Crystal Talk
Text: Oliver ElserFotos: Torsten Seidel, Kraus Schönberg Architekten

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Was für ein Karriereauftakt! Niklas Maak, der Architektur- und Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, widmete Anfang 2009 eine halbe Feuilletonseite nichts anderem als einem kleinen, gerade einmal 105 Quadratmeter großen Einfamilienhaus am Stadtrand von Hamburg. Überschrift seiner Hymne auf das „Haus W.“ der jungen Architekten Tobias Kraus und Timm Schönberg: „Es gibt sie doch, die neue deutsche Architektur“.

Will man sich selbst ein Bild machen, stehen der Bauherr und seine Familie gerne bereit und schwärmen beim Ortstermin mit so verdächtig fachkundigen Worten von ihrem neuen Zuhause, dass sich bald herausstellt: Der junge W. hat selbst Architektur studiert und war seinen Architekten, die er noch vom Studium kannte, ein so ebenbürtiger wie aufgeschlossener Sparringpartner, der genauso unkonventionell wie sie zu denken gelernt hatte, nun sein Geld aber in einer anderen Branche verdient. Schon bei der Anfahrt auf das Haus im Stadtteil Ohlstedt wird klar, dass hier die Gesetze der deutschen Vorgartenkultur außer Kraft gesetzt sind. Zwischen zwei adretten Bauten aus rotem Klinker, die sich hinter ihre Zäune ducken, führt ein Schotterweg in eine kleine, von den Nachbarn in die Zange genommene Sackgasse. Kein Tor versperrt den Zugang. Die Minipiste endet direkt vor der Haustür, zu der eine kurze Treppe hinauf führt, an der – na so was! – das Geländer der Absturzsicherung vergessen wurde. Der Zugang liegt etwas über dem Geländeniveau, weil der massive, hölzerne Teil des Hauses mit einer Glasfuge vom Boden getrennt wurde. Die so abgegriffene Redewendung vom „Baukörper, der zu schweben scheint“ (als wäre der Architekt ein auf Tricks angewiesener Jahrmarktzauberkünstler) – sie ist wirklich die naheliegendste Beschreibung dessen, was hier ausnahmsweise mal kein Selbstzweck ist: Die obere Hälfte des Hauses ist der hölzerne Schirm, die von der Familie W. bewohnte Baumkrone mit kleinen Zimmern, die jedoch,




man ahnt es von außen nicht, untereinander mit vielfältigen Blickbeziehungen verzahnt sind. Je nach Bedürfnissen sind sie unterschiedlich hoch. Da das Haus oben mit einem flachen Grasdach endet, ragen die Zimmer wie Stalaktiten unterschiedlich weit nach unten in den offenen Gemeinschaftsraum hinein und schaffen eine nicht nur „interessante“, sondern auch Wohn- und Küchenbereich voneinander sanft unterscheidende Deckenuntersicht. Diese offene Zone des Hauses ist um ein halbes Geschoss in den Garten gegraben. Das Baurecht an dieser Stelle hätte zwar auch eine anderthalbgeschossige Bauweise erlaubt, durch das Eingraben jedoch entstanden zwei Vollgeschosse.

Vor wenigen Wochen legte der Kritiker noch einmal nach. Unter dem Titel „Die neue Generation" stellte Maak die These vor, dass derzeit an der Peripherie, den Rändern der Städte, die interessantesten Entwicklungen zu beobachten seien. Wieder ist das Haus W. mit dabei, „das man", schreibt er, „eigentlich eher in Tokio vermuten würde".

Da ist schon was dran. Andererseits: Kraus und Schönberg sind auf sympathische Weise bodenständig. Tokio, klar, das finden sie interessant, aber das Haus steht in Hamburg und kann das, was es kann, weil es zu den Bewohnern passt wie ein Handschuh, den die Architekten gemeinsam mit ihnen geschneidert haben. Das faszinierende an ihren Arbeiten ist nicht, dass sie einen an irgendwelche Bilder aus den gegenwärtig als besonders heiß angesehenen Regionen der Architekturentwicklung erinnern. Sondern dass die beiden mit einer gehörigen Portion Eigensinn ihren Weg gehen und sich nicht darum zu scheren scheinen, was gerade besonders angesagt ist. Positiv formuliert: Sie gehören zur Generation der jungen deutschen Architekten, die nicht soviel Gedöns darum macht, eine unverwechselbare Handschrift zu entwickeln oder besonders schicke Objekte auf die Architekturpresse loszulassen. Starchitektur, das war gestern - das spricht aus ihren Arbeiten und es ist gut, dass das mal einer sagt.




