Crystal Talk
Text: Florian HeilmeyerFotos: UNStudio, Allard van der Hoek

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UNStudio

Den Eingang zum UNStudio in Amsterdam würde man sich gerne so spektakulär wie ihre Architektur vorstellen – ein komplex in die Tiefe geschraubtes Raumkontinuum vielleicht oder dass alle vier Etagen fließend miteinander verbunden sind. Das Büro als ein endloses Möbiusband oder eine doppelte Raumhelix mit langen Rampen.

Die Realität ist nüchtern. Eine schwarze Tür, ein winziges Namensschild, dahinter führt ein langer Flur zu einem engen Aufzug, darin ein Schild. „UNStudio, 2e etage.“ Auch in einem Architekturbüro wie diesem, das sich so sehr der Auflösung der architektonischen Elemente und dem freien Raumfluss verschrieben hat, wird das Gebäude letztlich doch in herkömmlichen „Etagen“ gezählt. Übrigens sind auch die Arbeitsplätze keine durch den Raum fließenden Linien, die sich mal als Tisch, mal als Wand oder Regal entfalten, sondern einfach: Tische, Stühle, Computer und Mitarbeiter. Eine leichte Enttäuschung lässt sich nicht verbergen.

Caroline Bos und Ben van Berkel haben dieses Studio vor über 20 Jahren gegründet. Sie hatten sich in London kennen gelernt, wo sie Ende der 1980er Jahre studierten – sie Kunstgeschichte an der University of London und er Architektur an der AA. Zueinander fanden sie durch das grundsätzliche Nachdenken über die Architektur. „Caroline ist einfach nur eine andere Art von Architektin“, sagt van Berkel. „Da sie auch noch aus einer Autorenfamilie stammt, legt sie sehr großen Wert darauf, wie Dinge formuliert werden. Sie nähert sich unseren Projekten also eher von der konzeptionellen und linguistischen Seite. Ihre Arbeitsthese lautet dabei, wenn wir das Konzept eines Projektes nicht präzise genug definieren können, dann ist es höchstwahrscheinlich ein schlechtes Konzept. Dann sind die Ideen einfach noch nicht stark genug.“ So wird Caroline Bos zum kritischen Motor hinter dem unermüdlich wissbegierigen Architekten Ben van Berkel. UNStudio, Amsterdam Die Zusammenarbeit erweist sich als produktiv, kreativ und erfolgreich –ungefähr zu gleichen Teilen. Die theoretische und die praktische Arbeit bleiben in dem 1988 in Amsterdam eröffneten „van Berkel & Bos Architectuurbureau“ gleichermaßen wichtig. Die erste Monographie („Ben van Berkel“, 010 Publishers) erscheint bereits 1992 und zeigt Konzepte, Studien und Texte – es gibt ja auch erst ein einziges fertig gestelltes Projekt. Und weitere Publikationen folgen rasch: „Mobile Forces“ (Ernst&Sohn, 1994) ist ein grundsätzliches Manifest über die eigenen Entwurfsgrundsätze, und nur ein Jahr später zeigt die Monographie bei El Croquis (No 72) wie groß die internationale Anerkennung der theoretischen und praktischen Arbeit bereits ist.



Möbius Haus

Da haben die Arbeiten an ihren beiden bekanntesten Frühwerken bereits begonnen: an der Erasmusbrücke in Rotterdam (1990-1996) und am Möbius-Haus in Het Gooi (1993-1998). Mit diesen beiden Projekten gelingen Bos und van Berkel architektonische und konzeptionelle Meilensteine, die dem Büro internationale Aufmerksamkeit sichern und deren Gedankenmodelle sich bis heute als zentrale Themen durch die Arbeiten des Büros ziehen.

