Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Torsten Seidel, Tim Beddows, Ken Hayden, Eric Laignel

Interview

Hirsch Bedner Associates/HBA


Die Welt von Inge Moore heißt Atmosphäre. Seit 2001 entwickelt die gebürtige Südafrikanerin Räume, in denen sich Menschen geborgen fühlen – selbst am anderen Ende der Welt. Als Chefdesignerin des Londoner Büros Hirsch Bedner Associates (HBA) plant sie die Inneneinrichtung von Hotels, Restaurants und Spas in Europa, Asien und Nordafrika. Dass ihr Studio in keinem gewöhnlichen Bürogebäude anzutreffen ist, sondern in einem charmanten ehemaligen Tanzsaal im Stadtteil Notting Hill, überrascht an dieser Stelle kaum. In der Mitte des lichtdurchfluteten Raums mit umlaufender Galerie thront ein riesengroßer, weißer Tisch. Unzählige Material- und Stoffproben werden auf ihm wie Preziosen ausgebreitet, um den Charakter, die Haptik oder Farbwelt zukünftiger Projekte einzufangen. Ein Gespräch über kämpfende Wasserhähne, menschliche Boxen und den Sinn eines einfachen Käsesandwichs.

Frau Moore, Ihnen werden Hotelprojekte rund um den Globus anvertraut, in denen Millionen von Menschen bisher übernachtet haben. Zu Ihren aktuellen Projekten gehören unter anderem das Hotel Alpina in Gstaad, das St. Regis in Rom, das Hotel Alfonso XIII in Sevilla oder das Ritz Carlton auf Mauritius. Was bedeutet für Sie Zuhause?

Inge Moore:
Mein Zuhause ist, woher ich komme. Ich bin in Südafrika geboren. Meine Eltern haben dort eine riesige Farm. Ich bin also ein wirkliches Landmädchen (lacht). Man trifft niemanden, nur ruhige und schöne Natur. Wenn ich dort bin, verbringe ich viel Zeit mit meinen Eltern und Tanten, die nicht weit entfernt wohnen. London ist für mich eher Homework. Ich bin ein recht häuslicher Typ und gehe selten aus, auch wenn mich alle immer auf Parties mitschleppen wollen (lacht).


Gibt es Dinge, die Sie aus Südafrika mitgenommen haben?

Inge Moore:
Ich bin eine fürchterliche Sammlerin und finde ständig Neues. Ich habe eine Sammlung afrikanischer Nackenstützen, die ich über alles liebe. Nach London bringe ich immer auch ein paar Dinge aus unserem Haus in Afrika mit und umgekehrt mache ich es auch so. Ich denke, ein Zuhause ist im Grunde nichts anderes als eine Box. Erst die Dinge, die man in sie hinein füllt, machen den Ort tatsächlich aus. Auch Hotels sind nur Boxen. Die Frage ist, wie sich die Menschen in diesen Boxen wohl fühlen können.

Das Gefühl von Zuhause müssen Sie auch über kulturelle Grenzen hinweg transportieren. Wie gehen Sie dabei vor?

Inge Moore:
Ein Hotel muss ein Ort sein, an dem man sich entspannen kann und geschützt fühlt. Denn nur so kann man sich wohl fühlen. Das Wunderbare an dieser Arbeit ist, dass wir viel über andere Kulturen lernen können,und die Dinge, die uns vor Ort begegnen, mit in unsere Projekte einfließen lassen. Dabei hängt es stark davon ab, ob es sich um ein Resort-Hotel oder ein Hotel für Geschäftsreisende in der Stadt handelt. In einem solchen Hotel halten sich die Menschen kaum länger als 24 Stunden auf. Aber wenn sie ein bis zwei Wochen wertvolle Urlaubszeit an einem speziellen Ort verbringen, öffnet das eine ganze Wundertüte an Möglichkeiten, mit denen wir spielen können. Was wir dann entwerfen, ist eine umfassende Erfahrung. Schließlich haben die Gäste während ihres Aufenthalts die Zeit, all die Geschichten zu entdecken, die wir mit unseren Räumen erzählen wollen. Auf diese Weise können sie nicht nur Erinnerungen an das Land, sondern auch an ihr Hotelzimmer mit nach Hause nehmen.


Was bedeutet für Sie Luxus?

Inge Moore:
Luxus gibt einem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Wenn man an einen Ort kommt und sich geliebt und umsorgt fühlt. Man kann die Zeit genießen, die man dort verbringt und wünscht sich, ein Stück davon mitzunehmen, wenn man nach Hause fährt. Darum müssen die Dinge um einen herum etwas Außergewöhnliches haben. Selbst ein Cocktailtablett kann eine liebevolle Entdeckung sein. Dinge, bei denen man nicht weiß, woher man sie bekommt, weil sie zu speziell sind. Das ist für mich Luxus.