Zwischen den beiden Artikeln in der F.A.Z. hat sich einiges für die beiden Architekten Kraus und Schönberg bewegt: Sie erhielten den Deutschen Holzbaupreis, es gab zahlreiche Veröffentlichungen in Architekturzeitschriften und in Konstanz, der Heimatstadt Tobias Kraus‘, wächst ihr derzeit größtes Projekt aus der Baugrube: Eine Baulücke inmitten der Konstanzer Altstadt schließen sie mit einem Wohn- und Geschäftshaus, dessen schmale Straßenfassade beim Besuch vor Ort gerade betoniert wurde. Durch den Zuschlag von Tonkügelchen wird erreicht, dass der Beton nicht zusätzlich mit Wärmedämmerung beklebt werden muss. In einem Nachbarhaus auf der Rückseite der Baustelle befindet sich derzeit das Konstanzer Büro. Von hier aus kann täglich der Baufortschritt überprüft werden. Es gibt jedoch, wie Tobias Kraus im Gespräch erklärt, nicht nur die Kontrollmöglichkeit, sondern auch die Gelegenheit, gemeinsam mit den Handwerkern Details zu entwickeln. Dass sie das Bauen ernst nehmen und nicht allein den Entwurf, ist jedem ihrer Projekte anzumerken. Während der Errichtung von „Haus W.“ wohnte Kraus in Hamburg und konnte so vor Ort die Bauleitung übernehmen.




Sein Büropartner Timm Schönberg lebt seit neun Jahren in London. Er bearbeitet die gemeinsamen Projekte auf der Insel. Dazu zählen, neben kleineren Baustellen in London, vor allem Sanierungsprojekte in Bradford, einer Industriestadt in Nordengland. Im dortigen German Village, einem von deutschen Kaufleuten errichteten Industriequartier, restaurierten und ergänzten sie den Bestand der tatsächlich erstaunlich „deutsch“ erscheinenden Backsteinbauten. Wie sehr sich beim Bauen allerdings deutsche und britische Traditionen unterscheiden, ist ein wichtiges Thema beim nachfolgenden Interview.




In Großbritannien zählen KrausSchönberg ebenfalls zu den vielversprechenden jungen Talenten. Die Architectural Review berichtete im Rahmen des „AR Award for Emerging Architecture“ und beim „Young Architect of the Year Award“ (YAYA) wurden sie bereits 2008 mit dem dritten Preis ausgezeichnet.

Ein wichtiger Kritiker und Kurator, der bis vor einigen Jahren am MoMA in New York beschäftigte Terence Riley, hat die schöne Formel des „Un-Private House“ erfunden, um zu beschreiben, welche immens wichtige Rolle das Einfamilienhaus als Testgebiet neuer Architekturideen spätestens mit der Moderne einnimmt. Es entsteht zwar für einen privaten Auftraggeber, die Architekten jedoch haben immer wieder versucht, es der Privatheit zu entreißen, um die darin aufgespeicherten Ideen in andere Maßstäbe zu transportieren oder um über den exklusiven Zirkel der Bauherrenschaft hinaus als Experimentalbau bekannt zu machen. Spätestens beim Besuch in Konstanz wird klar, dass das zu Recht vielpublizierte „Haus W.“ für die Architekten Kraus und Schönberg ebenfalls weit mehr ist als ein „private house“. Es ist gleichzeitig ein Brutkasten für Architekturideen, die weit darüber hinausweisen. Auf dem Regal stehen Modelle, die das Prinzip des „Hauses als kleine Stadt“ – das zwar nicht neu ist, im „Haus W.“ jedoch in vorher nie gesehener Kompaktheit realisiert wird – in andere Dimensionen und Bauaufgaben übertragen. Denn das Hauptinteresse der Architekten gilt der Frage, wie sich soziale Beziehungen auf eine andere als die übliche Weise in der Architektur abbilden und zugleich stimulieren lassen. Beim Einfamilienhaus in Hamburg finden sich viele Elemente, die zu beschreiben eigentlich ein städtebauliches Vokabular erfordert: Es gibt Plätze, Verkehrskreuzungen, Blickachsen, intime Rückzugsgebiete und Balkonsituationen, die bei anderen, größeren, momentan noch nicht realisierten Projekten wieder auftauchen. Ein für Konstanz entworfenes Hotel wäre nicht ein Bettenbunker, sondern ein Höhlenlabyrinth, und ein neues Wohnviertel gegenüber der Konstanzer Altstadt würde deren mittelalterliche Struktur aufnehmen und eine Vielzahl von kommunikativen Momenten schaffen: zwischen den Bewohnern und auch, so will es fast scheinen, zwischen den einzelnen geplanten Baufeldern, auf denen sich die Architektur wie aus dem Mittelalter ins Heute hinübergewachsen zeigen würde – auch wenn es absolut zeitgenössische Häuser wären, mit denen Kraus und Schönberg solche starken Bilder einzulösen angetreten sind.