Crystal Talk
Text: Friederike MeyerFotos: Torsten Seidel, Cristobal Palma, FAR

Interview

FAR Frohn&Rojas


Ein Weg zu FAR führt ins Zentralbüro, eine Bürogemeinschaft am Berliner Alexanderplatz. In den Räumen des ehemaligen polnischen Kulturzentrums arbeiten Künstler, Architekten, Musiker, Wissenschaftler und Journalisten. Reliefdecken und Wände mit farbigen Glasbausteinen versprühen den Charme der 70er Jahre DDR-Architektur. Durch die Scheiben des saalgroßen Besprechungsraums sieht man den Fernsehturm. Marc Frohn sitzt mir erwartungsvoll gegenüber. Auf dem Tisch steht ein Laptop. Es verbindet uns mit Mario Rojas Toledo in Santiago de Chile.

Mario und Marc, Ihr arbeitet auf drei Kontinenten. Welche Vorteile hat das?

Marc:
Als wir 2004 mit FAR anfingen, war die Situation, salopp ausgedrückt, so: In Südamerika konnte man bauen, in Deutschland publizieren und an den Unis in den USA debattieren. Das sind viele gute Ansatzpunkte, Architektur zu betreiben.

Euch geht es also gar nicht vorrangig ums Bauen?


Marc:
Natürlich bauen wir gerne, aber ich glaube, darauf sollte man sich als Architekt nicht beschränken. Architektur heißt nicht nur eine Hülle hinzustellen, die alle Funktionen erfüllt. Architektur kann genauso gut kommunizieren, wenn sie als Idee veröffentlicht ist. Unser Output kann ein Gebäude sein, aber auch ein Text oder ein Bild.

Wovon hängt das ab?

Marc:
Vom Kontext. Es ist immer gut, wenn es Zwänge gibt. Wir möchten unsere Aufgaben nicht auf das Tektonische reduzieren. Uns geht es vielmehr darum, architektonische Fragen aufzuwerfen, die eine Bedeutung für unsere Zeit haben.

Welche Fragen wären das?

Marc:
Bei dem Wall House in Santiago haben wir uns zum Beispiel mit der Bedeutung der Wand als architektonische Grenze auseinandergesetzt. Unser Wettbewerbsentwurf für die deutsche Botschaft in Belgrad befasst sich mit dem Thema Sicherheit.


Auf Eurer Webseite fragt Ihr, was passiert, wenn deutsche Bautechnologie auf chilenische Handwerker trifft. Wie lautet die Antwort?

Mario:
Es gibt keine klassische Bauausführung wie in Deutschland. Wenn die Arbeiter keine Häuser bauen, mähen sie Rasen oder waschen Autos.

Marc:
Beim Wall House gab es zwei Kategorien von Arbeitern. Die, die schweißen konnten, die bekamen 20 Dollar pro Tag. Und die, die nicht schweißen konnten, 8 Dollar. Das ganze Haus ist so konstruiert und detailliert, dass es mit zehn Leuten aufzubauen ist. Nur die Holzstruktur wurde im Werk vorgefertigt.

Ihr bietet das Wall House im Internet an. Für wie viel?

Mario:
Über die Plattform Hometta verkaufen wir für 2000 Euro das Recht, mit unserem Entwurf zu arbeiten. Jeder kann entsprechend den lokalen Bedingungen etwas daraus machen. Es gibt jedoch eine Bedingung: Wir dürfen Bilder davon machen, um den Stammbaum zu dokumentieren.



Marc:
Die DNA des Wall House liegt in dem Prinzip, die Wände aufzubrechen, nicht in den Materialien, die wir verwendet haben, das können auch andere sein. Wir wollen wissen, was passiert, wenn wir unsere Kontrolle als Autoren an einem gewissen Punkt aufgeben. Die Dinge werden doch erst intelligent, wenn andere sie weiterdenken.

Funktioniert das?

Mario:
Das Wall House ist kein Verkaufsschlager. Architektur ist eben nicht so einfach vom Persönlichen zu trennen, man kauft sie nicht eben mal im Internet. Aber eine Version des Wall House entsteht gerade in den Niederlanden. Auf der Insel Texel, als Teil eines Ferienhausparks.

Wie verteilt Ihr die Arbeit?

Mario:
Wir ergänzen uns gut. Ich bin mehr der technische Entwickler, Marc macht die Konzepte. Er hat eine unglaubliche Phantasie, architektonische Ansätze zu entwickeln, indem er Herausforderungen in ein anderes Licht rückt.


Marc:
Mario ist der „chilenische Kampfhund“, der sich an einem Problem festbeißt und nicht loslässt, bevor es nicht gelöst ist. Alle Projekte wurden immer in beiden Büros bearbeitet, in Berlin und Santiago. Das ist schon verrückt, da arbeiten 16 Leute täglich zusammen, haben sich aber zum Teil noch nie getroffen.

