Crystal Talk
Text: Jeanette KunsmannFotos: Allard van der Hoek

Interview

NL Architects


Es ist Freitagmittag, in dem Büro von NL Architects ist es ruhig, das Wochenende wartet. An einer Wand reihen sich wie in einem Zeitungskiosk die gesamten Monographien und Veröffentlichungen aneinander; auf und zwischen den Regalen stapeln sich Modelle. Diese drapieren Walter van Dijk und Kamiel Klaasse während des Gesprächs nach und nach wie eine Landschaft um ihren Laptop. Im Hintergrund hüllt eine leise Musik das Büro in eine sanfte Stimmung; draußen wird es langsam dunkel.

Gemütlich habt ihr’s hier! Wie habt ihr angefangen?

Kamiel (überlegt):
Oh, das ist lange her.

Walter:
Leider haben wir beide nicht mehr so ein gutes Gedächtnis. (beide lachen laut)


Kamiel:
Angefangen hat alles in einem Auto. Wir haben damals in Delft studiert und in Amsterdam gewohnt – eine Art Fahrgemeinschaftsbüro.

In einem Auto? Was für eins?

Kamiel:
Es war ein metallblauer Ford Escort Kombi.

Wie muss man sich das vorstellen? Wie arbeiten Architekten im Auto?

Walter:
Wir waren eine Gruppe von vielleicht 15 Studenten aus Amsterdam. Man fährt eine gute Stunde von Amsterdam nach Delft; diese Zeit haben wir genutzt, um über Architektur zu reden und Projekte zu besprechen. So fing alles an.

Kamiel:
Eine sehr konzentrierte Arbeitssituation! Man verbringt viel Zeit zusammen.

Walter:
Es gab jede Menge Staus – viel Zeit zum Diskutieren!

Kamiel:
Später haben wir ein Büro gemietet, um an unseren Studienprojekten zu arbeiten – an der Uni Delft gibt es keine Ateliers.


Kamiel:
Wir haben in den ersten Jahren an vielen Wettbewerben teilgenommen; damals gab es noch diese netten Zuschüsse vom Staat und wir konnten uns endlich einen BMW kaufen! (lacht)
Nein, das war für uns wirklich ein großer Vorteil. Gerade am Anfang hat es uns extrem geholfen, entspannt in die Selbstständigkeit zu starten. Eine gute Zeit!

Welche Architekten haben euch beeinflusst?

Kamiel:
Diese Liste ist wahrscheinlich endlos. Da draußen passiert so viel, das für uns inspirierend ist. Wir als Architekten sind quasi in den neunziger Jahren ‚aufgewachsen’ – eine Zeit, in der sich Vieles verändert hat und sich völlig neue Möglichkeiten eröffneten, sowohl auf der virtuellen Ebene als auch in der Realität. Es war das Zeitalter des Optimismus, alles schien möglich.

Mit eurem ersten realisierten Projekt, der Wärmetauschstation WOS 8 in Utrecht, habt ihr für Aufsehen gesorgt.

Walter (unterbricht):
Eigentlich war es nicht ganz unser erstes Projekt. Zuvor haben wir ein Cine-Center ausgebaut und auch noch ein paar andere Innenräume gestaltet. Das war aber nicht so spannend, deshalb findet man diese Arbeiten nicht in unserem Portfolio.


Kamiel:
Das Kino wurde übrigens vor kurzem renoviert.

Walter:
Ja! Total erstaunlich: Nach 15 Jahren haben sie es komplett nach unserem ersten Entwurf restauriert. Normalerweise würde man nach so einem Zeitraum einen Raum neu gestalten, aber man sieht dort kaum einen Unterschied. Der Innenraum ist unser erstes Monument!

Kamiel (unterbricht):
Das ist das große Dilemma in der Architektur: Du machst jedes Projekt nur einmal, dabei kannst du soviel daraus lernen! Gerade haben wir zum Beispiel eine Turnhalle fertig gestellt. Da die Halle keine Fenster haben durfte, sondern nur indirektes Licht, sieht es aus, als würde man im Himmel turnen. Das wäre ein Gebäudetyp, den man ähnlich wie Fast-Food-Filialen überall gut wiederholen und kopieren könnte. Mit jeder weiteren Halle würde man diesen Gebäudetyp mehr und mehr perfektionieren.



Wie seid ihr damals an den Auftrag für die Wärmetauschstation gekommen?

Walter:
1994 gab es einen großen städtebaulichen Masterplan für das gesamte Gebiet in der Leidsche Rijn. Rients Dijkstra von den Rotterdamer Stadtplanern Maxwan Architects hatte entschieden, dass diese Art von Infrastrukturgebäuden speziell gestaltet sein sollte. Er hat uns auch bei der Energiegesellschaft vorgeschlagen. Sie nahmen den Vorschlag dankbar an. Es musste alles sehr schnell gehen, also fehlte ihnen die Zeit für große Entscheidungen – das war unser Glück!

Kamiel:
Die nahtlose Struktur der PU-Gebäudehülle ist essenziell: Der Plumpheit solcher Gebäude endlich eine Lösung entgegenzusetzen ist wie die Veredelung im Gebäudeinneren der ultimative Traum eines Architekten ….