Lassen Sie deswegen 80 Prozent der Möbel und Einrichtungsgegenstände für jedes Hotel eigens anfertigen?

Inge Moore:
Ja, das Großartige an Hotels ist, dass sie die Stückzahlen für maßgeschneiderte Lösungen hergeben. Viele Inneneinrichter sind bequem und nutzen immer wieder die gleichen Kataloge. Es ist enttäuschend zu sehen, wie oft dieselben Spiegel oder Leuchten verwendet werden. Darum benutzen wir keine Kataloge mit Dingen, die jeder kaufen kann. Viele unserer Kunden sind erstaunt darüber, wie viele Details in einem Zimmer stecken. Ein normales Zeichenbuch, das wir für ein neues Hotel-Projekt abgeben, umfasst weit über tausend Seiten an Entwürfen. Hinzu kommt eine ganze Bibliothek von Spezifizierungen, Farben, Materialien, Oberflächen. Selbst die Stickmuster der Kissen werden von uns vorgegeben.


Wenn Sie an die Planung neuer Interieurs herangehen: Was ist Ihr erster Schritt?


Inge Moore:
An erste Stelle kommt immer das Gebäude. Wenn man es zum ersten Mal betritt, beginnt es automatisch, mit einem zu sprechen. Jedes Gebäude hat besondere Qualitäten, die man entdecken muss. Auch die Umgebung muss erforscht und eingebunden werden. Wir haben ein Restaurant in einem sehr zeitgenössischen Gebäude in Saint Petersburg entworfen. Es gibt wunderschöne Wälder außerhalb der Stadt. Russland hat ja diese Folklore mit Zauberern, Feen und anderen Wesen im Wald. Diese Themen wollten wir in das Restaurant mit einbinden und über sie Geschichten erzählen.

Das Büro Hirsch Bedner Associates (HBA) verfügt über Standorte rund um den Globus, darunter in Peking, Dubai, Melbourne, Singapur und Tokio. Die Londoner Niederlassung, in der Sie 2001 zu arbeiten begannen und 2008 zum Partner wurden, ist die einzige in Europa. Worin liegt der Unterschied zwischen Ihrer Arbeit und der Ihrer Kollegen?

Inge Moore:
Die Büros sind sehr unterschiedlich und haben eine eigene Kultur. Wir sind zusammen 13 Partner, die jeweils ein Büro führen und dieses auch durch ihre eigene Persönlichkeit prägen. In London sind wir natürlich stark mit der europäischen Kultur verbunden, auch wenn ich selbst afrikanische Wurzeln habe. Vor allem handwerkliche Details spielen bei uns eine größere Rolle als in den Büros in Singapur und Hongkong, wo mehrere hundert Leute arbeiten. Die Projekte sind dort deutlich größer und die Kunden wollen etwas vollkommen anderes als hier. Ich denke, dass in dieser Vielfalt auch die Qualität von HBA liegt. Wir sind nicht auf einen bestimmten Markt oder Stil festgelegt. Die meisten Aufträge erhalten wir direkt durch Mundpropaganda von Leuten, die Hotels gesehen oder in ihnen übernachtet haben. Auch nehmen wir an einigen Wettbewerben teil. Wenn wir mit einem Kunden eng zusammenarbeiten, folgen wir ihm auch für andere Projekte außerhalb von Europa. So haben wir von London aus das Spa im Ritz Carton Hotel in Hongkong geplant und nicht das Büro vor Ort. Das sorgt manchmal für etwas Reibung. Doch das ist normal in jeder großen Familie. (lacht)



Sie sprachen gerade die Erwartungen der Kunden an. Hat das Konzept der anonymen Hotelketten ausgedient?

Inge Moore:
Die Kunden erwarten heute definitiv mehr als noch vor zehn Jahren. Das wird schon deutlich, wenn man daran denkt, wie oft unsere Eltern in Hotels übernachtet haben und wir heute. Keine Generation nutzt so häufig und selbstverständlich Hotels wie wir. Die Hiltons waren dafür bekannt, dass sie überall auf der Welt gleich aussahen. Man wusste, was man bekommt. Heute wollen die Leute das Gegenteil. Man kann das auch auf Reiseportalen wie TripAdvisor gut sehen. Es gibt mittlerweile eine enorme Zahl an Kommentaren über das Interieur-Design. Früher dachte man immer, dass sich keiner dafür interessieren würde.

Das Interieur wird also zum harten Umsatzfaktor ...