Woher kommen Eure Mitarbeiter?

Marc:
In Berlin hatten wir bisher Mitarbeiter aus Australien, Griechenland, den USA, Portugal und Spanien.

Mario:
Bei uns arbeiten viele Architekten aus Chile oder Kolumbien, aber auch aus Deutschland.


Seht Ihr Euch eigentlich als deutsches Büro?

Marc:
Das schöne ist, dass wir uns als Insider und Outsider zugleich sehen. Der Blick von außen ist uns sehr wichtig.


Wie würdet Ihr Euren Blick auf die deutsche Architektur beschreiben?

Marc:
Wir Deutschen neigen dazu, Probleme technisch zu lösen. Das ist typisches Ingenieurdenken. Die deutsche Architektur kulminiert für mich in dem Begriff „Passivhaus“. Er sagt viel darüber, wie wir hierzulande mit Architektur umgehen.

Mario:
Weißt Du, wie sie die Belichtung im Aachener Bushof verbessert haben? Typisch deutsch: Sie haben eine super komplizierte Spiegelanlage eingebaut. Jetzt stell Dir den gleichen Bushof in Mexiko Stadt vor. Die Mexikaner würden ihn wahrscheinlich einfach hell streichen.

Marc:
Ich habe den Eindruck als komme die kritische Reflektion vom technischen und gesellschaftlichen Kontext in der Architektur hierzulande viel zu kurz. Die Ingenieursseite hat definitiv die Oberhand gewonnen. Ich will kein Nostalgiker sein, aber dieses Ungleichgewicht hat es so nicht immer gegeben.

Marc, welche Erfahrung hast Du in den USA gemacht, wo Du sechs Jahre studiert und gelehrt hast?


Marc:
Ich war als Student beeindruckt von der Ernsthaftigkeit, mit der zum Beispiel an der Rice University in Houston Theorie betrieben wurde. Auf der einen Seite lasen sie die klassischen Texte z.B. der Frankfurter Schule oder der französischen Philosophen. Gleichzeitig entstanden oft interessante Diskussionen.
Als problematisch habe ich in den USA die strikte Trennung zwischen Praxis und Theorie empfunden. Ein produktiver Konflikt zwischen den beiden Seiten entwickelte sich viel zu selten. Und genau dieser Konflikt ist es, was mich an unserer Arbeit interessiert.

Mario, Du lehrst in Santiago an der Uni und hast Eure Baustellen vor Ort betreut. Was kannst Du über Chile sagen?

Mario:
Hier leben inzwischen drei Generationen Deutsche, sie haben das Land geprägt. In den letzten zehn Jahren hat sich Chiles Architekturszene enorm entwickelt. Viele, die während der Pinochet-Diktatur in Europa oder den USA studierten, kommen zurück und bringen neue Ideen mit. Hinzu kommt, dass die Menschen ziemlich unbefangen in die Zukunft schauen, ganz anders als in Europa. Ich möchte mal einen deutschen Auftraggeber sehen, der mit unter 30-jährigen Architekten zusammenarbeitet, ohne Bauchschmerzen zu haben. In Deutschland wird man als Risiko wahrgenommen, hier sehen uns die Leute als Potential. Davon haben wir profitiert. Dass wir jetzt das Goethe-Institut im Auftrag der Bundesrepublik planen, wurde nur möglich, weil wir zuvor das Wall House in Chile bauen konnten.


Welche Rolle spielen Wettbewerbe für FAR?

Marc:
Wettbewerbe sind ein guter Anlass zur Auseinandersetzung mit bestimmten Themen. Wir haben noch kein Projekt durch einen Wettbewerb akquiriert, aber jede Menge Ideen ins Büro geholt.

Viele Architekten machen ihre Entwurfsprozesse in Form von Diagrammen verständlich. Auf Eurer Webseite ist mir aufgefallen, dass ihr viele Projekte durch ineinander geblendete Bilder darstellt. Sei es die aufgehende Sonne hinter dem Wall House oder der akustische Vorhang im Goethe-Institut, der sich zuzieht. Welche Haltung steckt dahinter?


Marc:
Ich bin vorsichtig mit der Kochrezept-Didaktik von Diagrammen. Die Gründe für die Entwurfsentscheidungen bleiben dabei meist verborgen. Es wirkt oft, als gäbe es nur eine perfekte Lösung, die keine Fragen mehr offen lässt. Wir sehen uns eher als Architekten, die Spielregeln für einen Prozess setzten, einen Rahmen schaffen, in dem Architektur stattfinden kann. Architektur ändert sich fortlaufend, das wollen wir darstellen.


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Interview: Friederike Meyer
Friederike Meyer studierte Architektur in Aachen und absolvierte die Journalistenschule in Berlin. Sie ist Redakteurin der Bauwelt.

Projektleitung: Andrea Nakath