Auf gewisse Weise war dies eine eurer ersten Sport-Architekturen, es folgten Projekte wie die Basket Bar und weitere Nutzbauten mit integrierten Kletterwänden. Ist das eurer roter Faden?


Kamiel:
Sportnutzungen in der Architektur sind ein sehr inspirierendes Feld. Man hat unendlich viele Möglichkeiten. Die Gebäude lassen sich als eine Art Skulptur begreifen, werden durch Sport aber aktiviert und zum Kondensator für sozialen Austausch. Und visuell kann man wunderbar gestalten –was man allein aus den Linien eines Basketballfelds alles entwickeln kann! Im chinesischen Sanya arbeiten wir derzeit an einem Pavillon, dessen Dach ein kleines Velodrom ist: Mit ihrer Neigung erinnern die Kurven der Radrennbahn in gewisser Weise an einen Chinesischen Tempel!

Walter:
Für unsere Arbeit ist das der Hauptaspekt: ein Extra-Programm für unsere Gebäude, um ihre Nutzung zu intensivieren. Aber noch einmal zur Wärmetauschstation. Solche Gebäude stehen oft weit abseits der Stadt; ihre Fassade wird schnell Opfer von Vandalismus und Graffiti. Wir haben ihr ein anderes Programm gegeben, man kann sich hier treffen, Basketball spielen oder klettern. Die Wärmetauschstation sollte eine positive Botschaft bekommen – mehr sein, als ein schöner Schuppen.


Die Basket Bar ist das bekannteste von euren Projekten. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Kamiel:
Wir wollten, dass dieser Ort Teil des Campus und Teil der Stadt wird. Ausgeschrieben war die Erweiterung der Uni-Buchhandlung zu einem ‚Grand Café’ mit Bar und Restaurant. Es war ein eleganter Glaspavillon, wir haben das Dach auf die Spielfläche eines Basketballfelds vergrößert und das Gebäude mit neuen Möglichkeiten erweitert. Basketball ist für uns ein sehr urbaner Sport, wir wollten den Ort beleben. Es war aber kein Bestandteil der Planung.

Walter:
Die Basket Bar ist auch aus der Perspektive der benachbarten Hochhäuser geplant. Von oben wirkt sie ganz anders.

Es ist eine wunderbare Bühne mitten in der Stadt.

Walter:
Ja, es ging uns nicht nur um Basketball. Der Eingang ist auch mehr als ein Eingang – durch die Rampe ist er barrierefrei, dann aber auch ein Treffpunkt, Terrasse, eine Arena...


Kamiel:
Und ein riesiger orangefarbener Aschenbecher! (lacht)

Walter:
Das ist immer dieses große Problem mit den Projekten im öffentlichen Raum – sie werden schnell dreckig. Alle treffen sich dort zum Rauchen. Die Stadtreinigung kommt nur einmal die Woche, aber inzwischen kümmert sich die Bar um die tägliche Reinigung. Der Erfolg eines Projektes wird nicht nur von seiner Gestaltung bestimmt, sondern auch durch seine Funktionalität.


Wie würdet ihr generell die Architektur von NL Architects beschreiben?

Kamiel:
Unsere Projekte sind von Logik bestimmt – manchmal ist sie ungreifbar, mal hardcore, manchmal im erweiterten Sinne und mal über das Ziel hinaus. Wir hoffen, dass unsere Architektur der Welt ihr verstecktes Potenzial entlockt. Dass sie dazu beisteuert, Schönheit zu offenbaren.


Walter:
Wir wollen Gebäude und Ideen schaffen, die mit ihrer Umwelt kommunizieren – poetische Formen schaffen. Aus Beton, Holz, Schaumstoff oder aus Pixeln...

Welche Rolle spielt Ästhetik in euren Projekten?

Kamiel:
Wir sind sehr an Form interessiert, aber im Vordergrund unserer Arbeit steht die Idee – die wiederum erst durch ihre Bedeutung aussagekräftig wird. Vorausgesetzt es funktioniert.
Unser Anspruch ist es, eine Art sexy Konzentrat zu finden: ohne Ballast und ohne überflüssige Gedanken. Wir wollen zum Kern, zur Essenz vordringen. Eine Idee kann ruhig platt wirken, solange sie nicht oberflächlich bleibt.

Walter:
Normalerweise möchten wir nur einen Parameter herausarbeiten; dadurch bleibt ein Projekt im Bereich des Vertrauten, aber eben einen Tick anders als gewohnt, ohnedabei völlig fremd zu wirken. So bekommen unsere Projekte eine Art Widererkennungsmerkmal.
Es liegt aber auch in unserer Natur, uns selbst zu widersprechen. Wir neigen dazu, unsere eigenen Regeln zu brechen...


Ihr habt gesagt, ihr lernt aus euren eigenen Projekten. Kehrt ihr zurück zum Tatort und schaut, wie eure Gebäude angenommen werden?