Inge Moore:
Eindeutig. Warum hat man dieses eine bestimmte Hotel ausgewählt, in dem man gerade übernachtet? Der Wettbewerb ist hoch. Die Auswahl ist in den letzten Jahren enorm angestiegen. Jedes Haus braucht seinen eigenen Esprit. Die Ketten liefern zwar dieselben Grundlagen. Doch müssen auch sie einen Grund liefern, warum man sie buchen soll.


Vor allem die Bars und Restaurants dienen Hotels als Schnittstelle zur Stadt. Sie werden auch von Menschen besucht, die nicht in dem Hotel übernachten. Inwieweit macht sich dies bei der Planung bemerkbar?

Inge Moore:
Restaurants und Bars sind wie Bühnen. Interessant war in diesem Kontext die Bar des Alfonso XIII Hotels in Sevilla. Es war ein wunderbares, altes Hotel. Aber niemand benutzte die Restaurants und die Bar. Die Frage war, wie man sie für die Einheimischen relevant machen konnten. Also haben wir Tapas und lokale Gerichte in die Karten genommen anstatt des typischen Hotel-Essens. Ich denke, die meisten Hotels servieren noch immer fürchterliches Essen, wenngleich sich die Lage in den letzten Jahren enorm verbessert. Es ist wichtig, dass es in einem Hotel auch normales Essen gibt wie ein einfaches Käsesandwich und nicht nur hochgezüchtete Sachen.


Wann wurde Ihr Interesse für Inneneinrichtung geweckt?

Inge Moore:
Als ich klein war, habe ich Wohnungen für meine Puppen in die Regale meines Schlafzimmers gebaut. Mit 13 habe ich das Haus meiner Mutter neu eingerichtet und neue Tapeten an die Wände gebracht. Zuvor hatte ich meiner Mutter gesagt, dass sie keinen Geschmack hätte (lacht). Auch das Badezimmer habe ich dann neu gestaltet. Ich hatte das Glück, dass mir früh erlaubt wurde, Dinge zu kreieren. Später habe ich dann Innenarchitektur studiert.

Wie kam der Schritt ins Hotelgewerbe?

Inge Moore:
Ich habe mit der Gestaltung von Ausstellungen im Museum Afrika in Johannesburg begonnen. Das war mein erster Job. Er war wundervoll, weil ich viel darüber gelernt habe, Dinge richtig zu präsentieren. Danach bin ich in ein Architekturbüro gegangen, wo ich die Einrichtung von sechs großen Casinos geplant habe. Auch das war spannend, weil sie eine ganz eigene Welt der Phantasie und Weltflucht sind. Doch bald schon hatte ich genug von diesen Busladungen an Leuten, die sich hinter Geldmaschinen setzen und Münzen einwerfen. Ich wollte etwas anderes machen. Von dort bin ich dann nach London gegangen und habe bei HBA angefangen.


Auch Sie sind beruflich ständig auf Reisen. Was bringt Sie in Rage, wenn Sie in ein neues Hotel einchecken?

Inge Moore:
Wenn ich nicht die Wasserhähne benutzen kann! Obwohl ich selbst Designer bin, muss ich immer mit ihnen kämpfen. In gewisser Weise ist das eine Beleidigung der Gäste. Zuhause haben wir die Zeit und Geduld, herauszufinden, wie etwas funktioniert. Doch warum sollen wir Hotels, in denen wir häufig nur eine Nacht verbringen, erst alles erlernen? Auch bei Leselampen finde ich oft den Schalter nicht und ziehe dann kurzerhand den Stecker. Das muss nicht sein. Es ist wichtig, dass die Dinge einfach zu benutzen sind.

Hotels sind der statische Teil des Reisens. Wie steht es mit den mobilen Dingen: Würden Sie auch einen Zug, ein Schiff oder ein Flugzeug einrichten?


Inge Moore:
Ich würde gerne einen Zug entwerfen. Auch Flugzeuge, weil sie so langweilig sind. Ich würde versuchen, sie menschlicher zu machen und ihnen mehr Taktilität zu verleihen. Interieurs muss man anfassen können. Sie müssen sich gut anfühlen. Vor allem Züge waren früher viel schöner, weil die Menschen mehr Zeit in ihnen verbracht haben. Heute sind sie immer funktionaler geworden. Ich denke, dass wir die Balance aus Komfort und Funktion wieder herstellen müssen. Beide Aspekte müssen zusammenkommen, damit die menschliche Note nicht verloren geht. Wir sind alle nur Menschen. Darum sollten die Dinge einfach sein. Bloß nicht zu clever!

Vielen Dank für das Gespräch.


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Interview: Norman Kietzmann
Norman Kietzmann studierte Industriedesign in Berlin und Paris und schreibt als freiberuflicher Journalist über Architektur und Design für BauNetz, Designlines, Pure, Deutsch und andere. Er lebt und arbeitet in Mailand.

Projektleitung: Andrea Nakath