Die Form der Brücke wurde aus einer fast endlosen Serie von Funktionsdiagrammen entwickelt, die neben den funktionalen und konstruktiven Aspekten auch politische, soziale, emotionale und städtebauliche Kriterien integrierte. So beeindruckt die weiße, 250 Meter weit über die Maas spannende Brücke nicht nur durch ihre elegante Form und technisch-konstruktive Perfektion, sondern auch durch die kluge, weit nach Süden versetzte Positionierung ihres 139 Meter hoch aufragenden Pylon. Mit seinem Knick und den langen, nachts beleuchteten Stahlkabeln weist die Position des Pylons zum Südufer, wo damals die Arbeiten an einem der wichtigsten städtischen Entwicklungsprojekte in den Niederlanden – am „Kop van Zuid“ – bereits in vollem Gange waren. Die Erasmusbrücke wurde nicht nur zum Wahrzeichen dieses „Sprungs über die Maas“ und der Umnutzungen in den alten Industriehäfen dort, sondern für die gesamte Stadt.


Möbius Haus

Ganz so viel Popularität war dem Möbius-Haus nicht vergönnt – die Fachwelt registrierte dieses Projekt jedoch genau. Die innere Organisation des Einfamilienhauses wurde aus dem idealen mathematischen Modell eines Möbiusbandes entwickelt – die ineinander übergehenden Räume sind in einer dreidimensionalen Schleife geordnet, die sich im Wohnbereich kreuzt. Ihrem Bedürfnis nach Zurückgezogenheit entsprechend sind die weiteren Räume in der Schleife sortiert, die Schlafräume jeweils an den äußersten Enden. Es entsteht ein simples dreidimensionales Organisationsprinzip, das erst durch die konsequente Anwendung auf Konstruktion, Funktion, Material und Technik äußerst komplex wird.

Das Portfolio von Bos und van Berkel ist von Anfang an äußerst vielfältig – es spannt von Einfamilienhäusern über Museen, Theater, Bahnhöfen bis zum Umbau eines Bunkers zu einem Teehaus. Darüber hinaus werden auch Möbel, Geschirr, Ausstellungen, Pavillons, Brücken und Tunnel gestaltet. Dabei bezeichnet van Berkel seine Projekte gerne allesamt als Infrastrukturprojekte, denn der bestimmende Antrieb der Arbeiten ist vor allem durch eine komplexe räumliche Organisation eine perfekte Funktionalität herzustellen. Das gilt für die Umstrukturierung des Hauptbahnhofs von Arnhem (1996-2011) ebenso wie für das „Tea & Coffee Tower“-Service für Alessi (2003).

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Bei der Bewältigung dieser komplexen Aufgabenstellungen entdeckt van Berkel in den 1990er Jahren den Computer und ist begeistert von dessen Anwendungsmöglichkeiten – vor allem bei der Informationsverarbeitung und -organisation. Die Diagramme und mathematischen Modelle, die zu den Grundlagen der Entwürfe werden, gewinnen zunehmend an räumlicher Komplexität. Gleichzeitig wird die Verteilung der räumlichen Informationen an alle Beteiligten durch den Computer immer einfacher. Aber van Berkel geht noch einen Schritt weiter: Der Computer dient auch einer neuen Strukturierung der internen Abläufe im Büro – die Arbeitsprozesse werden selbst Gegenstand einer Untersuchung durch Diagramme – vor allem weil Bos und van Berkel damit unzufrieden sind, durch das Wachstum des Büros immer mehr Zeit mit der Organisation und immer weniger Zeit mit dem Entwurf verbringen zu können. Durch die Neuorganisation, sagt van Berkel, könne er heute – trotz der Fülle an Projekten – wieder 50 Prozent seiner Arbeitszeit mit inhaltlichen Aufgaben verbringen. Aus Enthusiasmus über diese umfassenden Einsatzmöglichkeiten des Computers wird das Büro 1998 in „United Network Studio“ umbenannt.


My Chair

Derzeit arbeiten im UNStudio etwa 110 Mitarbeiter an knapp über 40 Projekten – der Entwurf des „MyChair“ für Walter Knoll ist gerade fertig, am 1. März eröffnet in Graz das neue Musiktheater. Die Bandbreite der Arbeiten bleibt bestehen, von einer Spezialisierung kann keine Rede sein: Unter den 40 Projekten befinden sich ein Art Museum in Dubai, ein Theater in den Niederlanden, eine Platzgestaltung in Taiwan, Apartmenttürme in Singapur, ein Kaufhaus in Seoul und ein Pavillon in New York City, der – auch wenn die Pläne gerade erst präsentiert wurden – voraussichtlich noch in diesem Jahr eröffnen wird.


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