Walter:
Ja, wir sind zum Beispiel öfter in Utrecht. Wenn wir die Wärmetauschstation besuchen wollen, müssen wir kugelsichere Westen anziehen, denn der Nachbar hasst dieses Gebäude!
Sie wurde in einem Garten hinter einem Haus gebaut, dessen Besitzer eine großzügige Entschädigung für den Bau bekommen hat. Sein Nachbar, der von seinem Haus aus auf das schwarze Gebäude schauen muss, hat nie einen Pfennig bekommen – der ist sauer. Natürlich auch, weil die ganzen Architekturtouristen über sein Grundstück trampeln...

Kamiel:
Es ist wirklich sehr unglücklich: Sein Besitz hat an Wert verloren und er konnte sein Haus nicht verkaufen.

Walter:
Das hier ist übrigens eins unserer aktuellsten Projekte .Du musst wissen, dass der Klettersport in den Niederlanden sehr beliebt ist – obwohl wir gar keine Berge haben (lacht).

Kamiel:
Die Kletterwand ist auch bei der Sporthalle in Dordrecht ein zusätzliches Programm –eigentlich sollten wir einen Komplex mit vier großen Sporthallen planen. Wir wollten mit der Kletterhalle die Fassade aktivieren.

Walter:
Es war leider gar nicht so einfach, jemanden für die Ausführung zu finden. Wir mussten uns selbst darum kümmern und haben viel telefoniert. Die Hallen stehen schon seit zwei Jahren, jetzt ist auch die Kletterwand fertig.

Ihr seid aber nicht nur sportliche Architekten, sondern auch Geschichtenerzähler. Eure Collagen „virtual realities“, die ihr 2008 auf der Biennale in Venedig ausgestellt habt, beschreiben radikale Szenarien. Führt ihr dies noch weiter?


Kamiel:
Es sind Gedankenspiele. Was, wenn man in den Grachten schwimmen könnte? Oder wenn Windräder anders aussehen würden, schöner? Power Flower, Google Forest und die Cruise City sind für uns wichtige Bilder.

Walter (zeigt ein kleines Modell):
Die Power Flowers sind mehr als eine Idee; wir haben Anfragen aus der ganzen Welt, vor allem aus Mexiko und Dubai. (Verstellt seine Stimme) Guten Tag, ich möchte gerne zwei Millionen Windräder bestellen.


Ihr arbeitet ja auch als Designer – seht ihr diese Arbeiten im kleinen Maßstab als eine Art Fingerübung?

Kamiel:
Ja, es gibt für uns schon eine unterbewusste Verbindung.

Walter (stellt etwas auf den Tisch):
Diese Vase zeigen wir in Vorträgen immer ganz am Anfang, um unsere Entwurfstrategie darzustellen. Es ist eine dreidimensionale Collage, eine Kombination von drei verschiedenen, aber völlig gewöhnlichen Blumenvasen. Eigentlich eine einfache Idee. (Dreht die Vase auf den Kopf) Es entsteht aber eine ganz neue Form!

Kamiel:
Man kann sie nur mit wenig Wasser füllen: Weniger ist mehr! Hier, wir haben auch mal eine Brücke entworfen (stellt ein weiteres Modell auf den Tisch, eine Brücke in Herzform). Sehr holländisch, oder?

Walter:
Und hier, das ist noch ein kleines, aber aufregendes Projekt (holt ein weiteres Modell). Der „Port Transformer“ – eine Skulptur am Amsterdamer Hafen für Fashion Shows und Performances. Die Mode-Industrie liebt Hafengebiete!

Ah – mit Catwalk, aber ohne Kletterwand...

Walter (lacht):
Nein, klettern kann man hier ausnahmsweise nicht.


Ihr habt wahnsinnig viele Modelle!

Kamiel:
Wir behalten alle Modelle; oben in unserer Werkstatt lagern noch viel mehr. Für uns sind Modelle ein gebauter Denkprozess und sehr wichtig für unsere Arbeit. Wir können gleich gerne mal in dem Studio oben schauen.


Gerne! Zwei Fragen habe ich noch: Warum NL Architects?

Kamiel:
Der Name stammt aus der Zeit, in der wir viel im Auto gearbeitet haben – man kann ihn also auf das holländische Kennzeichen zurückführen. Der Punkt in unserem Logo steht symbolisch für unsere Leidenschaft für die Highways des Worldwideweb..


Walter:
Wir haben lange nach einem passenden Namen überlegt. Viele Leute, das bedeutet viele Vorschläge und wenig Kompromisse. ‚L’ego’ stand lange oben auf der Liste. Irgendwann haben wir das dann wieder gestrichen und in großen Buchstaben ‚Not Lego’ darüber geschrieben. ‚NL.’, das wurde dann auch unser Logo.

Vielen Dank für das nette Gespräch!


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Interview: Jeanette Kunsmann
Jeanette Kunsmann studierte Architektur an der TU Berlin; sie arbeitete u. a. für Francis Kéré, raumlabor Berlin und Archplus. Seit 2008 schreibt sie als freie Journalistin und Redakteurin für BauNetz.

Projektleitung: Ines Bahr