde Distanz zum Trend der Stunde. Während die beiden Londoner Hotels von Philippe Starck – das 1999 eröffnete „St. Martins Lane“ sowie das 2000er „Sanderson“ – aus heutiger Sicht wie Zeitkapseln aus den neunziger Jahren wirken, sollen ihre Interieurs weit länger von Bestand sein.


Ihre Sprache ist nicht auf einen einzelnen Stil festgelegt. Sie ist facettenreicher, zeitloser und stark von jenem Ort beeinflusst, an dem das Hotel befindet. „Ich liebe den Glamour der dreißiger und vierziger Jahre. Formen, die einen mit weichen Linien umarmen und drücken, anstatt kalt und hart zu wirken“, gesteht Inge Moore. Doch sie weiß, wann es richtig ist, eine andere Richtung einzuschlagen. So ist das „Alpina Gstaad“ mit seinen holzvertäfelten Wänden und Decken dem traditionellen Schweizer Chalet-Stil nachempfunden und lässt vergessen, dass es sich um einen Neubau handelt. Die gegenseitige Mischung aus historischen und zeitgenössischen Elementen macht es schwer, die Räume zeitlich zu taxieren. Sie wirken nicht wie aus dem Ei gepellt, sondern über Jahrzehnte gewachsen. Wie ein Zuhause eben, in dem sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Altersgruppen wohl fühlen sollen.

Um Austauschbarkeit zu vermeiden, kommt fast nichts von der Stange. 80 Prozent der Möbel lässt Inge Moore für jedes Hotelprojekt eigens anfertigen, darunter gleichermaßen die Leuchten, Wandbespannungen bis hin zu den Strickmustern der Kissen. Eine clevere Strategie: Schließlich lassen sich allein aufgrund der Größe vieler Häuser maßgeschneiderte Entwürfe oft im selben, preislichen Rahmen realisieren, wie der Einkauf von Standardmöbeln. Die Gäste können somit in ihren Zimmern Details entdecken, die ihnen an anderer Stelle wieder begegnen. Die Folge: Es wird ein roter Faden gesponnen, der ein Hotel gestalterisch zusammenhält.


Drei bis vier Mitarbeiter arbeiten fest an einem Projekt, dessen Team in den unterschiedlichen Phasen auf zwölf oder mehr Personen anwachsen kann. Ob ein Entwurf realisiert wird, entscheidet sich oft in fünf Minuten. So lange bleibt häufig nur Zeit, um einen Entwurf dem Kunden zu präsentieren. Verändert hat sich hierbei die Wahl der Mittel. Wurden Visualisierungen noch vor zehn Jahren von Hand gezeichnet, sind heute ausschließlich Renderings gefragt. „Vielleicht fünf Prozent der Kunden können sich anhand von Handzeichnungen noch etwas vorstellen“, erklärt Inge Moore. Um Räume und Materialien möglichst fotorealistisch wiederzugeben, werden die Renderings bei externen Büros in Auftrag gegeben, die stets auf dem technisch neuesten Stand agieren.


„Das Schöne an Hotels ist, dass Menschen in ihnen Anlässe feiern, an die sie sich erinnern möchten wie Hochzeiten, Geburtstage oder Abschlüsse. Hotels sind Bühnen für die wichtigen Ereignisse im Leben“, macht Inge Moore deutlich. Dass sie ihre ersten beruflichen Erfahrungen beim Gestalten von Ausstellungen und der Einrichtung von Casinos gesammelt hat, ist spürbar. Zwar haben ihre Räume mit dem Charme von neonbeleuchteten Spieltischen kaum etwas gemeinsam. Doch auch sie sind Orte des Rückzugs, die die Gäste gegen den Stress des Alltags abschirmen. Sie erzeugen eine ganzheitliche Erfahrung. Und die betrifft bei weitem nicht nur die Zimmer, Suiten oder Restaurants, sondern ebenso die Passage dorthin. „Die meisten Hotels vergessen die Korridore und geben kein Geld für sie aus. Doch auch sie sind entscheidend, um ein Gefühl für einen Ort zu erzeugen“, weiß Inge Moore.

Was sie gerne noch machen würde? Sie macht eine kurze Pause. „Natürlich ist es einfach, ständig schöne Luxushotels einzurichten. Aber ich würde gerne auch ein Mittelklasse-Hotel konzipieren, das jung, energetisch, nicht zu teuer und trotzdem clever ist“, sagt Inge Moore. Denn nicht nur in Zeiten der Rezession werden Reisebudgets in Frage gestellt, sondern vielleicht auch auf Dauer. Bisher wurde ein solches Projekt zwar noch nicht an sie herangetragen. Doch man kann sicher sein: Eine anonyme Bettenburg werden die Gäste sicher kaum zu Gesicht bekommen.